Ansatz, Übungen

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Übungen ohne Instrument

Diese Übungen dienen der spezifischen Körperbeherrschung im Ansatzbereich: die einzelnen klangrelevanten Komponenten des Ansatzes werden isoliert ins Bewusstsein gerückt und auf taktiler und kinästhetischer Ebene trainiert. Anhand der Übungen mit dem Instrument lassen sich die auditiven, taktilen und kinästhetischen Wechselwirkungen entsprechend der eigenen Klangvorstellungen entwickeln und optimieren.

Position und Stabilisierung des Unterkiefers

Wenn man gähnen muss, dies aber niemand am Gesichtsausdruck bemerken darf – man kann es „Anstandsgähnen“ nennen, entfernt sich der Unterkiefer nur leicht vom Oberkiefer. Von aussen ist kaum eine Veränderung des Gesichtsausdruckes wahrnehmbar, die Mundhöhle formt und stabilisiert sich jedoch in idealer Weise für einen frei schwingenden Klarinettenton. Die Position des Anstandsgähnens muss bei der aktiven Ausatmung für die Klangproduktion beibehalten werden. Der Unterkiefer entfernt sich parallel in der Distanz von einem Klarinettenblatt oder Bleistift vom Oberkiefer, soll aber nicht mit forciertem Kraftaufwand nach unten gezogen werden, sondern locker in dieser Position wie an imaginärem Schnüren am Oberkiefer aufgehängt sein (frei nach Johanna Gutzwiller 1997, S. 38) [1].

Übung

Ein- und Ausatmen, während der Unterkiefer in der Position des Anstandsgähnens „aufgehängt“ bleibt. Dazu den Vokal „u“ formen [2].

Mundhöhle, Rachen und Zungenform

Das Senken lassen des Unterkiefers wie beim Anstandsgähnen bewirkt eine Öffnung des Rachens. Ergänzend dazu wird der Vokal „u“ geformt, um die Zunge, vorbereitend für die Artikulation am Klarinettenblatt, in eine günstige Position und Form zu bringen.

Übung

  1. Stelle die Kieferposition des „Anstandsgähnen“ her.
  2. Tippe nun mit der Zungenspitze während des Einatmens leicht gegen die oberen Schneidezähne.
  3. Versuche, dieses Einatmen mit einer sanften Streckung der Halswirbelsäule zu verbinden. Der Hinterkopf wird wie von unsichbarar Hand nach oben gezogen.
  4. Behalte diese Positionen (Kopf, Halswirbelsäule und Zunge) während der Ausatmung - darauf folgt ein entspanntes Einatmen.

Oberlippe

Oberlippe

Gekoppelt an die Vokalformung „u“ zentriert sich auch der Muskel der Oberlippe, die Mundwinkel werden gegen die Mitte gezogen. Zusätzlich soll die Oberlippe nach unten gezogen werden. Sie schmiegt sich dem Mundstück an. Dies kann durch die Position des Zeigefingers, der leicht an die oberen Scheidezähne gedrückt wird, geübt werden

Übung

Mit der Oberlippe versuchen, den gegen die oberen Schneidezähne gedrückten Zeigefinger Finger nach unten zu schieben. Diese Übung betont zusätzlich die flache, nach unten gezogene Form des Kinns.

Unterlippe und Kinn

Unterlippe und Kinn

Die Unterlippen schmiegen sich dem Bogen der vorderen unteren Zahnreihe an und formen ein kompaktes Kissen, an welches das Mundstück angesetzt wird. Empfohlene Technik von Keith Stein, 1958:

„[ ... ] a ''two way stretch'' of opposite pulls [ ... ] is simultaneously transpiring between the jaw drawing downwards and the immediate lower lip reaching upwards.“

„Eine gleichzeitig nach oben und unten gerichtetes Ziehen [ ... ] setzt mit dem Ausatmen ein und zieht das Kinn nach unten, während sofort eine nach oben gerichtet Spannung die Unterlippe nach oben zieht.“

Keith Stein: The Art of Clarinet Playing[3]

Übung

Den Vokal „i“ formen, dabei bewusst den Kontakt der Unterlippe zur unteren Zahnreihe herstellen. Diesen Kontakt behalten während die Vokalformung zu „u“ wechselt. Die Unterlippe formt sich auf diese Weise zu einem kompakten Kissen, das Kinn ist flach nach unten gespannt.

Alternative Methode zur Ansatzformung

"Trinkhalm-Mund"

Unter- und Oberlippe, aber auch Wangen, Zungen und Rachen werden in eine für die Klangerzeugung günstige Position gebracht, wenn wir mit einem eher dünnen Trinkhalm ein Getränk (nicht die Luft!) kräftig einzusaugen.

Übung

„Trinkhalm-Mund“: Ober- und Unterlippe kräftig so formen, wie wenn man mit einem Trinkhalm ein Getränk einsaugen würde. Beobachte dabei die Festigkeit der Wangen und des Mundbodens, sowie die Konstellationen von Zunge und Rachen. Der auf diese Weise geformte Mund-Rachenbereich ist für den Klarinettenansatz sehr geeignet.

  • Unabhängig von dieser Position durch eine kleine Mundöffnung ein- und ausatmen.
  • Locker einatmen, bei der Ausatmung den Trinkhalm-Mund formen.

Aktivierung der Resonanzräume durch bewusste Vokalformung

Eine bewusst ausgeführte Vokalformung (auch als „innerer Ansatz“, Englisch als „voicing[4]“ beschrieben) übt einen starken Einfluss auf die Qualität des Instrumentalklanges aus. Kieferposition, Rachenöffnung, Zungenform und -Position, das Ausformen des Mundinnenraumes durch Mundbodenmuskulatur beeinflussen im Wechselspiel mit der Luftführung die Luftgeschwindigkeit und den Luftdruck in der Mundhöhle. Namhafte Pädagogen lassen zum Training der Ausfomrung der Mundhöle Tonübungen mit Doppellippenansatz spielen (siehe oben).

Die physikalische Grösse „akustischer Widerstand“ quantifiziert das Verhältnis von Luftdruck und Luftgeschwindigkeit. Der akustische Widerstand in der Mundhöhle ist gleich gross wie der akustische Widerstand in der Mundstückkammer (Siehe auch Joe Wolfe: What is acoustic impedance and why is it important? [5]).

Übung

a) Trinkhalm-Mund formen (siehe auch obere Übung), dann einen Ton summen, und die Vibrationen in Mund-, Kiefer-, Nasen- und Stirnhöhle, Kehlkopf und Brustkorb beobachten

b) Trinkhalm-Mund formen, einen Ton summen, dann den Mund ganz wenig öffnen. Den Luftstrom vertärken, so dass die immer noch gut geformten Lippen und die genannten Resonanzräume vibrieren. Beim Entstehen der Vibrationen spielt das Herunterziehen der Oberlippe eine wichtige Rolle.[2]

Übungen mit Instrument

„Messa di Voce“ mit Doppellippenansatz

Siehe auch Tonübungen

Keith Stein [6] empfiehlt das „Messa di Voce“, mit Doppellippenansatz. Eine Studie von John Patrick Graulty [7] belegt den positiven Effekt von Tonübunugen mit Doppellippenansatz: Neben der Kräftigung der Lippenmuskulatur ist auch eine Veränderung des Mundinnenraumes zu beabochten, die sich positiv auf die Tonqualität auswirkt. (siehe auch Ansatz, traditionelle Formen).

Der Gewinn der Tonübungen mit Doppellippenansatz liegt darin, automatisch eine Unabhängigkeit von Ansatzformung und Vokalformung zu erreichen: Durch die ungewohnte Position der Ober-und Unterlippe lassen sich die natürlichen Veränderungen, welche z.B. das Formen des Vokals „i“ im Gegnsatz zum einem „o“ mit sich bringen würde gar nicht umsetzten. Der Unterschied zwischen den beiden Vokalen besteht nur in der unterschiedlichen Ausformung ds Mundinnenraumes und der Zungestellung. Auch di Kieferstellung ist viel kleineren Bewegungen unerworfen, schon weil ein „Beissen"“ mit einer schmerzhaften Druckbelastung der Lippen verbunden wäre.

Genau dieselben Konstellationen - dynamische Ausformung des Mundhöhle bei stabil belibender Ansatzformung - gilt es auf den normalen Ansatz zu übertragen.

Musikalische Zielsetzungen

Die Aufgabenstellung scheint einfach: auf einer liegenden langen Note muss der Klang im pianissimo einsetzten, man muss ihn bis zur Mitte seiner Dauer zu einem grossen Forte anschwellen lassen. In der zweiten Hälfte seiner Dauer wird er wieder kontinuierlich dynamisch abgebaut und zum in sich verklingenden pianissimo zurückgeführt. Beim An- und Abschwellenlassen lassen sich folgende musikalische Ziesetzungen veroflgen:

  • Erzeugen eines zentrierten, geräuschfreien Tones
  • Kontrolle über die Klangfarbe
  • Stabilität der Intonation
  • Dynamisch ruhige Tonfühurng, kontinuierliche dynamische Entwicklung

Spieltechnische Umsetzung

Zu Beginn nur in der in der Chalumeaulage üben: Ist hier genügend Sicherheit in der Tongebung erreicht, kann progressiv bis in die hohe Lage aufgestiegen werden. Beim Doppellippenansatz bedecken Ober- und Unterlippen die Zähne. Das Blatt berührt die Unterlippe und die oberen Zähne haben keinen Kontakt mit dem Mundstück. Mundstück und Blatt werden von den Lippen "umhüllt" (franz: "enveloppé")[8]. Diese Ansatzform lässt sich nur mit relativ leichteren Blättern und relativ geringerem Druck, welcher durch die Haltearbeit in Kombination mit der Ansatzformung und nicht durch den Unterkiefer erzeugt werden muss, realisieren. Die Kieferöffnung muss vor dem Ansetzen des Tones stabilisiert sein. Der geringe, aber notwendige Druck, den die Lippen auf das Blatt ausüben, kann durch zwei zu kombinierende Kräfte erzeugt werden:

  1. Nach der Ansatzformung, einer leichten Kieferöffung, und nach dem Einsetzten der Luftführung wird das Instrument von einem zu geringem Kontakt mit den Lippen durch die Haltearbeit bis zur Ansatzlinie geführt.
  2. Nach einer zu lockeren Ansatzformung (Doppellippenansatz), der leichten Kieferöffung, dem Ansetzen des Instrumentes durch die Haltearbeit und nach dem Einsetzten der Luftführung wird der Klang durch den Übergang von der zu lockeren zu einer bewusst verstärkten Ansatzformung - die Mundwinkel schliessen sich dabei! - hervorgerufen.
  3. Achte auf einen bewussten Ausgleich von Luftmenge und Luftdruck (siehe Atemstütze)
  4. Achte auf eine aufrechte Spielhaltung, allgemeine Körperhaltung
  5. Übe mit rotierender Aufmerksamkeit auf diese Anweisungen, um schliesslich die Spielbewegungen zu automatisieren und Sicherheit in den musikalichen Zielsetzngen zu erlangen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Johanna Gutzwiller: Körperklang - Klangkörper: ein Arbeitsbuch über Körperarbeit für Chorleiter, Sänger und Instrumentalisten, S.38. Musiked. Nepomuk, Aarau 1997
  2. 2,0 2,1 Larry Guy und Daniel Bonade: The Daniel Bonade Workbook: Bonade’s Fundamental Playing Concepts, with Illustrations, Exercises, and an Introduction to the Orchestral Repertoire. Rivernote Press, Stony Point, New York 2007 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Guy“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  3. Keith Stein: The Art of Clarinet Playing, S. 12 Princeton, N.J. ©1958. [1] eingesehen am 15. Mai 2015
  4. Luc D.M.A Jackman: Early Clarinet Performance as Described by Modern Specialists, with a Performance Edition of Mathieu Frédéric Blasius’s IIe Concerto de clarinette. (2005), P. 40
  5. Joe Wolwe: Clarinet Acoustics. http://www.phys.unsw.edu.au/jw/z.html
  6. Keith Stein: The Art of Clarinet Playing. Summy-Birchard, 1958.
  7. John Patrick Graulty: The status of the double-lip clarinet embouchure in present-day pedagogy and performance: A study of college clarinet instructors and symphony orchestra clarinetists. EdD from Columbia University, Teachers College 1989
  8. Frédéric Berr, Prospère Mimart: Méthode complet de clarinette, Leduc, Paris 1836, S.4 und 1907 S.4