Haltearbeit: Unterschied zwischen den Versionen

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== Mit Daumenstütze ==
== Mit Daumenstütze ==
=== Iwan Müller, Carl Baermann ===
=== Iwan Müller, Carl Baermann ===
Die Daumenstütze für die rechte Hand kam erst in Gebrauch, nachdem  [http://de.wikipedia.org/wiki/Iwan_M%C3%BCller_%28Musiker%29 Iwan Müller] um 1812 die Neuerungen im Instrumentenbau vorangetrieben hatte: seine neue 13-klappige [https://books.google.ch/books?id=Hnh0G2wrJvsC&pg=PA133&lpg=PA133&dq=clarinette+omnitonique&source=bl&ots=vlBWSVyNXJ&sig=s-UVtpMHPzDiZRJqgNQn2NfonTs&hl=de&sa=X&ved=0CCgQ6AEwAWoVChMIhdC44P2rxwIVyLgaCh2JdgZd#v=onepage&q=clarinette%20omnitonique&f=false „clarinette omnitonique“]<ref>Eric Hoeprich: ''The clarinet'', P. 133. Yale University Press, Yale 200</ref> ermöglichte das Spiel in allen Tonarten, Klappenmechanismen vereinfachten die Bewegungsabläufe. Es entstanden neue und einfachere Griffkombinationen, welche die Gabelgriffe ersetzten. Dies hatte zur Folge, dass nun auch die kurzen Töne f' fis' und g’ ohne Beteiligung der rechten Hand ("Abdecken" zwecks Intonationskorrektur) spielbar waren.  
Die Daumenstütze für die rechte Hand kam erst in Gebrauch, nachdem  [http://de.wikipedia.org/wiki/Iwan_M%C3%BCller_%28Musiker%29 Iwan Müller] um 1812 die Neuerungen im Instrumentenbau vorangetrieben hatte: seine neue 13-klappige [https://books.google.ch/books?id=Hnh0G2wrJvsC&pg=PA133&lpg=PA133&dq=clarinette+omnitonique&source=bl&ots=vlBWSVyNXJ&sig=s-UVtpMHPzDiZRJqgNQn2NfonTs&hl=de&sa=X&ved=0CCgQ6AEwAWoVChMIhdC44P2rxwIVyLgaCh2JdgZd#v=onepage&q=clarinette%20omnitonique&f=false „clarinette omnitonique“]<ref>Eric Hoeprich: ''The clarinet'', P. 133. Yale University Press, Yale 2012</ref> ermöglichte das Spiel in allen Tonarten, Klappenmechanismen vereinfachten die Bewegungsabläufe. Es entstanden neue und einfachere Griffkombinationen, welche die Gabelgriffe ersetzten. Dies hatte zur Folge, dass nun auch die kurzen Töne f' fis' und g’ ohne Beteiligung der rechten Hand ("Abdecken" zwecks Intonationskorrektur) spielbar waren.  


Durch die Technik, mit der Daumenstütze das Gewicht der Klarinette ausschliesslich auf den rechten Daumen zu verlagern, wurde die Haltearbeit in sich statischer, was auch zu Überbelastungen des Daumengrundgelenkes führen konnte. Die Erfindung der rechten Daumenklappe - sie ermöglichte das Legatospiel zwischen h<sup>1</sup> und cis<sup>2</sup> - und das zunehmende Gewicht der Instrumente veränderte zusätzlich die Statik bei der Haltearbeit. Diese Technik, die Klarinette mit sanftem Druck zum Ansatz heranzuführen und dadurch die Kontrolle des Blattes zu beeinflussen, trat in den Hintergrund. Mit einer ausschliesslich vom rechten Daumen geleisteten Haltearbeit verbindet sich jedoch die Gefahr, durch die Kiefermuskulatur zu viel Druck auf das Blatt auszuüben. Bei diesem erhöhten Ansatzdruck kann nicht mehr mit Doppellippenansatz gespielt werden.  
Durch die Technik, mit der Daumenstütze das Gewicht der Klarinette ausschliesslich auf den rechten Daumen zu verlagern, wurde die Haltearbeit in sich statischer, was auch zu Überbelastungen des Daumengrundgelenkes führen konnte. Die Erfindung der rechten Daumenklappe - sie ermöglichte das Legatospiel zwischen h<sup>1</sup> und cis<sup>2</sup> - und das zunehmende Gewicht der Instrumente veränderte zusätzlich die Statik bei der Haltearbeit. Diese Technik, die Klarinette mit sanftem Druck zum Ansatz heranzuführen und dadurch die Kontrolle des Blattes zu beeinflussen, trat in den Hintergrund. Mit einer ausschliesslich vom rechten Daumen geleisteten Haltearbeit verbindet sich jedoch die Gefahr, durch die Kiefermuskulatur zu viel Druck auf das Blatt auszuüben. Bei diesem erhöhten Ansatzdruck kann nicht mehr mit Doppellippenansatz gespielt werden.  

Version vom 15. August 2015, 22:18 Uhr

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Haltearbeit und allgemeine Körperhaltung

Auf Armen, Händen und auf den Fingern ruht das Gewicht des Instrumentes. Es ist offensichtlich, dass dabei dem Daumen der rechten Hand die Hauptaufgabe der Haltearbeit zufällt. Durch ein Drehmoment entsteht ein weiterer Fixpunkt zwischen Mundstück und oberer Zahnreihe (oder Oberlippe). Die Haltearbeit führt aber auch das Instrument zum Ansatz. Die Wechselwirkungen zwischen Haltearbeit, Ansatz und Position des Kopfes beinflussen die Qualität des gesamten Klarinettenspiels.

Amand Vanderhagen

Amand Vanderhagen beginnt das erste Kapitel seiner Méthode:

„Cet article est très interessant pour les Commençans, tant pour acquérir de la grace en jouant, que pour éviter la gêne qui resulte ordinairement des mauvaises positions; il fault donc, en portant la clarinette à la bouche, ne poit avancer la tète, ni la baisser, par ce que cela empêche de respirer librement.“

Dieses Kapitel ist für die Anfänger sehr wichtig, sowohl um die Anmut beim Spiel zu erreichen, wie auch ein Unbehagen zu vermeiden, das normalerweise aus schlechten Haltungen resultiert. Man darf folglich, beim Ansetzen der Klarinette an den Mund, keinesfalls den Kopf nach vorne strecken, weder ihn nach vorne neigen, denn das verhindert das freie Atmen.

Vanderhagen, Amand: Méthode Nouvelle et raisonnée[1]

Ohne Daumenstütze

Franz Joseph Fröhlich

Mit den früheren 6-klappigen Instrumenten organisierte sich die Haltearbeit - ohne Daumenstütze - in verschiedenen Griff-Kombinationen mit dem Daumen und den übrigen Fingern der rechten Hand. Ein Hinweis darauf findet sich in Franz Joseph Fröhlichs[2] Unterrichtswerk von 1811:

„Den rechten Daumen setzte man unter das Clarinett zwischen dem Zeige-und Mittelfinger (besser etwas tiefer, als zu hoch, weil das Clarinett meisten Theils [also nicht nur!] die Haltearbeit von diesem Finger erhält)... Der rechte Daumen als die Hauptstütze des Instrumnetes, darf nie von seinem Platze kommen.“

Franz Joseph Fröhlich: Clarinettenschule[2]

Frédéric Berr

Eindeutig wird die Beteiligung der linken Hand an der Haltearbeit in der "Méthode complète" von Frédéric Berr[3] beschrieben:

„Le poids de l'instrument repose en partie sur la main gauche..."“

Das Gewicht des Instrumentes liegt zum Teil auf der linken Hand...

Berr, Frédéric: Méthode complète[3]

Aus klanglichen und physiologischen Gründen, sowie aus historischer Sicht macht es Sinn, die linke Hand in die Haltearbeit einzubeziehen. In vielen Situationen lässt sich durch eine Aufteilung der Gewichtsbelastung auf rechte und linke Hand auch mehr Leichtigkeit in der Fingertechnik erzielen. Siehe weiter unten Haltearbeit rechte und linke Hand

Mit Daumenstütze

Iwan Müller, Carl Baermann

Die Daumenstütze für die rechte Hand kam erst in Gebrauch, nachdem Iwan Müller um 1812 die Neuerungen im Instrumentenbau vorangetrieben hatte: seine neue 13-klappige „clarinette omnitonique“[4] ermöglichte das Spiel in allen Tonarten, Klappenmechanismen vereinfachten die Bewegungsabläufe. Es entstanden neue und einfachere Griffkombinationen, welche die Gabelgriffe ersetzten. Dies hatte zur Folge, dass nun auch die kurzen Töne f' fis' und g’ ohne Beteiligung der rechten Hand ("Abdecken" zwecks Intonationskorrektur) spielbar waren.

Durch die Technik, mit der Daumenstütze das Gewicht der Klarinette ausschliesslich auf den rechten Daumen zu verlagern, wurde die Haltearbeit in sich statischer, was auch zu Überbelastungen des Daumengrundgelenkes führen konnte. Die Erfindung der rechten Daumenklappe - sie ermöglichte das Legatospiel zwischen h1 und cis2 - und das zunehmende Gewicht der Instrumente veränderte zusätzlich die Statik bei der Haltearbeit. Diese Technik, die Klarinette mit sanftem Druck zum Ansatz heranzuführen und dadurch die Kontrolle des Blattes zu beeinflussen, trat in den Hintergrund. Mit einer ausschliesslich vom rechten Daumen geleisteten Haltearbeit verbindet sich jedoch die Gefahr, durch die Kiefermuskulatur zu viel Druck auf das Blatt auszuüben. Bei diesem erhöhten Ansatzdruck kann nicht mehr mit Doppellippenansatz gespielt werden.

Seit der Erfindung der Daumenstütze und seit der Weiterentwicklung des Klappensystems ist es eine der grössten Herausforderungen, bei der Ansatzformung nicht auf das Mundstück zu beissen und dadurch einen Teil der Haltearbeit zu kompensieren. Konnte das sechsklappige Instrument beim Spielen noch mit Gabelgriffen in Kombination von linker und rechter Hand in Balance gehalten werden, ging die Stabilität beim Spiel mit Klappengriffen (Seitenklappen, bedient durch Zeigefinder der rechten Hand) anstellle von Gabelgriffen etwas verloren. Die verlorene Stabilität konnte durch das Übersichblasen, bei welchem die Zähnen festen Kontakt mit dem Mundstück haben, kompensiert werden. Gleichzeitig erhöhten sich die fingertechnischen Ambitionen der Epoche. Siehe dazu Carl Baermann, Klarinettenschule S.5:

„...und die Sicherheit wenigstens die doppelte ist.“

Baermann, Carl: Clarinettenschule[5]

Siehe dazu auch die Bemerkung von Frédérique Berr „mordre sur le bec“ in seiner "Méthode" S. 3.

Vor der Belastung alle Daumengelenke stabilisieren

Es empfiehlt sich, alle Gelenke des rechten Daumens und durch die involvierten Muskeln und Bänder zu stabilisieren. Dieses leicht gerundete Gesamtbild des Daumens schont die Gelenke und favorisiert gleichzeitig die Gelenkstellungen der anderen Finger. So kann gewährleistet werden, dass kein Gelenk durch das Gewicht des Instrumentes oder durch Betätigen von Klappen einknickt. Je nach Handgrösse ist eine mehr oder weniger gebogene Form der Finger anzustreben, um unnötige Spannungen in der Hand zu vermeiden. Leicht gerundete Finger ermöglichen grössere Beweglichkeit. Häufig sind Probleme der Geläufigkeit auf eine ungünstige Form und Belastung des rechten Daumens zurückzuführen. [6], Siehe auch Fingertechnik.

Haltearbeit rechte und linke Hand

Wird das Instrument nur mit der linken Hand in Spielposition gehalten, entsteht durch ein Drehmoment ein deutlich spürbarer Druck auf die oberen Schneidezähne. Dies erlaubt uns, die Blattschwingung mit nur minimalem Druck auf der Unterlippe zu kontrollieren und gleichzeitig lässt sich der rechte Daumen (je nach musikalischem Zusammenhang) von der Haltearbeit entlasten. Zusätzlich können die die kleinen Finger - je nach Möglichkeit auch weitere Finger links und rechst - stabilisierend in die Haltearbeit einbezogen werden. So lässt sich das Instrument auf mehreren Fixpunkten zwischen der oberen Zahnreihe und mehreren Fingern balancieren. Die Haltearbeit erfolgt in Abrbeitsteilung, der rechte Daumen kann etwas entlastet werden.

Haltearbeit und Ansatzdruck

Siehe auch Ansatz, traditionelle Formen und Ansatzlinie

In der historischen Tradition des "Übersichblasens" hat sich eine Funktion der rechten Hand (nicht nur des Daumens) etabliert, welche - kombiniert mit der Haltearbeit - einen leichten und modifizierbaren Druck in Richtung Ansatz erzeugt. Die Haltearbeit und nicht die Kiefermuskulatur bestimmt somit den Druck, der auf das Blatt ausgeübt wird. Es kann für die Druckverteilung im Ansatzbereich vorteilhaft sein, auch die linke Hand in die Haltearbeit zu involvieren.

Haltearbeit und Ansatzlinie

Siehe auch Ansatz, traditionelle Formen und Ansatzlinie

Auf die Ansatzformung folgt das Ansetzen des Instrumentes durch eine bewusst ausgeführte Haltearbeit. Die Haltearbeit des Instrumentes ist eng mit der Ansatzformung verbunden, da sie die klangrelevanten Faktoren wie Ansatzlinie und auf das Blatt einwirkender Druck entscheidend beeinflussen kann. Unter der Ansatzlinie versteht man die Linie, auf welcher das Blatt auf Unter- (oder Ober-)Lippe aufliegt. Die Ansatzlinie bestimmt die Grösse der Blattfläche, welche frei schwingen kann.

Der Druck, der auf das Klarinettenblatt ausgeübt wird, ist vom Einsatz der Kaumuskulatur und von der Haltearbeit in Kombination mit der Kieferstellung abhängig. Es ist von Vorteil, den Kiefer durch gleichzeitigen Einsatz von Mund öffnender und Mund schliessender Muskeln zu stabilisieren. Wird bei der Ansatzformung nur die schliessende Kiefermuskulatur (M. Masseter) aktiviert, entsteht ein zu grosser Druck auf das Klarinettenblatt und die Klangqualität wird negativ beeinflusst.

Vorgehen

Abbildung A

In einem ersten Schritt das Klarinettenmundstück ca. 1 cm von der Spitze entfernt an den oberen Schneidezähnen ansetzen. Es bleibt ein Zwischenraum zwischen Blatt und Unterlippe (Abb. A).

Es gibt drei Möglichkeiten, den Kontakt zwischen Blatt und Unterlippe herzustellen (bitte ausprobieren):

Abbildung B

1. Der Unterkiefer wird nach oben gezogen (Abb. B); Diese Bewegung wird mit der kräftigen Kiefermuskulatur gesteuert.

Nachteile
Die frei schwingende Fläche des Blattes wird kleiner
Der Druck der Unterlippe trifft das Blatt an einer bereits dünnen Stelle, der Abstand zum Mundstück verringert sich, es bleibt wenig Spielraum für die Schwingung des Blattes
Die Bahnöffnung ist an dieser Stelle bereits etwas grösser, was die Hebelwirkung der Kraft auf das Blatt verstärkt. Der 1. und 2. beschrieben Effekt verdoppelt sich
Die Unterlippe läuft Gefahr, durch die kräftige Kiefermuskulatur zwischen Blatt und unterer Zahnreihe lädiert zu werden

Siehe auch Frédéric Berr, Traité 1836 zum Thema "Beissen"

Abbildung C

2. Keith Stein zieht bei bestimmten physiologischen Bedingungen in Betracht, den Unterkiefer nach vorne zu schieben (Abb. C).

Vorteil
Die frei schwingende Fläche des Blattes wird grösser
Nachteil
Diese Kieferposition kann eine ungünstige Spannung auf den Kehlkopf ausüben
Abbildung D

3. Der Winkel zwischen Klarinette und Oberkörper wird durch eine Bewegung der Arme soweit verkleinert, bis ein Kontakt mit der Unterlippe entsteht (Abb. D). Zusätzlich kann beim Spiel der hohen Lage durch die Haltearbeit in Richtung Ansatz ein leichter Druck auf das Blatt erzeugt werden. Dadurch verschiebt sich die Ansatzlinie am Blatt ein wenig nach unten. [7]:

Vorteile
Die Kieferposition bleibt dabei geöffnet und flexibel
Die frei schwingende Fläche des Blattes ist optimal gross

Einzelnachweise

  1. Amand Vanderhagen: Méthode Nouvelle et Raisonnée pour la clarinette. Boyer, Paris, 1785. elearning.hslu.ch
  2. 2,0 2,1  Franz-Joseph Fröhlich: Vollständige theoretisch-pracktische Musikschule für alle beym Orchester gebräuchliche wichtigere Instrumente zum Gebrauch für Musikdirectoren - Lehrer und Liebhaber; Clarinettenschule. Simrock, Bonn 1811 (Bayerische Staatsbibliothekdigital).
  3. 3,0 3,1  Frédéric Berr: Méthode complète de Clarinette, adoptée au Conservatoire de Musique de Paris. J. Meissonnier, Paris 1836.
  4. Eric Hoeprich: The clarinet, P. 133. Yale University Press, Yale 2012
  5. Carl Baermann: Vollständige Clarinett-Schule: von dem ersten Anfang bis zur höchsten Ausbildung des Virtuosen; Ertser Theil Op.63. Johann André, Offenbach/Main 1861. Bayerische Staatsbibliothekdigital
  6. Paolo Beltramini, Interview mit Heinrich Mätzener, Dezember 2013 (n.publ.)
  7.  Larry Guy: The Daniel Bonade Workbook. Riverside Press, Stony Point, New York 2000.