Historisch informiert: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Cladid-Wiki
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
(9 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
[[Kategorie:Interpretation]]
[[Kategorie:Interpretation]]
Der Begriff '''historisch informiert''' nimmt Beguz auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Historische_Auff%C3%BChrungspraxis historisch informierte Aufführungspraxis, Wikipedia].  
Der Begriff '''historisch informiert''' nimmt Bezug auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Historische_Auff%C3%BChrungspraxis historisch informierte Aufführungspraxis, Wikipedia].  
Auch beim Spiel mit modernem Klarinetten-Instrumnetarium lohnt sich ein das Bestreben, die Werke '''historisch informiert''' wiederzugeben. Dies erfordert vertiefte Auseinandersetzungen mit Apsekten der [[Artikulation#Variabilität der Artikulation|Artikulation]] (siehe auch [https://de.wikipedia.org/wiki/Artikulation_%28Musik%29]), [https://de.wikipedia.org/wiki/Phrasierung Phrasierung], [[Intonation]] und mit der [[#Verzierungslehre|Verzierungslehre]].  
Es geht dabei um den Anspruch, sich bei der Interpretation den ursprünglichen Intentionen des Komponisten bestmöglichst anzunähern. Auch beim Spiel mit modernem Klarinetten-Instrumentarium ist dies durch vertiefte Auseinandersetzungen mit Aspekten der [[Artikulation#Variabilität der Artikulation|Artikulation]] (siehe auch [https://de.wikipedia.org/wiki/Artikulation_%28Musik%29]), [https://de.wikipedia.org/wiki/Phrasierung Phrasierung], [[Intonation]] und mit der [[#Verzierungslehre|Verzierungslehre]] möglich. Diese Auseinandersetzungen beeinflussen auch die Arbeit an den entsprechenden Parametern der [[:Kategorie:Grundtechnik|Grundtechnik]].


Das Verständis des Begriffspaares [https://de.wikipedia.org/wiki/Artikulation_%28Musik%29#Artikulation_und_Phrasierung Artikulation_und_Phrasierung] verdeutlicht exemplarisch wie die Lesart eines Textes die musikalische Bedeutung einer Stelle verändern kann.
Wie die Lesart eines Textes die musikalische Bedeutung verändern kann, lässt sich exemplarisch am Begrifsspaar [https://de.wikipedia.org/wiki/Artikulation_%28Musik%29#Artikulation_und_Phrasierung Artikulation und Phrasierung] verdeutlichen.  
== Cantabile und Suonabile ==
== Cantabile und Suonabile ==
Das Begriffspaar '''cantabile suonabile''', das in der Instrumentaldidaktik des 18. Jh. in Italien eine wichtige Rolle spielte, bezeichnet zwei gegensätzliche Ausdrucksarten der musikalischen [[:Kategorie:Interpretation|Interpretation]]. Das cantabile (wörtlich: singend, sangbar, den Gesang nachahmend) wird der Spielweise suonabile (spielbar, das instrumental-bravouröse betonend) gegenübergestellt.  
Das Begriffspaar '''cantabile suonabile''', das in der Instrumentaldidaktik des 18. Jh. in Italien eine wichtige Rolle spielte, bezeichnet zwei gegensätzliche Ausdrucksarten der musikalischen [[:Kategorie:Interpretation|Interpretation]]. Das cantabile (wörtlich: singend, sangbar, den Gesang nachahmend) wird der Spielweise suonabile (spielbar, das instrumental-bravouröse betonend) gegenübergestellt.  
Während das "Singen auf dem Instrument" als zentrale Aufforderung die in vielen Unterrichtswerken anztreffen ist, und auch die Spielanweisung "cantabile" verbreitet ist, findet der Begriff suonabile nördlich der Alpen keine Verwendung als Spielanweisung. Die Entscheidung, welche Spielart anzuwenden ist, iegt im Ermessen des Interpreten.  
Während das „Singen auf dem Instrument“ als zentrale Aufforderung die in vielen Unterrichtswerken anzutreffen ist, und auch die Spielanweisung „cantabile“ verbreitet ist, findet der Begriff suonabile nördlich der Alpen keine Verwendung. Die Entscheidung, welche Spielart anzuwenden ist, liegt im Ermessen des Interpreten.  


Claire Genewein <ref name="cantabile"> Claire Genewein: ''Vokales Instrumentalspiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Aufführungspraxis italienischer Instrumentalmusik in der Auseinandersetzung mit Vokalmusik und Text: Quellen und moderne Umsetzung.'' Academy of Creative and Performing Arts, Faculty of Humanities. Leiden, 2014[https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/26920/02.pdf?sequence=12]</ref> widmet sich der Bedeutung des Begriffspaars '''canatbile suonabile''' und zitiert in ihrer Dissertation Carlo Luigi Benvenuto Robbio, Conte di San Raffaele:
Claire Genewein <ref name="cantabile"> Claire Genewein: ''Vokales Instrumentalspiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Aufführungspraxis italienischer Instrumentalmusik in der Auseinandersetzung mit Vokalmusik und Text: Quellen und moderne Umsetzung.'' Academy of Creative and Performing Arts, Faculty of Humanities. Leiden, 2014[https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/26920/02.pdf?sequence=12]</ref> widmet sich der Bedeutung des Begriffspaars '''canatbile suonabile''' und zitiert in ihrer Dissertation Carlo Luigi Benvenuto Robbio, Conte di San Raffaele:
{{Zitat
{{Zitat
| Text        = Debbesi in oltre avvertire, che qualsivoglia ben tessuta suonata è un vero discorso composto di frasi e di periodi, dove con ordinata succession e si avvicendano il Cantabile, ed il Suonabile . Il Cantabile è  sempre il più semplice e il più espressivo; perciò si dee suonare schietto, pulito, e più coll’anima che colle mani. Il Suonabile è il più vario, il più ornato, e fantastico, ed in esso dee apparir la forza, la speditezza, e tu tta in somma la valenzia del suonatore.  
| Text        = Debbesi in oltre avvertire, che qualsivoglia ben tessuta suonata è un vero discorso composto di frasi e di periodi, dove con ordinata succession e si avvicendano il Cantabile, ed il Suonabile . Il Cantabile è  sempre il più semplice e il più espressivo; perciò si dee suonare schietto, pulito, e più coll’anima che colle mani. Il Suonabile è il più vario, il più ornato, e fantastico, ed in esso dee apparir la forza, la speditezza, e tutta in somma la valenzia del suonatore.  
| Autor      = Carlo Luigi Benvenuto Robbio, Conte di San Raffaele.  
| Autor      = Carlo Luigi Benvenuto Robbio, Conte di San Raffaele.  
| Quelle      = [https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/26920/02.pdf?sequence=12]
| Quelle      = [https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/26920/02.pdf?sequence=12]
| Übersetzung = ''Man muss außerdem darauf hinweisen, dass jede gut komponierte Sonate ein richtiges aus Sätzen und
| Übersetzung = ''Man muss außerdem darauf hinweisen, dass jede gut komponierte Sonate ein richtiges aus Sätzen und Perioden zusammengesetztes Gespräch ist, wo in ordentlicher Abfolge sich das Sangbare und das Spielbare abwechseln. Das '''Cantabile''' ist immer das Einfachere und das Ausdrucksvollere; daher muss man es rein, sauber und mehr mit der Seele als mit den Händen spielen. Das '''Suonabile''' ist abwechslungsreicher, ausgeschmückter und fantastischer, und in ihm muss die Kraft, die Behendigkeit und insgesamt alle Güte des Spielers aufscheinen.
Perioden zusammengesetztes Gespräch ist, wo in ordentlicher Abfolge sich das Sangbare und das Spielbare abwechseln. Das '''Cantabile''' ist immer das Einfachere und das Ausdrucksvollere; daher muss man es rein, sauber und mehr mit der Seele als mit den Händen spielen. Das '''Suonabile''' ist abwechslungsreicher, ausgeschmückter und fantastischer, und in ihm muss die Kraft, die Behendigkeit und insgesamt alle Güte des Spielersaufscheinen.
| lang        = it
| lang        = it
}}
}}


Die Orientierung für die Interpretation reiner Instrumnetalmusik verläuft in diesem Sinne auf der direkten Linie vom Instrumentalen über den Gesang zum Text: Die im Italien des ausgehenden 18. Jh. gebräuchliche Unterrichtspraxis unterlegte reiner Instrumentalmusik Texte (siehe Robbio 1765 in Genewein 2014, S. 65) <ref name="Cantabile"> Kapitel I.1.4. Das vierte Kapitel: Della verità del suono </ref> [https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/26920/02.pdf?sequence=12], um mit dieser Methode das Instrumentalspiel in die Nähe des gesanglichen Ausdruckes zu rücken. Darin findet die Phantasie für Differenzierung in Artikulation, Dynamik, Agogik ihren Ursprung und vermag dem emotionalen, situativen und spirituellen Gehalt der Musik Ausdruck zu verleihen.
Die Orientierung für die Interpretation reiner Instrumentalmusik verläuft in diesem Sinne auf der direkten Linie vom Instrumentalen über den Gesang zum Text: Die im Italien des ausgehenden 18. Jh. gebräuchliche Unterrichtspraxis unterlegte reiner Instrumentalmusik Texte (siehe Robbio 1765 in Genewein 2014, S. 65) <ref name="Cantabile"> Kapitel I.1.4. Das vierte Kapitel: Della verità del suono </ref> [https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/26920/02.pdf?sequence=12], um mit dieser Methode das Instrumentalspiel in die Nähe des gesanglichen Ausdruckes zu rücken. Darin findet die Phantasie für Differenzierung in Artikulation, Dynamik, Agogik ihren Ursprung und vermag dem emotionalen, situativen und spirituellen Gehalt der Musik Ausdruck zu verleihen.


== Verzierungslehre ==
== Verzierungslehre ==

Version vom 15. August 2015, 22:51 Uhr

Der Begriff historisch informiert nimmt Bezug auf historisch informierte Aufführungspraxis, Wikipedia. Es geht dabei um den Anspruch, sich bei der Interpretation den ursprünglichen Intentionen des Komponisten bestmöglichst anzunähern. Auch beim Spiel mit modernem Klarinetten-Instrumentarium ist dies durch vertiefte Auseinandersetzungen mit Aspekten der Artikulation (siehe auch [2]), Phrasierung, Intonation und mit der Verzierungslehre möglich. Diese Auseinandersetzungen beeinflussen auch die Arbeit an den entsprechenden Parametern der Grundtechnik.

Wie die Lesart eines Textes die musikalische Bedeutung verändern kann, lässt sich exemplarisch am Begrifsspaar Artikulation und Phrasierung verdeutlichen.

Cantabile und Suonabile

Das Begriffspaar cantabile suonabile, das in der Instrumentaldidaktik des 18. Jh. in Italien eine wichtige Rolle spielte, bezeichnet zwei gegensätzliche Ausdrucksarten der musikalischen Interpretation. Das cantabile (wörtlich: singend, sangbar, den Gesang nachahmend) wird der Spielweise suonabile (spielbar, das instrumental-bravouröse betonend) gegenübergestellt. Während das „Singen auf dem Instrument“ als zentrale Aufforderung die in vielen Unterrichtswerken anzutreffen ist, und auch die Spielanweisung „cantabile“ verbreitet ist, findet der Begriff suonabile nördlich der Alpen keine Verwendung. Die Entscheidung, welche Spielart anzuwenden ist, liegt im Ermessen des Interpreten.

Claire Genewein [1] widmet sich der Bedeutung des Begriffspaars canatbile suonabile und zitiert in ihrer Dissertation Carlo Luigi Benvenuto Robbio, Conte di San Raffaele:

„Debbesi in oltre avvertire, che qualsivoglia ben tessuta suonata è un vero discorso composto di frasi e di periodi, dove con ordinata succession e si avvicendano il Cantabile, ed il Suonabile . Il Cantabile è sempre il più semplice e il più espressivo; perciò si dee suonare schietto, pulito, e più coll’anima che colle mani. Il Suonabile è il più vario, il più ornato, e fantastico, ed in esso dee apparir la forza, la speditezza, e tutta in somma la valenzia del suonatore.“

Man muss außerdem darauf hinweisen, dass jede gut komponierte Sonate ein richtiges aus Sätzen und Perioden zusammengesetztes Gespräch ist, wo in ordentlicher Abfolge sich das Sangbare und das Spielbare abwechseln. Das Cantabile ist immer das Einfachere und das Ausdrucksvollere; daher muss man es rein, sauber und mehr mit der Seele als mit den Händen spielen. Das Suonabile ist abwechslungsreicher, ausgeschmückter und fantastischer, und in ihm muss die Kraft, die Behendigkeit und insgesamt alle Güte des Spielers aufscheinen.“

Carlo Luigi Benvenuto Robbio, Conte di San Raffaele.: [3]

Die Orientierung für die Interpretation reiner Instrumentalmusik verläuft in diesem Sinne auf der direkten Linie vom Instrumentalen über den Gesang zum Text: Die im Italien des ausgehenden 18. Jh. gebräuchliche Unterrichtspraxis unterlegte reiner Instrumentalmusik Texte (siehe Robbio 1765 in Genewein 2014, S. 65) [2] [4], um mit dieser Methode das Instrumentalspiel in die Nähe des gesanglichen Ausdruckes zu rücken. Darin findet die Phantasie für Differenzierung in Artikulation, Dynamik, Agogik ihren Ursprung und vermag dem emotionalen, situativen und spirituellen Gehalt der Musik Ausdruck zu verleihen.

Verzierungslehre

Die Zeichen der Verzierungen werden je nach Epoche unterschiedlich ausgeführt. Einen Überblick vermittelt Wikipedia-Seite.

Die Geschichte der Klarinettenliteratur setzt mit den um 1748 komponierten sechs Konzerten für hohe Klarinette, Streicher und BC von Johann Melchior Molter im Spätbarock ein[3]. In einer Epoche, die der Verzierungskunst - entsprechend regionalen Traditionen - grosse Bedeutung zuwies. Musik war stark mit Sprache und Rhetorik verbunden, durch klare und variantenreiche Artikulation wurde ein sprechendes Musizieren gepflegt. Auch für das Verständnis der Kompositionen von W.A. Mozart, in dessen Kompositionen viele barocke Verzierungen als auskomponierte Figuren anzutreffen sind, ist eine Auseinandersetzung mit spätbarocker Verzierungskunst und Figurenlehre ratsam: siehe Philipp Emmanuel Bach (Deutsches Textarchiv), Leopold Mozart (archive.org), Jochim Quantz (Deutsches Textarchiv).

Einzelnachweise

  1. Claire Genewein: Vokales Instrumentalspiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Aufführungspraxis italienischer Instrumentalmusik in der Auseinandersetzung mit Vokalmusik und Text: Quellen und moderne Umsetzung. Academy of Creative and Performing Arts, Faculty of Humanities. Leiden, 2014[1]
  2. Kapitel I.1.4. Das vierte Kapitel: Della verità del suono
  3.  Johann Melchior Molter: Fünf Konzerte für hohe Klarinette (autograph). Badische Landesbibliothek Karlsruhe (Link).

Literatur

  • Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Berlin 1762. Deutsches Textarchiv
  • Alexandre Choron; Johann Georg Heinrich Backofen; J. Adrien de La Fage; J. Wenzel: Nouveau manuel de musique; ou, Encyclopédie musicale. Roret [et] Schonenberger, Paris 1830. (Seite XV und XVI) [5]
  • Claire Genewein: Vokales Instrumentalspiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Aufführungspraxis italienischer Instrumentalmusik in der Auseinandersetzung mit Vokalmusik und Text: Quellen und moderne Umsetzung. Academy of Creative and Performing Arts, Faculty of Humanities. Leiden, 2014.
  • Nikolaus Harnoncourt: Musik als Klangrede. Residenz, Salzburg 1982.
  • Heinrich Mätzener: Mise en harmonie par Amand Vanderhagen; Neu-Edition der «AIRS du Mariage de Figaro, Musique de W. A. Mozart (deuxième livraison)». Luzern, 2013 [6]
  • Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756. archive.org
  • Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin 1752 Deutsches Textarchiv
  •  Jean Claude Veilhan: Die Musik des Barock und ihre Regeln: (l7.-18. Jahrhundert): für alle Instrumente.. Paris 1982.