Interview mit MgA. Milan Rericha, Conservatorio della Svizzera italiana, Lugano: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Sensibilität der Unterlippe ===
=== Sensibilität der Unterlippe ===
Wenn ein Kind die Klarinette ganz natürlich in den Mund nimmt - die oberen Zähne berühren das Mundstück - liegt das Blatt auf der Unterlippe auf. Es ist darauf zu achten, dass die Unterlippe nicht zu weit über die untere Zahnreihe gezogen wird. Die Unterlippe soll an der Stelle, wo sie am sensibelsten ist, den Kontakt mit dem Blatt haben. Und diese Sensibilität muss bewusst für die Klangformung eingesetzt werden. Es ist die Partie der Lippe, die rot gefärbt ist, die das Blatt berühren muss. Mit dieser Partie kann Klang und Intonation moduliert werden. Wenn das in Ordnung ist, kann sich der Rest der Ansatzformung je nach individueller Disposition unterschiedlich gestalten und muss nicht einheitlich sein. Es sollte sich natürlich und bequem anfühlen, ein natürliches Blasen in die Klarinette zulassen und keine Verkrampfungen auslösen. Wenn es gut klingt und wenn es sich gut anfühlt, dann stimmt es.
Wenn ein Kind die Klarinette ganz natürlich in den Mund nimmt die oberen Zähne berühren das Mundstück liegt das Blatt auf der Unterlippe auf. Es ist darauf zu achten, dass die Unterlippe nicht zu weit über die untere Zahnreihe gezogen wird. Die Unterlippe soll an der Stelle, wo sie am sensibelsten ist, Kontakt mit dem Blatt haben. Und diese Sensibilität muss bewusst für die Klangformung eingesetzt werden. Es ist die Partie der Lippe, die rot gefärbt ist, die das Blatt berühren muss. Mit dieser Partie kann Klang und Intonation moduliert werden. Sobald diese Ausformung in Ordnung ist, kann sich der Rest der Ansatzformung je nach individueller Disposition unterschiedlich gestalten und muss nicht einheitlich sein. Es [der Ansatz] sollte sich natürlich und bequem anfühlen, ein natürliches Blasen in die Klarinette zulassen und keine Verkrampfungen auslösen. Wenn es gut klingt und wenn es sich gut anfühlt, dann stimmt es.


== Atemtechnik, Atemstütze und Luftführung ==
== Atemtechnik, Atemstütze und Luftführung ==

Version vom 4. August 2015, 19:51 Uhr

Das Interview mit M. A. Milan Rericha wurde am 10. Juni 2015 an der HSLU-Musik, Dreilinden geführt.

Didaktischer Kanon

HM: Behandelst du mit deinen Studenten kontinuierlich die Parameter der Grundtechnik anhand von Tonübungen, Tonleitern und spezifischen Übungen für die Fingertechnik, die Artikulation, die Intonation und die Ansprache? Oder arbeitest du an den Repertoire-Stücken und behandelst die Fragen der Grundtechnik anhand der aktuellen technischen Herausforderungen?

Grundtechnik als Voraussetzung künstlerischer Gestaltung

MR: Ich bin sehr auf die Arbeit an der Grundtechnik fokussiert. Wenn du ein guter Didaktiker und Pädagoge bist, arbeitest du mit den Studierenden konsequent an einer soliden Grundtechnik. Niemand kann Kunst machen, ohne die Basis gut zu beherrschen. Denn nur wer die Basis beherrscht, verfügt auch über die notwendige Freiheit, einen musikalischen Text gestalten zu können. Die Resultate eines Unterrichts, der sich zu früh und ausschliesslich auf die „Kunst“ konzentriert, sind – es tut mir leid – katastrophal: Keine zuverlässigen Einsätze, mangelhafte Intonation. Es wird zwar Kunst gemacht, aber alles in allem klingt diese seltsam.

Tonleitern

Dazu übe ich alle Tonleitern mit allen Varianten der Artikulation: Zuerst legato, wie Honig. Dabei geht es um die Kontrolle des Klanges, der Intonation und des Toneinsatzes. Der natürliche Charakter der Klarinette klingt unten ganz breit, oben ganz eng. Das muss man mit den Lippen, d.h. mit einer flexiblen Ansatzformung, korrigieren. So wird die Arbeit an den Tonleitern zur Arbeit am Klang.

Tonbildung

Tonbildung mit Messa di Voce

Das heisst: Jeden Tag 20 Minuten lang Töne aushalten. Als Student habe ich mich mit einer Uhr überprüft, bis ich die Töne 30 Sekunden lang aushalten konnte. Von pianissimo bis fortissimo und wieder zurück [messa di voce]. Natürlich klappte das nicht von Anfang an. Zuerst waren es 20 Sekunden, die ich dann sukzessive verlängert habe. Das hat mir für den Rest der Grundtechnik sehr geholfen. Tonübungen gehören auch heute noch zu meinem täglichen Programm, sofern dies irgendwie möglich ist. Gerade für meine solistischen Auftritte sind sie sehr wichtig. Darum ist es natürlich klar, dass ich das gleiche auch von meinen Studenten verlange.

Isoliertes Arbeiten an den Komponenten der Tonbildung

HM: Arbeitest du an den einzelnen, isolierten Komponenten, die es bei der Tonbildung zu berücksichtigen gilt?

MR: Im Idealfall ergänzt sich alles auf natürliche Weise. Von der Ausstrahlung und Bühnen-Präsenz sowie einem authentischen Spiel über die ideale Körperhaltung bis hin zur Flexibilität in der Ansatzformung. Aber viele Studenten sind nicht fähig dazu, sich selbst zu kontrollieren.

Haltung

Oft lasse ich die Studenten vor dem Spiegel üben. Manchmal muss man aber bewusst an den einzelnen Parametern arbeiten. Eine körperliche Dysbalance lässt sich an Ersatzbewegungen, wie z.B. den hochgezogenen Schultern, ablesen. Eine solche Dysbalance kann auch erst bei grösseren Belastungen wie einem Konzert oder einem Probespiel auftreten. Umso wichtiger ist es, dass der Lehrer seine Verantwortung wahrnimmt und schon in den Gruppenstunden darauf achtet, dass das körperliche Gleichgewicht in der Vorspiel Situation gewährleistet ist. Auch hinsichtlich einer Musikerkarriere, die ein ganzes Leben dauern soll, ist eine nachhaltige, körpergerechte Instrumentaltechnik etwas vom wichtigsten. Ich zögere auch nicht, bei spezialisierten Fachkräften der Alexandertechnik oder der Feldenkrais-Methode Unterstützung zu suchen. Bei Studenten, die sehr gut spielen aber gleichzeitig sehr verkrampft sind, empfiehlt es sich sehr, eine solche Hilfe herbeizuziehen. Im Idealfall ergänzen sich Musiker und Spezialisten der Körperarbeit in einer guten Zusammenarbeit. Wir [Fachkräfte] hören immer, wenn sich körperliche Spannungen negativ auf das musikalische Ergebnis auswirken. Da muss man reagieren.

Anblaswinkel

Die Haltung des Instrumentes ist auch sehr wichtig. Es braucht einen Winkel von 45° [zwischen Spieler und Instrument], damit man die volle Kontrolle über den Klang hat. Es sollte ein Gleichgewicht zwischen allgemeiner Körperhaltung, Haltung des Instrumentes und dem Ansatz hergestellt werden. Der Anblaswinkel darf nicht zu spitz sein, die Zwinge darf das Kinn nicht berühren.

Ansatzformung

Ich habe lange mit einer Ansatzformung gespielt, die dem Lächeln ähnelt. Das ist heute nicht mehr modern. Nach meinem Studium in Prag, hatte ich Unterricht bei Michel Arignon und Alain Damien in Paris. Obwohl Alain meinen Ansatz optisch – ich hatte die Lippen seitlich gespannt – fürchterlich fand, war er mit dem klanglichen Resultat zufrieden. Ich habe trotzdem daraufhin meinen Ansatz geändert und lernte die heute übliche, „runde“ Ansatzformung.

Der „runde“ Ansatz, das "0"

Ich habe beobachtet, dass sich die Lippen oval, wie ein Ei anfühlen sollen. Diese Form bleibt stets dieselbe, und muss gut ausgestaltet werden. Sie kann dabei ein bisschen enger oder ein bisschen weiter sein.

HM: Da du konsequent mit dieser ovalen Ansatzformung arbeitest, stellt sich nie das Problem ein, dass die Spieler in das Mundstück „beissen“?

MR: Natürlich nicht. Wenn die Leute immer „rund“ denken und diese Vorstellung des ovalen Ansatzes haben, ergibt sich eine grössere Öffnung beim Ansatz.

Der Ansatz muss rund geformt sein. Sobald seitlich Luft entweicht, ist in die Ansatzform entsprechend zu korrigieren. Luft entweicht dann, wenn die Lippen als parallel und übereinander, wie ein obere und eine untere Reihe wahrgenommen werden. Der Mund wird zwar optisch als Ober- und Unterlippe wahrgenommen, die Lippen bilden aber, wie es bei der Vokalformung „o“ sichtbar wird, eine Einheit. Bei dieser Vokalformung klingt alles fliessender, piu dolce, hat mehr Farbe. Ich sage immer: Der Ansatz soll sich wie ein Oval anfühlen, welches sich weiter und enger machen kann.

Vokalformung

Wenn man mit der Vorstellung dieses ovalen Ansatzes spielt, wirkt sich dies auch im Innenraum des Mundes positiv auf die Klangformung aus. Man sieht ja nicht, was sich in der Mundhöle alles abspielt und kann deshalb nicht wirklich konkrete Hinweise dazu geben. Die Vorstellung, ausgeprägt einen ovalen Ansatz zu formen, bewirkt hier – so meine Erfahrung – sehr viel.

Flexibilität je nach Registerlage

Die Flexibilität der Ansatzformung mit den Lippen ist sehr wichtig. Je nach aktueller Registerlage ist die Ansatzformung anzupassen. Oben erklingen weniger Obertöne, unten ist der Klang obertonreicher. Wir müssen versuchen, hier einen Ausgleich zu schaffen. Das ist unsere Aufgabe.

HM: Wie modifizierst du den Ansatz in der hohen bzw. in der tieferen Lage? Braucht die hohe Lage eine andere Ansatzformung als die tiefere Lage?

MR: Wenn man im oberen Register spielt, muss sich der Ansatz in seiner ovalen Form etwas weiten [mehr oder weniger, entsprechend der aktuell angestrebten Intonation] (siehe auch Staccato und Tonbildung. Im unteren Register zeichnet der Klang besser, wenn man den Ansatz entsprechend zentrierter ausformt. Er erhält mehr Kontur und ist kompakter.

Sensibilität der Unterlippe

Wenn ein Kind die Klarinette ganz natürlich in den Mund nimmt – die oberen Zähne berühren das Mundstück – liegt das Blatt auf der Unterlippe auf. Es ist darauf zu achten, dass die Unterlippe nicht zu weit über die untere Zahnreihe gezogen wird. Die Unterlippe soll an der Stelle, wo sie am sensibelsten ist, Kontakt mit dem Blatt haben. Und diese Sensibilität muss bewusst für die Klangformung eingesetzt werden. Es ist die Partie der Lippe, die rot gefärbt ist, die das Blatt berühren muss. Mit dieser Partie kann Klang und Intonation moduliert werden. Sobald diese Ausformung in Ordnung ist, kann sich der Rest der Ansatzformung je nach individueller Disposition unterschiedlich gestalten und muss nicht einheitlich sein. Es [der Ansatz] sollte sich natürlich und bequem anfühlen, ein natürliches Blasen in die Klarinette zulassen und keine Verkrampfungen auslösen. Wenn es gut klingt und wenn es sich gut anfühlt, dann stimmt es.

Atemtechnik, Atemstütze und Luftführung

Durchlässigkeit

Die Klarinette ist ein Blasinstrument. Hier kommt auch die Bedeutung eines ganzheitlichen Körper-Einsatzes zum Tragen. Vom Beckenboden bis zum Schallbecher der Klarinette muss eine Einheit entstehen, eine zusammenhängende Luftsäule. Eine unpassende Bewegung kann den Luftstrom in dieser Luftsäule empfindlich stören. Er muss vom Zwerchfell bis zum Becher ungehindert fliessen können. Bei jungen Leuten kann es auch noch ohne diese Durchlässigkeit funktionieren, beim Berufsmusiker kann dies aber zu Problemen führen. Es ist die Aufgabe und eine grosse Verantwortung des Lehrers, auf eine gute Körperhaltung zu achten. Probleme zeigen schlechten Körperhaltung zeigen sich im Klang, im Durchhaltevermögen beim Spielen, aber auch in den eingeschränkten Möglichkeiten zur musikalischen Gestaltung. Spielen mit schlechter Körperhaltung ist wie eine Reise mit ungewissem Ausgang.

Priorität in der Didaktik: Atemstütze oder Ansatz ?

HM: Der Zusammenhang von Ansatz und Atemstütze ist evident. Wo würdest du bei den Studenten du mit der Arbeit beginnen: bei der Atemstütze oder beim Ansatz?

MR: Bei Luftführung oder Atemstütze! Die Didaktik der „alten Schule“ ist bei der Herstellung des Klanges immer noch ausschliesslich auf [Ansatz und] Artikulation fokussiert. Von Luftführung oder Atemstütze wird gar nicht gesprochen. Sobald die Klarinette irgendwie klingt, genügt das schon. Aber es ist natürlich schwierig, einem Kind zu erklären, wie ein voller Klang hervorgebracht wird. Ich habe versucht, es so zu beschreiben: man sollte bei den Klangerzeugung denselben Druck aufbauen, wie wenn man auf der Toilette sitzt. [Achtung: um den nötigen Druck bei der Bauchpresse nach oben zu richten, müssen dabei als Antwortspannung zum Abdominaldruck die Muskeln des Beckenbodens aktiviert werden. Zudem dürfen sich im Kehlkopf die Stimmbänder nicht schliessen, der Gegendruck ist alleine durch die Ansatzformung gegeben, und folglich viel kleiner wie bei der Bauchpresse].

Vollatmung beim Einatmen

Oft haben die Schüler gehört: du musst mit dem Zwerchfell atmen. Aber wie geht das? Wo ist das Zwerchfell? Der Hinweis, tief nach unten, eben mit dem Zwerchfell einzuatmen, blockiert viele Leute. Man kann ja nicht ohne die Lungen einatmen! Es braucht eine Vollatmung. Man atmet in die Lunge [mit der Zwischenrippenmuskulatur] ein, unter Mitwirkung des Zwerchfelles. Das Zwerchfell ist ein Muskel und liegt zwischen Lungen und Magen. Und man muss wissen, wie man mit diesem Muskel arbeiten soll: wenn ich tief einatme, arbeitet dieser Muskel. Beim Ausatmen darf aber keinesfalls die Luft heraus gepresst werden; es ist wie bei einem Ballon. Das Austreten der Luft erfolgt immer durch dieselbe kleine Öffnung [diese Öffnung entspricht beim Blasinstrument der Ansatzformung]. Wenn der Ballon voll ist, tritt die Luft schneller aus. Wenn der Ballon Spannung verloren hat, verliert auch der Luftstrom an die Geschwindigkeit. Dasselbe erleben wir mit einer Vollatmung, welche die Brust- und die Zwerchfellatmung kombiniert.

Danach erfolgt das Anblasen der Klarinette auf natürliche Weise. Das ist sehr schwierig, und besonders für die Kinder. Aber mit dem Bild vom Ballon und mit dem Vergleich der Bauchpresse konnte ich auch Kindern eine Atemtechnik aufzeigen, die zu guten klanglichen Resultaten führte. Und es war auch lustig für die Kinder: sie erkennen den Zusammenhang von Atemtechnik und Klangqualität, die Thematik lässt sich locker und mit etwas Humor vermitteln.

Ansprache

HM: Nehmen wir Saint-Saëns, den Schluss des ersten Satzes in der Klarinettensonate als Beispiel: hier ist brauchen wir eine Technik, die es uns ermöglicht, auf dem c’’’ im piano einzusetzen. Welche technischen Anweisungen kannst du dazu geben?

Geheimnis der Ansprache: Vorbereitung in Luftführung und Atemstütze

MR: Das ist hat wiederum mit Luftführung und Atemstütze zu tun. Aber wir sollten nicht erst am Ende des Satzes davon sprechen: Es beginnt schon bei der ersten Phrase der Sonate: hier kann das Phrasieren über die Pause hinweg thematisiert und geübt werden. Viele Leute atmen - oft unbewusst – nur weil schon nach vier Tönen eine Pause steht. Die Phrase ist hier aber über die Pause hinweg komponiert, und dementsprechend muss auch die Luftführung organisiert sein. Ich komme zurück auf den Ballon: wenn ich hier die Luft unterbreche, bleibt die [Innen-]Spannung weiterhin bestehen: Genau so kann ich den Klang unterbrechen, ohne die Atemstütze abzuspannen. Es ist dann sehr wichtig, nach der Phrase die Stützspannung zu lösen, und vor dem nächsten Toneinsatz wieder alles neu aufzubauen. Wird dieser Prozess von Ein- und Ausatmung nicht richtig reguliert, können Probleme bei Nervosität auftreten.

Ansprache und musikalische Phrasierung

Eine Pause ist immer Musik. Sie kann zwei Teile einer Phrase verbinden, oder sie kann musikalische Phrasen von einander trennen. Nur im zweiten Fall bedeutet die Pause auch physische Entspannung. Dieses Loslassen ist für uns Bläser lebenswichtig, da unter Dauerspannung kein Muskel arbeiten kann. Ohne den Abspann staut sich zu viel Spannung an, bei Nervosität muss es dann Fehler geben.

Nun zum Schluss des ersten Satzes der Saint-Saëns Sonate: [das c ist wohl durch eine Pause von der vorausgehenden Figur im Chalumeau-Register getrennt, die beiden Ereignisse gehören in der musiklaischen Syntax aber zusammmen.] Versuche also auch hier den Einsatz auf dem c’’’ ohne vorher zu atmen. Trage die „Innenspannung des Ballons“ über die Pause hinweg in dir drinnen weiter bis zum c’’’. So kann das c’’’ pünktlich, schön im Klang und in der Intonation hergestellt werden. Die vorher erwähnte Verbindung zwischen Zwerchfell und Luftsäule im Instrument bis zum Schalltrichter muss durchlässig bleiben und darf vor dem Einsatz nicht verschlossen werden.

Fingertechnik

HM: Ich denke, dass der rechte Daumen der rechte Hand eine Schlüsselposition einnimmt. Der rechte Daumen muss einerseits das Instrument halten, und doch müssen die Finger beweglich bleiben. Die linke Hand hat mit dem Daumen, der die Überblasklappe bedienen muss, auch eine spezielle Bewegungen ausfzuühren. Natürlich ist jede Hand verschieden und dies gilt es zu berücksichtigen. Aber gibt es prinzipielle Regeln, die es zu berücksichtigen gilt?

Nur leicht gebogenen Finger

MR: Klavier spielen ist sehr wichtig! Auch wenn wir mit unserer Hand durch die Haltearbeit nicht ganz frei sind, sollten die Bewegungen der Finger eigentlich dieselben sein wie beim Klavierspiel. Man spürt das Gewicht der Klarinette weniger, wenn man sich vorstellt: „das ist ein Spiel“. Es ist wichtig, dass sich die Finger ohne Verkrampfung bewegen können. Ich denke, dass die Finger beim spielen (nur) leicht gebogen werden sollten. Wenn jemand kommt und mit gestreckten Fingern aber mit Leichtigkeit spielt, werde ich das nicht ändern. Wenn jemand aber die Finger zu sehr gebogen hat, empfehle ich, das zu ändern. Je nach Grösse der Hand unterscheidet sich die Position der Fingergelenke. Mit kürzeren Fingern hat man eine natürlichere Haltung. Ich selber spiele mit leicht gebogenen Fingern, keiner ist gestreckt. Alle Finger sollten gleich beweglich sein. Das lässt sich am besten bei Trillern überprüfen, diese sollten auf allen Stufen mit gleicher Leichtigkeit ausführbar sein. Insbesondere der Triller auf g-a (d’’-e’’) braucht häufig besondere Aufmerksamkeit beim Üben.

Luftführung als Basis der Fingergeläufigkeit

Dabei ist immer zu beachten, dass die Grundlage für eine gute Fingergeläufigkeit, eine gute Luftführung ist. Ohne ausreichend Sauerstoff, das heisst ohne gut einzuatmen, können sich auch die Muskeln der Finger nicht gut bewegen. Hat man Angst vor einer fingertechnisch schwierigen Stelle, ist insbesondere auf die Atmung acht zu geben. Ausreichend Sauerstoff ist wichtig für das Gelingen dieser Stellen!

Kleine Bewegungen!

Auch die Gösse der Finderbewegungen ist wichtig. Man soll die Finger nicht zu weit vom Instrument weg bewegen. Daran habe ich selber viel gearbeitet.

Staccato

HM: Einerseits ist es der Ehrgeiz aller Klarinettisten, mit einem schnellen Staccato zu brillieren. Ein kunstvolles Staccato bedeutet aber auch eine saubere Ansprache in allen Registern, in allen dynamischen Stufen. Ich denke, wenn man die Tonbildung gut gearbeitet hat, so wie oben beschreiben (Saint-Saëns), sind die Voraussetzung für ein gutes Staccato gegeben.

Luftführung als Basis

MR: Ja, richtig. Viele Studenten kommen und sagen: ich habe ein Problem mit dem Staccato. Dann gebe ich zur Antwort: bitte warte, Du hast noch gar nichts vorgespielt! Staccato ist für Viele ein psychologisch belastetes Thema. Ich komme zurück auf die Herstellung des Klanges: Wird bei der Klangproduktion auf eine Technik mit zu viel Fokus auf die Zungenbewegung abstützt, geht das Staccato nicht gut. Man muss immer denken: Luft ist das Wichtigste, nicht nur für die Tonbildung, für Legato oder für lang ausgehaltene Töne, sondern ganz besonders für das Staccato. Staccato ist nicht gleich Zunge. Staccato ist ein Ton, einfach ein kurzer Ton. Viele Leute spielen ein schönes Legato, können jedoch im Staccato keinen schönen Klang erzeugen. Warum? Sie denken nicht „kurzer Ton“, sie denken: „Zunge“. Es darf keinen Unterschied in der Luftführung geben, ob du ein Legato, eine lange Note, oder eine Reihe kurzer Töne spielst. Deshalb ist es wichtig, beim Staccato den gedanklichen Fokus auf die Luftführung - und nicht auf die Zunge – zu legen.

Es ist wichtig, dass die Zunge den Luftstrom am Blatt nicht stoppt. Die Möglichkeiten des Zungenmuskels sind zwar betr. Geschwindigkeit limitiert, aber die Zunge hat die Fähigkeit, sich so zu formen und zu bewegen, dass nur die Schwingung des Blattes unterbrochen wird, aber die Luft jederzeit ins Mundstück hinein strömen kann. Das Artikulieren ist vergleichbar mit einem stimmhaften, oder je nach Situation mit einem weichen Konsonanten. Keinesfalls entspricht das Artikulieren beim Staccato einem stimmlosen Verschlusslaut wie einem „t“ oder „p“ [siehe auch Plosiv oder Verschlusslaut]. Kommen wir zurück auf den Beginn der Saint-Saëns Sonate: auch in der Pause zwischen den ersten beiden Tongruppen (f1-e1-g1-f, a1-g1-b1-a1) bleit quasi alles im Fluss, in der Pause wird die Luft nicht am Blatt gestaut um beim Neueinsatz wieder „losgelassen“ zu werden. Die Aktion der Zunge dient lediglich einem klar definierten Einschwingvorgang bei der Klangproduktion. Genau so verhält es sich beim Staccato, nur in zeitlich kleinerer Dimension.

Bewegung der Zunge

HM: Welche Form und welche Position soll die Zunge beim Artikulieren einnehmen, und wie soll die Bewegung der Zunge ausgestaltet sein? Muss die Zungenspitze die Blattspitze berühren, oder ist der Kontakt mit dem Blatt weiter unten, oder gibst du ganz andere Anweisungen?

MR: Es ist wichtig, dass sich die Zunge möglichst auf die selbe Art bewegt wie beim Sprechen.

Position der Zunge

Die Zunge soll möglichst nicht von der natürlichen Position abweichen. In der Ruhestellung liegt die Zunge an der unteren Zahnreihe. Wenn wir das Mundstück ansetzten, und nichts an der Position der Zunge verändern, ergibt sich schon fast die „Spielposition“ der Zunge. (Milan zeigt das mit den Händen).

Oekonomie der Zungenbewegung

Beim Sprechen bewegt sich die Zunge ganz ökonomisch. Oft ist jedoch beim Staccato ist die Zungenbewegung unnötigerweise viel zu kräftig und viel zu gross. Es spielt keine Rolle, welche Art von Staccato man spielt, ob schnell, langsam, staccatissimo oder staccato dolce: die Zunge soll sich ganz ökonomisch, in kleinen, fein dosierten Aktionen bewegen. Wir sollen auf der Klarinette so artikulieren, wie wir sprechen. Musik ist wie eine Sprache.

Berührungspunkt auf der Zunge

HM: Dann berührst du das Blatt nicht genau mit der Zungenspitze?

MR: Doch, aber leicht unter der Zungenspitze, aus folgendem Grund: da das Mundstück im Mund doch ein Fremdkörper ist, muss sich die Zunge dieser Situation anpassen. [Die Zunge kann nicht mehr am Gaumen oder an den Zähnen artikulieren, sondern muss eine Weg finden, die „Aussprache“ am Blatt, das nun im Mundinnenraum liegt, zu realisieren.]

Schnelle und langsame Tempi

MR: Im Adagio soll ein Staccato länger klingen wie in einem Allegro. Oft wird dieser Unterschied nicht gemacht, so werden im Adagio Artikulationen viel zu stark getrennt. Um differenzierte Anweisungen geben zu können, muss sich die Lehrperson mit der Materie vertiefter auseinander setzen. Die Voraussetzung eines schnellen Staccatos ist ein frei strömender Atem. Darin kann sich die Zunge reflexartig bewegen.

Die reflexartige Bewegung der Zunge

HM: Du sprichst auf das Bild von Thomas Friedli an, der die Zunge mit einer frei im Wind flatternden Fahne vergleicht? Die Zunge hat dabei nur geringste eigene Aktivität, sie bewegt quasi reflexartig.

MR: Ja, genau, dieses Bild das hatte ich im Unterricht mit Thomas Friedli kennen gelernt. Wenn man die Zunge quasi im Wind flattern lässt, ist ein Modifizieren der Bewegung schon noch möglich, im Sinne von kürzer und schärfer.

Sforzato-Effekt durch die Luftführung

Aber die eigentliche Schärfe einzelnen Staccato-Tones erreichst du mit einem sehr dezidierten Luftstoss, die Zunge führt dabei immer noch die wie oben erwähnte, fein dosierte Bewegung aus. Würde die Zunge sich so kräftig wie der Luftstoss bewegen, wäre das Resultat ein Slap.

Übung

HM: Kannst du eine spezielle Übung für Staccato beschreiben und erläutern?

MR: Das ist ganz einfach: deinen Ton ansetzten, die Luftführung und die kontinuierlich fortsetzten. Dann unterbricht die Zunge ganz fein den Ton, wiederum ohne den Luftstrom zu unterbrechen. Also Quais ein non legato, auf einem Ton: daa-daa-daa-daa. Beginne als mit Viertelnotengehe über zu Achteln, Triolen, Sechszehnteln und wieder zurück zu den langsamen Notenwerten, das ist wichtig. Aber keine Pause zwischen den Tönen zulassen, die klingen ganz dicht aneinander gereiht, nie tá- tá- ta´- ta´ [artikuliert ein scharfes „plosives“ „t“ , gefolgt von einem kurzen „á“, zwischen den einzelnen Silben entsteht eine deutliche wahrnehmbare Pause].

Koordination von Zungenbewegung, Ansatzformung und Luftführung

Ich empfehle, das vorerst im Chalumeau zu üben und wenn es gut funktioniert auch ins Klarinregister zu übertragen Hier braucht es mehr Stütze, denn wenn man oben spielt, muss sich auch der Ansatz in seiner ovalen Form etwas weiten [mehr oder weniger, entsprechend der aktuell angestrebten Intonation]. Der gelockerte Ansatz gibt der Zunge - in der Vorstellung - etwas mehr Spielraum. Dadurch wird der Klang oben runder. Die Flexibilität des Ansatzes kann aber nur mit einer bewusst angepassten Luftführung und Atemstütze angewendet werden. Der Ansatz kann nur 20% von der Qualität des Klanges ausmachen, 80% bestimmen die Atemstütze und Luftführung. Beim Staccato teilen sich Zunge und Ansatz die 20 %. Wenn Luftführung und Atemstütze nicht funktionieren, ist ein erfolgreiches Staccato nicht möglich.

Doppelzunge

Ziel der Doppelzunge, ist ein sehr schnelles Staccato, das Spielen von Sechszehnteln in Tempi von über ♩ = 130.

Übung

Doppelzunge ist einfach. Zu Beginn muss man die Aussprache der Artikulationssilben ohne Klarinette beherrschen. • Ich lasse die Studenten auf verschiedenen Vokalen sprechen: laa lee lii loo luu |: dagadaga :||: degedege :| |: digidigi:||: dogodogo:||: dugudugu :| • und nicht: tacka - tacka

Dann ist das Vorgehen ähnlich wie bei der Einfachzunge: Vor dem Toneinsatz muss die Luftführung zusammen mit der Atemstütze etabliert sein, die Zunge hilft lediglich, dem Toneinsatz zeitliche Präzision zu geben: fff... [Milan R. macht den Luftstrom hörbar]... „dæ“ [imitiert die Klangproduktion auf dem schon fliessenden Luftsrom mit der Zungenartikulation mit der Silbe „dæ“]. Dasselbe ist nun mit der Silbe „gæ“ üben, das sind wir nicht gewöhnt (Vokal „æ“ siehe phonetisches Alphabet. Bei der Übung mit dem Instrument empfehle ich, mit der Silbe „gæ“ zu beginnen: „gæ - dæ - gæ -dæ“ . Und auch hier muss die Luftführung wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Die Silben gæ - dæ - gæ dürfen den Luftstrom nie unterbrechen. Dann analog zu der Übung für das Staccato folgende Schritte durchführen: • zuerst im oberen Chalumeau • Von Viertel- zu Achtel, dann Sechszehnteln wechselnd artikulieren, einmal mit gæ beginnen, mit dæ • Erst wenn das Chalumeau sauber anspricht, kann die Duodezime angespielt werden

Übungen mit Doppelzunge sind anstrengender wie Übungen für Einfachzunge, da sie mehr Luft brauchen. Es ist hier besonders wichtig, dass der Ansatz Raum für die Zungenbewegung (siehe oben, [[Interview mit Rericha Milan#Staccato und Tonbildung| Staccato und Tonbildung]) schafft. Mit einer zu engen Ansatzformung ist die Doppelzunge im Klarinregister nicht realisierbar. Doppelzunge „frisst“ sehr viel Luft!

• Erst wenn die Töne im langsamen Tempo sauber ansprechen, d.h. wenn die richtigen Einstellungen von Ansatzformung, Luftführung und Zungenbewegungen gefunden sind, kann das Tempo gesteigert werden. • Dann kommt die Aufgabe, die Doppelzunge mit den Fingerbewegungen zu koordinieren.

Koordination mit den Fingerbewegungen

Unser Hirn ist nicht gewohnt, die Fingerbewegungen mit der Silbe „gæ“ zu koordinieren. Hier habe ich lange nach einer guten Methode gesucht! Die beste Übung ist, auf Tonleitern jede Tonhöhe zweimal zu artikulieren, dægæ dægæ, etc. • beginne mit leichten Tonleitern, C-Dur, F-Dur • artikuliere zuerst dægæ dægæ • artikuliere dann gædæ gædæ • spiele die Tonleitern im Wechsel zuerst legato, gleich anschliessend mit Doppelzunge

Diese Methode funktioniert. Ich habe mich mit Flötisten, Oboisten, Fagottisten ausgetauscht. Die Schwierigkeit bei uns ist die Grösse des Mundstückes und die Position des Blattes, das wir viel weiter im Mund drinnen artikulieren müssen!

Legato

MR: Legato ist kontinuierliche Luft, aber in der Vorstellung: Honig! Honig ist immer gebunden. Das Fliessen des Honigs kann kleineren oder breiteren Durchmesser haben, aber es ist immer gebunden, ohne Ende.

Intonation

Die Klarinette ist im unteren Chalumeau tief (e, f), oben sind einige Töne zu hoch, einige Töne zu tief. Die Vorstellung der runden Lippenform ist sehr hilfreich. e2, f2, g2, im piano sind diese Töne immer zu Hoch. Die Ansatzöffnung und Atemstütze müssen entsprechend der Intonation modifiziert werden.

Flexibilität des Ansatzes

Wir dürfen den Mund nie einfach auf [um z. B. mit tieferer Intonation spielen zu wollen] oder zu [um etwas höher zu spielen] machen. Die ovale Form des Ansatzes muss immer ganz bewusst betont bleiben, nur die Öffnung ist etwas kleiner oder etwas grösser. So lässt sich verhindern, dass der Klang quasi nach hinten, in den Rachen fällt und seine Form verliert.

Alternativgriffe

Wir haben für jeden Ton verschiedene Griffe. Die sogenannten Resonanzgriffe, insbesondere bei den kurzen Tönen (g 1, gis 1, a 1, ais 1) verstärken sie die Klangfarbe einzelner Töne, wenn sie mit der nötigen Sensibilität im Ansatz angespielt werden. Man muss etwas suchen, um die Konstellation der Ansatzformung, [kombiniert mit der entsprechenden Vokalformung Atemstütze] zu finden; dann kommen diese Griffe richtig zur Geltung. Ich empfehle, für jeden Ton mindestens fünf verschiedene Resonanzgriffe zu finden und die Sensibilität für die klanglichen Veränderungen zu entwickeln. Die oben beschrieben Technik – Erweitern der Ansatzöffnung bei gleichzeitigem intensivieren der Atemstütze – lässt sich für Intonationskorrekturen anwenden.

Vokalformung

Ein weiterer Parameter, der für Intonationskorrekturen eingesetzt werden kann, ist die Vokalformung: dunkle Vokale wie „o“ haben eine tiefer, hellere Vokale wie „i“ eine höhere Intonation zur Folge. Auch damit lässt sich sehr gut arbeiten.

Arbeit mit dem Stimmgerät

Nehmen wir die f-moll Sonate von Brahms. Hier bewegt sich die Stimmführung auf kleinem Raum in einem grossen Stimmumfang. Ich arbeite so: auf kritischen Tönen mit der Musik innehalten, und optisch mit dem Stimmgerät kontrollieren: die vorzunehmenden Korrekturen dürfen jedoch die Klangfarbe nie beeinträchtigen. Das erreicht man mit oben beschriebener Technik, der Ansatz muss immer rund geformt bleiben, die Atemstütze muss entsprechend angepasst werden.

Dynamik

Viele Leute möchten die Dynamik intensivieren und setzten dazu ungeeignete Körperbewegungen (Hochziehen der Schultern, beugen des Rumpfes) ein. Der Effekt ist dann meist kontraproduktiv, der Klang verliert an Obertonreichtum und wirkt gepresst. Das einzige Mittel, mit dem wir eine an dynamischen Stufen reiches Spiel praktizieren können, ist eine flexible Luftführung. Grössere dynamische Stufen brauchen einen intensiveren und schneller fliessenden Luftstrom.

Klarinettistische Tradition

Meine Studienjahre verbrachte ich in den Zeiten des Kommunismus. Ich hatte keinen guten Lehrer – weder menschlich noch pädagogisch – aber er war sehr dogmatisch, was die Basis-Arbeit betrifft: er verlangte konsequent lange Töne, Tonleitern. Mit 15 Jahren musste ich jeweils alle Tonarten in der Stunde zum Vorspielen bereit haben. Der Lehrer stellte das Metronom auf 120 und sagte: Fis-Dur! Wenn es mehr als drei Fehler gab, dann hiess es „Tschüss“ und die Stunde war beendet. Ich musste auf die nächste Stunde zu hause noch einmal alles durcharbeiten. Diese Methode ist übertrieben hart. Aber ich habe gearbeitet.

Danach hatte in Prag Unterricht bei Lehrern, die nur an die „Kunst“ dachten. Von einem guten Lehrer erwarte ich aber hohe Fachkompetenz, auf didaktischer, methodischer und pädagogisch wie auch auf psychologischer Ebene. Dazu gehören auch menschliche Qualitäten. Ich hatte damals keinen Unterricht mit einem durchdachten Aufbau genossen, es gab weder genau formulierte instrumentaltechnische Hinweise noch eine individuell aufgebaute, menschliche Lehrer–Schüler Beziehung. Im damaligen Prag wurde die Ästhetik des Klarinettenspiels von der Blasmusiktradition ins Sinfonieorchester transferiert. Die klanglichen Möglichkeiten waren sehr limitiert, man spielte mit viel vibrato, jeder Einsatz zeichnete sich durch starke Zungenartikulation aus, und fast jedes Staccato war von einem glissando begleitet.

Als ich ein Kind war, war Bohuslav Zahradník (1947-1987), der ersten Klarinettisten der Tschechischen Philharmonie mein Vorbild. Er war schon ein bisschen moderner, spielte aber immer mit diesem sehr kurzen, brillanten Staccato und immer mit etwas vibrato. Ich hatte erst mit 24 Jahren gute Lehrer. Vieles hatte ich mir zuvor autodidaktisch angeeignet. Wie ich zum ersten Mal Guy Deplus gehört hatte, konnte ich kaum glauben, dass ein Klarinette auch so klingen kann.

Zur Zeit des Prager Frühlings haben wir dann auch Leute wie Alessandro Carbonare, Jean Philippe Vivier mit Stücken wie Denissow Sonata oder Berio Sequenza gehört. Sie waren im Wettbewerb hinter unseren Tschechischen Klarinettisten platziert. Das war 1990, es gab aber immer noch viel Mafia in der Jury. Wir waren im Publikum und haben geschrien und gebuht, wir waren nicht einverstanden. Die Atmosphäre war so, dass man die „richtige Sache“ finden wollte, so hatte man das Bestreben, auch allen Belangen in der Musik auf den Grund zu kommen. Darum geht es mit auch heute noch.

HM: Danach hattest du Unterricht in Paris?

MR: 1989 konnte ich zum ersten Mal ins Ausland reisen. Ich war drei Monate in Paris im Ensemble intercontemporain, ich arbeitete mit Michel Arrignon und Alain Damiens. Hier hatte ich zum ersten mal kapiert, was Legatospiel heisst. Alain Damiens arbeitete mit mir vierzig Minuten am ersten Stück der Trois Pièces von Igor Strawinsky. Ich kann mich gut erinnern: mein Zwerchfell war ganz blockiert. Alain D. hat mich dazu gebracht, es zu aktivieren. Danach war ich in Basel bei Fraçois Benda und in New York in der Julliard school. Ich besuchte viele Meisterkurse bei vielen guten Leuten.

Wie ich jünger war, wollte ich niemals unterrichten, nur spielen. Heute habe ich im Unterrichten eine grosse Passion gefunden.