Interview mit Prof. Dr. phil. Ernst Schlader, Staatliche Musikhochschule Trossingen: Unterschied zwischen den Versionen

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'''HM:''' ''Denkst du es macht Sinn, im Unterricht die einzelnen Parameter des Klarinettenspiels isoliert zu analysieren und zu erarbeiten? Oder machst du dies im Verlauf des musikalischen Arbeitens an einem Repertoirestück, so dass du bei Bedarf auf die einzelnen spieltechnischen Themen vertieft eingehst? Oder machst du beides?''
'''HM:''' ''Denkst du es macht Sinn, im Unterricht die einzelnen Parameter des Klarinettenspiels isoliert zu analysieren und zu erarbeiten? Oder machst du dies im Verlauf des musikalischen Arbeitens an einem Repertoirestück, so dass du bei Bedarf auf die einzelnen spieltechnischen Themen vertieft eingehst? Oder machst du beides?''


'''ES:''' Wahrscheinlich muss man beides machen. Ich selber habe vom modernen Spiel sehr profitiert, weil Gerald Kraxberger, mein Lehrer in Linz, diese Parameter isoliert betrachtet hat. Er hat z.B. präzis gesagt, "deine Zunge funktioniert gut", aber "die Technik/das Zusammenspiel von Klang und Technik funktioniert nicht". Eric Hoeprich macht es genau umgekehrt: Er arbeitet nur an der Musikalität und lässt die technischen Parameter dann einfliessen. Beim Unterrichten merke ich, dass dies abhängig vom Spieler oder vom Studierenden ist. Man muss es jedes Mal neu angehen, abhängig davon, ob es ein Bachelor-Student ist, der das Rüstzeug erst lernen muss, oder ein Master-Student, bei dem man gewisse Dinge voraussetzten kann.  
'''ES:''' Wahrscheinlich muss man beides machen. Ich selber habe vom modernen Spiel sehr profitiert, weil Gerald Kraxberger, mein Lehrer in Linz, diese Parameter isoliert betrachtet hat. Er hat z.B. präzis gesagt, "deine Zunge funktioniert gut", aber "die Technik/das Zusammenspiel von Klang und Technik funktioniert nicht". Eric Hoeprich macht es genau umgekehrt: Er arbeitet nur an der Musikalität und lässt die technischen Parameter dann einfliessen. Beim Unterrichten merke ich, dass dies abhängig vom Spieler oder vom Studierenden ist. Man muss es jedes Mal neu angehen, abhängig davon, ob es ein Bachelor-Student ist, der das Rüstzeug erst lernen muss, oder ein Master-Student, bei dem man gewisse Dinge voraussetzen kann.  


==== Wissensspirale  ====
==== Wissensspirale  ====

Version vom 11. Juli 2015, 13:08 Uhr

Das Interview mit Ernst Schlader, geführt und transkribiert von Heinrich Mätzener, fand am 30. März an der HSLU-Musik, Luzern Dreilinden statt.

Didaktischer Kanon

HM: Denkst du es macht Sinn, im Unterricht die einzelnen Parameter des Klarinettenspiels isoliert zu analysieren und zu erarbeiten? Oder machst du dies im Verlauf des musikalischen Arbeitens an einem Repertoirestück, so dass du bei Bedarf auf die einzelnen spieltechnischen Themen vertieft eingehst? Oder machst du beides?

ES: Wahrscheinlich muss man beides machen. Ich selber habe vom modernen Spiel sehr profitiert, weil Gerald Kraxberger, mein Lehrer in Linz, diese Parameter isoliert betrachtet hat. Er hat z.B. präzis gesagt, "deine Zunge funktioniert gut", aber "die Technik/das Zusammenspiel von Klang und Technik funktioniert nicht". Eric Hoeprich macht es genau umgekehrt: Er arbeitet nur an der Musikalität und lässt die technischen Parameter dann einfliessen. Beim Unterrichten merke ich, dass dies abhängig vom Spieler oder vom Studierenden ist. Man muss es jedes Mal neu angehen, abhängig davon, ob es ein Bachelor-Student ist, der das Rüstzeug erst lernen muss, oder ein Master-Student, bei dem man gewisse Dinge voraussetzen kann.

Wissensspirale

Nach der Wissensspirale von Ikujiro Nonaka: Man muss Wissen zuerst externalisieren, darauf anwenden, dann ist es in einem drinnen und wird also über das Implizite wieder externalisiert. Dann gibt es diese vier Formen, in denen die Spirale läuft. Und erst durch das Wiederholen festigt sich das Wissen. Darum war die Ausbildung früher so genial: Wenn einer mit neun Jahren schon ins Hoforchester gekommen ist, dann ist das keine Kunst, dass man mit 18 Jahren schon auf einem hohen Niveau war. Wenn man heute erst mit 19 Jahren ins Hochschulorchester kommt, danach alle Dinge mühsam im Einzelunterricht erlernen muss, braucht es meiner Meinung nach mehr Zeit als früher, wo man das Privileg hatte, schon früh einem solchen Orchester beizutreten. Ich glaube Stamitz kam mit neun Jahren schon ins Hoforchester.

Ansprache

HM: Auf der historischen Klarinette ist das c’’’, ein Gabelgriff, manchmal schwierig in der Ansprache, oft unterbläst der Ton in die untere Lage. Welche instrumental-technischen Hinweise gibst du bei solchen Problemen? Kann man einen Katalog von Möglichkeiten nennen, die der Student ausprobieren kann? Oder gehst du zuerst aufs Material ein?

ES: Es ist natürlich situationsabhängig. Ich verlass mich didaktisch auf meinen Professor aus Linz, Gerold Kraxberger, der didaktisch und pädagogisch wirklich ein Genie ist, vor allem diagnostisch.

Folgende Parameter lassen sich benennen:

Blatt und Mundstück

Wir schauen sehr genau, dass das Blattmaterial gut ist, haben dafür auch eine Blattkopiermaschine, vor allem für Spieler die vom Deutschen System herkommen: hier ist die Qualität sicher nicht so gut wie bei den Französischen Spielern. Es gibt einfach zu wenig. Wir schauen dass die Mundstücke gut sind. Das geht nur in Zusammenarbeit mit den Instrumentenbauern. Und erst wenn da das grüne Licht kommt, dann versuchen wir z.B. das Problem Ansprache zu lösen.

Ansatzlinie

Mit der Position des Mundstückes, d.h. wie weit ist das im Mund – das sind heikle Themen.

Klangvorstellung

Und bei der Klangvorstellung fliesst mit ein, ob der Student Angst hat oder nicht. Sehr viele Leute kieksen oben und kriegen den Ton nicht raus, weil sie was probieren, das sie nicht können, wovor sie Angst haben.

Luftgeschwindigkeit

Dann glaube ich, dass Ansprache sehr viel mit der Luftgeschwindigkeit zu tun hat.

HM: Wie regulierst du die Luftgeschwindigkeit physiologisch? Gehst nur auf das Ausatmen ein, oder sprichst du davon, wie der Luftstrom in der Mundhöhle und eventuell im Kehlkopf, in der Stimmritze geformt wird?

ES: Ja – wobei das bei jedem anders ist. Für mich war das Ausschlaggebende mein Nebenfach-Unterricht auf der Trompete. Dort glaube ich verstanden zu haben, und dort habe ich dann wirklich gelernt, was das heisst, die Zungenposition zu ändern und dadurch die Luftgeschwindigkeit zu beeinflussen. Das ist wie beim Flugzeug. Wenn die Zunge weiter oben ist, hat die Luft einen weiteren Weg und fliesst schneller. Dadurch kann man die Luft beschleunigen und letztendlich ist es nichts anders als die Vokale, die Sprache in der historischen Spieltechnik. Bei manchen hilft es, das so zu erklären mit der Zungenstellung, manche können damit nichts anfangen, da klapp es dann über Bilder, über Text.

Übungen

HM: Machst du spezielle Übungen, um diese Positionen im Mund-Innenraum zu finden?

ES: Es gibt einige diagnostische Werkzeuge: z.B. zu schauen, welchen Ton erzeugt der Spieler, wenn er nur ins Mundstück reinbläst. Da haben wir dann doch alle die ungefähr gleiche Tonhöhe. Wenn die viel zu tief ist, ist die Luftgeschwindigkeit zu langsam, wenn sie zu hoch ist, ist entweder die Luftgeschwindigkeit zu schnell oder der Druck zu hoch.

Allgemeine Körperhaltung

HM: In welchem Moment des Studiums gehst du auf die Körperhaltung der Studierenden ein? ES: Oder ich lasse die Leute auf den Balancekreisel stehen und spielen. Wenn sie darauf den Ton nicht mehr halten können, weil sie die Balance nicht halten können, dann haben sie ein Körperspannungsproblem.


ES: Sofort. Schon Leopold Mozart geht mit einer Abbildung zu Beginn seiner Violinschule auf die richtige Haltung und auf die Fehlhaltung des Schülers ein. Das Problem ist, dass wir meistens Leute kriegen, vor allem ich, der auch Nebenfach unterrichtet, die schon ein Problem haben. Aber wenn ich Leute habe, die wirklich mit ihrem Studium beginnen, ist es schon vom ersten Tag an ein zentrales Thema. Die müssen sich sofort zu Beginn einen Balance-Kreisel kaufen. Die müssen auch verpflichtend Sport machen, wenn sie untertrainiert sind und sie keine Kraft im Oberarm haben, und das Instrument nicht halten können, und dann ständig Sehnenscheidenentzündungen haben.

HM: Weisst du genau, welche Muskelgruppen besonders gut ausgebildet sein müssen, kannst du ein ideales Haltungsmodell physiologisch erklären?

ES: Nein, dazu fehlt mir das Wissen. Wir ein Kollegin, die ist Ärztin an der Hochschule, dort sichere ich mich ab.

Haltearbeit

ES: Was mich betrifft: ich hab selber Probleme gehabt. Von dem Moment, wo ich begonnen habe die Muskelpartien, die das Instrument halten zu trainieren, waren die Probleme weg.

HM: Du zeigst auf den Oberarm: Wie weit hast du auch die Rückenmuskulatur trainiert, hinsichtlich der Haltearbeit und hinsichtlich der Fingergeläufigkeit?

ES: Das mache ich jede Woche, extern in einer Gruppenphysiotherapie. Da sind von Rekonvaleszenten oder älteren Leuten, bis zu jungen, wie ich es bin, die einmal in der Woche in Linz unter Aufsicht eines Physiotherapeuten gezielt Übungen machen, auch an Geräten. Und die Übungen, die ich traue weiterzugeben - denn man muss ja acht geben, wenn man es nicht richtig instruiert, können sich die Schüler dabei verletzten - die gebe ich weiter.

Fingergeläufigkeit

HM: Es ist eine Hypothese von mir: Fingergeläufigkeit ist nur möglich mit einer gut ausgebildeten Rückenmuskulatur.

ES: Absolut: Es gibt einen Geiger, Gunar Letzbor, sagt, der spielt nur Geige, wenn er vorher Holz gehackt hat. Und das ist einer der besten Geiger den ich kenne, auf der Barockgeige. Es ist diese Vernachlässigung des Körpers, die heute bei vielen Studierenden der Fall ist. Die Üben acht Stunden und sitzen 4 Stunden vor dem Computer – das ist katastrophal.

Staccato, Artikulation

HM: Lass uns weiter die Parameter der Grundtechnik diskutieren: das Staccato, die Artikulation: Gibt es eine Zungenform, eine Zungenstellung, und einen Berührungspunkt am Blatt, der ideal ist und den es zu erarbeiten gilt? Gibt es eine Methode die richtig ist, oder gibt es verschiedene mögliche Varianten? Mit welcher Methode hast du die besten Erfahrungen gemacht? Genau an der Spitze, Unter der Zungenspitze?

Wo berührt die Zunge das Blatt?

ES: Ich schaue mir das immer an mit den Studierenden, wenn es ein Problem gibt: Mit der banalsten Übung, dass ich sie bitte, die Position wo die Zunge aufs Blatt aufschlägt zu halten und dann die Zunge rauszustrecken. Das sieht zwar blöd aus und für die meisten Studenten ist es eine Überwindung, dann sieht man ungefähr, wenn sie die Zuge rausstrecken und die Zunge noch das Blatt berührt, wo die Zunge aufs Blatt aufschlägt. Das funktioniert ganz gut, das hat mein Lehrer auch mit mir gemacht. Es vierschiebt sich natürlich ein bisschen.

Position der Zunge

ES: Ansonsten ist es die Methode der historischen Schulen. Wenn ein Staccato immer schlapp klingt, hilft es schon, wenn sie anstatt „ta ta ta“ ein „te te te“ aussprechen, die Position der Zunge ändert sich unwillkürlich.

HM: Und wie ist es mit den Konsonanten: „te“ oder „de“, „ta“ oder „da“?

ES: Wie Backofen schreibt, das Problem ist, dass wir das Mundstück im Mund haben und dadurch nicht so flexibel sind. Aber alles was an der Zungenspitze passiert „te“ und „de“, diese Variationen zwischen „te“ und „de“, die muss man machen.

Ansatzformung

Ober- und Unterlippe

ES: Das Wichtigste, das ist wieder etwas von meinem genialen Lehrer aus Linz, das ist der Ringmuskel. Wenn der perfekt funktioniert um die Lippen herum, ist der Rest eigentlich automatisch in die richtige Richtung gehend. Wenn der Ringmuskel um die Lippen zu schwach ist, fangen viele studierende Klarinettisten an es zu kompensieren. Irgendwo anders. Und dann gibt’s Probleme.

HM: Hörst du das am Klang, wenn dieser Muskel zu schwach ist?

ES: Das hört man: es fängt damit an , dass gewiss Haltetöne, wie z.B. beim Stamitz, langsamer Satz, einfach nicht funktionieren. Es fängt dann zu zittern an.

HM: Machst du Übungen, um den Ringmuskel zu trainieren? Lässt du Töne mit Doppellippenansatz spielen?

ES: Ich hab einen Kollegen, der das selbst betreibt. Aber ich sehe da keine Notwendigkeit.

Übung

Da gibt es eine Übung, die nennen wir Luft/Ton Spiel. Such dir einen Ton aus idealerweise noch einen Ton in der zweiten Lage, noch nicht das c’’’, und lässt nur Luft in das Mundstück rein. Aus dem Luftstrom formt man dann den Ton. Der Ton entsteht aber noch nicht, es ist immer nur an der Kippe zwischen Luft und Ton. Es ist ein Luft-Ton Gemisch. Durch dieses Spielen lernen die, die richtigen Muskeln zu aktivieren. Es ist ja von der Muskelforschung her bekannt, dass ein sieben Sekunden dauernder Impuls genügt, um dem Muskel zu sagen: „jetzt musst du wachsen“. Diese Übung also sieben Sekunden ausführen, dann wieder Pause machen.

HM: Das ist wie eine photographische Linse, die sich schliesst. Welche Rolle spielt dabei die Luftführung? Bleibt die immer dieselbe?

ES: Nein, die ist nicht gleich, die ist variabel und flexibel: das kann man an diesem Luft-Ton Gemisch sehen: in dem Moment wo die Luft langsam ist, hört man nur das Rauschen. Wenn man die Luftgeschwindigkeit anzieht, dann kommt der Ton. Und die ideale Form, wo der Muskel am besten trainiert wird, ist genau der Punkt, wo Luft und Ton im Gemisch sind.

HM: Ober- und Unterlippe werden bei dieser Übung im selben Masse trainiert?

ES: Ich denke schon, ja. Ich würde die Ober- und Unterlippe nicht trennen, ich sehe das als Ringmuskel, und somit ist das egal, es wird immer alles gleich trainiert.

Kieferposition

HM: Wird bei dieser Übung auch gleich die Kieferposition mit einbezogen?

ES: Ja, absolut, durch die Luftgeschwindigkeit wird das reguliert: wenn die Kieferposition zu geschlossen ist, gibt es kein Luftgeräusch, wenn sie zu offen ist, gibt’s nur Luft.

HM: Und es wird auch nicht nötig sein, von der Kieferposition zu sprechen, da sie einen zu grossen Druck gegen Blatt und Mundstück ausübt?

ES: Wenn zu viel Druck ist, merkt man das sofort an dem ’’’Mundstück-Quietschen’’’’ [wird das Mundstück alleine angeblasen, resultiert eine zu hohe Tonlage].

Und es ist so, dass bei den meisten Studierenden, die ich betreut habe, hilft dann eine Reaktion der Blattstärke. Dann ist das Problem sofort gelöst. Das ist etwas, das leider Gottes viele nicht wahr haben wollen. Das Blatt muss immer wieder kontrolliert werden, trotz den vielen Grippe-Viren! Wenn man das nicht kontrolliert, hat man aber keine Chance.

HM: Ist die Kieferposition je nach Tonhöhe auch veränderbar? Franz Joseph Fröhlich erwähnt das in seiner Schule um 1810.

ES: Du meinst das „herumkauen“. Auf der modernen Klarinette habe ich gelernt, dass die Ansatzlinie immer gleich sein soll – wenn ich mich auf Videoaufnahmen sehe, merke ich, dass ich da unglaublich flexibel bin. Ich brauche das. Aber da sollte jeder selber drauf kommen.

HM: Und ist diese Flexibilität auch bei der Artikulation zulässig? Darf sich der Kiefer mitbewegen?:

ES: Unbedingt! Aber prinzipiell muss die Artikulation funktionieren, und dann, wie Bruckner sagt, wenn die Regel funktioniert, kann man sie brechen. Es ist immer die Frage, von welchem Typ Studierenden man spricht. Wenn es ein Bachelor Anfänger ist, dann muss man ein gewisses Grundkonzept, Grundgerüst des Ansatzes herstellen. Er muss zumindest in der Lage sein, dass es nicht wackelt. Aber dann zu sagen, es darf sich nichts ändern, ist so als würde man sagen, man dürfe nur mit einer Mundstellung sprechen.

HM: Und wenn beim Artikulieren jeder Ton zuerst seine richtige Tonhöhe finden muss, ist dann nicht zu wenig Stabilität der Grund?

ES: Ja, dann ist es meistens dieses „gu, gu, gu“ wo der untere Teil des Kiefers zu weit unten ist. Das muss man abstellen.

Mundinnenraum

HM: Welche Bedeutung hat für die Spannung im Mundbodens als untere Abgrenzung des Mundinnenraumes? Arbeitest du damit oder ist es eine Partie die du bewusst locker lässt? Wenn du ein „a“ besonders prononciert ausformst, wenn du es sehr locker vokalisierst, bleibt auch der Mundboden entspannter. ES: Ich vermeide immer den Begriff Spannung, weil er bei den meisten Spielern und bei mi auch etwas Negatives auslöst. Ich versuch den Begriff „Mundraum“ zu erklären, der sich gegebenenfalls dehnt. Bei „o“ z.B. geht der untere Teil nach unten. Oder beim „i“ geht hinten was nach oben, wodurch Spannung entsteht. Aber ich versuch den Begriff Spannungen zu ignorieren, da habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Da haben Leute Angst, zu viel über Spannung nachzudenken, es geht in die falsche Richtung. HM: Wie ist es mit der Ausformung der Mundhöhle, des Rachen ganz hinten: ist das ein spezielles Thema oder das ist dieser Bereich mit der Luft-Ton-Übung auch mit einbezogen?

ES: Ist mit einbezogen. Es ist wie beim Spielen auf der Naturtrompete: wenn man eine Triller auf diesem Instrument ausführt, geht das nur über die Stellung der Zunge und das geht bis in den Rachen hinunter. Und das versuche ich auf die Klarinette zu transferieren. Ich nenn das immer elastisch. Und mit dem Wort elastisch können die meisten sehr viel Anfangen. Es bedeutet für jeden etwas anderes, aber es ermöglicht den Leuten dann, gewisse Dinge zu tun, die sie sonst in ihrer Steifheit nicht tun können.

Flexibilität

HM: Und diese Flexibilität ist die Voraussetzung für die Beherrschung der Ansprache und Artikulation für die für die Dynamik in den verschiedenen Registern.

ES: Absolut. Und das heisst auch, dass sich der Rachenraum oder überhaupt die Mundpartie in den verschiedenen Registern verändern darf. Die Schule des modernen Ansatzes, der für jedes Register gleich sein muss, halte ich für einen Fehler. Das muss veränderbar sein. Das war auch veränderbar, drum gibt es von z.B. Franz Xaver Thomas Pokorný Konzerte für den ersten Klarinettisten und Konzerte für den zweiten Klarinettisten. Und im Orchester gibt es den tiefen Hornisten und einen hohen Hornisten. Warum soll nur auf der Klarinette, jeder Typ gleich sein? Da ist sinnlos.

Messa di Voce

HM: Gibt es eine Übung für das Dehnen der Mundhöhle, das du vorhin erwähnt hast?

ES: Dafür gehen wir eine Schritt weiter, vom Luft/Ton-Gemisch zum geräuschlosen Ton: Dann versuchen wir, einen Ton von pianissimo, unhörbar, zum lautesten fortissimo zu spielen, und wieder zurückzunehmen. Und dabei ist eben wichtig, dass man nicht im fortissimo dann plötzlich aufhört weil die Luft aus ist, sondern dass man sich das jetzt so einteilt, dass man vom pianissimo über fortissimo wieder zum pianissimo zurückkommt.

Ich glaube, in dem Moment lernt dann der jeweilige Spieler, den Mundraum so zu formen, dass eben dieses crescendo – decrescendo funktioniert, auch klanglich.

HM: Eine ausgeweitete „Messa di voce“- Übung, dies die sich zu Beginn und am Ende mit der „Übung Luft-Ton Gemisch“ kombinieren lässt.

ES: Ja, das kann man dann ja variieren, wie der Ton aufhören soll.

Mundstück-Übung

ES: Was wir zwischen diesen Übungen immer wieder machen – ich lege das mit jedem Studenten fest – welcher Ton nur beim Spielen auf dem Mundstück zu klingen hat. Bei meinem modernen Mundstück ist es das gis’’, bei den historischen ist es ein anderer. Wenn sich das Mundstückgeräusch, dieses kurze Quietschen im Bereich bewegt wo es noch akzeptabel ist, geht die Übung weiter. Sobald es zu hoch ist, ist zu viel Druck da, Muskel lösen, und dann wird die Übung beendet. Es ist wie in der Physiotherapie, ich lerne das jede Woche wieder: wenn der Muskel übertrainiert ist oder überanstrengt ist, dann gibt’s den Muskelkater und dann ist es sinnlos.

Kinn

HM: Achtest du auf eine bestimmte Form des Kinns? Es gibt ja die Anweisung in vielen Schulen, immer mit flachem Kinn spielen zu müssen.

ES: Nein. Das habe ich auch als Student mi der modernen Klarinette nicht mitbekommen. Das bracht man nicht

HM: Wenn der Ringmuskel gut trainiert ist, ist das nicht nötig.

ES: Ja.

Stimmritze, Glottis

HM: Ist für dich die Stimmritze auch ein Thema? Gewisse Studien weisen auf die Flexibilität der Stimmritze hin, um hier je nach Registerlage die Luftgeschwindigkeit zu regulieren.

ES: Nein, habe ich noch nie gehört. Ich nutze dazu nur die Vokalformung, aber die Stimme nicht.

HM: Ich meine damit das Formen des Luftstromes, wie wir es beim Flüstern anwenden.

ES: Dafür habe ich schon ein Bild, aber das nenne ich Flageolett.

HM: Machst du dann so Übungen, dass du ohne Gebrauch der Überblasklappe die verschiedenen Register anbläst?

ES: Nein, das passiert mir automatisch, viel zu oft – ein Quietschen. Die Leute di in Trossingen sind, die müssen so viel zeitgenössische Musik spielen , dass sie das können.

Atemstütze

HM: Du hast weiter oben von Luftgeschwindigkeit gesprochen, hast dabei auch immer mit einer Handbewegung und mit deiner Körpersprache auf einen Stützmechanismus hingewiesen. Sprichst du von Stütztechnik?

ES: Doch, ich spreche auch von Stütze. Die Stütze braucht man, die ist ja vorgegeben. Wenn man nicht stützt, würde das Zwerchfell kollabieren. Das Problem ist nur, was ich in der Musikschule gelernt hab: da hiess es immer Stütze ist etwas, was wirklich knallharter Stahl ist, der sich nicht ändert. Da gab es den einen Lehrer, der konnte sich auf den Boden legen, der Schüler durfte sich auf seinen Bauch stellen, und er konnte immer noch spielen. Das finde ich blöd.

Körperspannung

HM: Wie vermittelst du die Aneignung einer guten Stütze?

Balancekreisel und Trampolin

ES: Auf dem Balance-Kreisel. Wenn die Studierenden auf dem Balance-Kreisel stehen und einen Ton nicht aushalten können – funktioniert die Stütze gar nicht. Sobald die Studierenden oben stehen, kriegen die eine natürliche, ausbalancierte Körperspannung. Das einzige Problem, das viele haben, ist, dass sie zu hoch atmen. Das merkt man auf den alten Instrumenten, wo weniger Luft reingeht wie auf der modernden, dass sie dann vielleicht nach dreissig Mal Einatmen zu viel Luft drinnen haben und zu wenig Luft rausbringen. Und da ist die „Stütze“ [im alten Sinn, siehe oben] völlig kontraproduktiv, denn es geht ja darum , dass man den Bauchraum erweitert.

Die Arbeit am Balancekreisel ist genial. Wir haben auch noch ein Trampolin in der Hochschule: Das hilft auch gut: wenn die Studenten mal zwei Minuten hüpfen, sind die meistens gelockert. Das Hauptproblem sind meistens die Schultern. Wenn die zu weit oben sind, ist unten alles verspannt und durch dieses Hüpfen löst sich dann wieder alles.

Übung

ES: Da gibt eine gute Übung: wenn man auf einem Stuhl sitzt und sich nach vorne beugt, wird beim Einatmen der Raum in den Flanken erweitert. Diese Übung dann auch transferieren auf das [normale] Sitzen: sich vorzustellen, dass der Bauch nicht nur nach vorne Luft rein lässt, sondern eben auch in den Rücken, das kann man trainieren. Das war eine Standard-Übung bei meinem „modernen“ Professor: dann sagte er „herkommen, Hand her“, und man konnte bei dem fühlen, der hat hinten den Rücken soviel rausgerückt. Und das muss man immer wieder vermitteln.

HM: Du beschriebst die Flanken-Atmung, die auch das kombinierte Aktivieren von Zwerchfell und mit der Zwischenrippenmuskulatur einsetzt.

ES: Ja, genau. Ich habe auch in der Physiotherapie gelernt, dass viele Menschen unbewegliche Rippen haben. Das ist wieder etwas, das von „Untrainiertheit“ und von Verspanntheit kommt. Das kann man z.B. durch Schwimmen, durch das Crawlen.

Beweglichkeit des Brustkorbes

HM: Hast du Übungen, um diese Beweglichkeit des Burstkorbes zu entwickeln? Übungen ohne Klarinette?

Sport

ES: Das trau ich mich nicht, weil man nie weiss, was beim Studenten passiert. Aber ich befördere die zum Schwimmen, zum Joggen, die müssen das machen. Und bei einem Studenten habe ich mir sogar wöchentlich 10 Liegestützen vormachen lassen, um zu sehen, dass er wirklich trainiert. Man muss oft en bisschen unkonventionell werden.

Variantinstrumente

ES: Eine sehr gute Übung ist, bei Leuten die verspannt sind, ein Instrumentenwechsel zu verschreiben und zu sagen: „du spielst jetzt die nächsten zwei Monate keine Klarinette mehr, sondern nur Bassklarinette.“ Das habe ich bei einem Kommilitonen selber erlebt, damit war das Problem [der Verspanntheit] bei ihm gelöst. Weil er auf der Bassklarinette ohne diese übliche Angespanntheit gespielt hat, das konnte er auf die Klarinette übertragen. Das machen wir in Trossingen auch mit den alten Instrumenten: andere Luftführung und dadurch lernen sie die Flexibilität und das Thema Stütze und Atmung ergibt sich dadurch von selbst.

Intonation

HM: Intonation, das ist besonders bei den alten Klarinetten ein Thema. Eine Voraussetzung für eine gute Intonation ist sicher eine gute Gehörsschulung. Aber wie gehst du die Aufgabe instrumentaltechnisch an? Welche Anweisungen gibst du neben den Korrekturen durch Griffe, um bei Bedarf die Tonhöhen nach unten zu korrigieren?

Spezielle Griffe

ES: Am deutschen System – bei der alten Klarinette auch - deckt man viel mehr ab wie beim französischen System.

Übungen

ES: Das Problem des zu hoch Spielens, was ich für eines der grössten Probleme halte – es ist wirklich furchtbar, wie die Klarinetten immer zu hoch sind – umgehen wir so, dass alle Studenten, die ich betreue, einen Cent [Hertz] tiefer üben, als normal üblich. D.h. sie üben auf 429 Hz und nicht auf 430, und modern übe ich z.B. auf 441 Hz, nicht auf 442, dass man sofort dieses Tiefspielen übt.

HM: Das ist die praktische Anweisung. Und worauf müssen sie dabei achten?

Ursachen

ES: Wenn man permanent zu hoch ist, stimmt irgendetwas mit dem Ansatz oder mit dem Blatt nicht. Ich vermeide es, Lösungen anzubieten, weil man die eigentliche Ursache suchen muss. Und die ist meistens Muskelschwäche, [Ringmuskel] oder falsche Atmung oder falsche Luftführung.

Wechselwirkung „Ansatz - Stütze – Luftführung“

HM: Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Atemstütze, Luftführung und Ansatzdruck. Die drei Komponenten gilt es untereinander auszubalancieren. Könnte man das auch so formulieren: fehlende Atemstütze hat einen zu hohen Luftdruck zu Folge, der auch einen zu hohem Ansatzdruck bedingt. Und langsamere Luft - man kann sie beschleunigen durch die Zungenstellung – ermöglich erst einen lockeren Ansatz, eine geringeren Ansatzdruck.

ES: Ja – aber das ist dann klanglich gefährlich. Ich stell mir schon vor, dass die Luft schnell ist, und dass dann über den Ansatz reguliert wird, wie viel Luft dass ins Instrument reingeht oder nicht. Die Luft ist immer schnell. Es gibt aber dann einen dünnen Luftstrom und einen dicken Luftstrom. Das sind aber nunmehr Bilder. Über das kann man Intonation regulieren. [Anmerkung: öffnet sich die Lippenstellung durch Entspannen des Ringmuskels, fliesst mehr und schnellere Luft durch das Mundstück; wir haben einen schnellen, dicken Luftstrom, die Intonation ist eher tiefer. Umschliesst der Ringmuskel das Mundstück ringförmig, und intensiviert sich die Ansatzformung, fliesst schnellere Luft mit etwas mehr Druck, der durch die Atmungsmuskulatur hergestellt wird, durch das Instrument. Dies hat eine höhere Intonation zur Folge]

HM: Stimmt das: wenn man nur den Ansatzdruck verringert, ohne dabei die Luftführung anzupassen, resultiert eine tiefere Intonation. Der Ton ist tiefer, hat aber seine Konsistenz verloren. Wenn man die Luftführung entsprechend anpassen kann, dann klingt er auch in tieferer Intonation noch gut – insbesondere bei den historischen Klarinetten.

ES: Ja, hier liegt da Problem, weil das Material einfach leichter ist.

HM: Welche Anweisung gibst in dieser Situation, um leichte Blätter spielen zu können, betreffend Luftführung – nun nicht im Bereich der Ansatz- und Vokalformung her – sondern was die Atmungsmuskulatur und was die Haltung betrifft? Gehst du wieder zurück auf den Balancekreisel?

ES: Dies ist Spieler abhängig. Hier geht es nun wirklich um die Intonation bei dieser Frage? HM: Ja, oft versucht der Student die Intonation nach unten zu korrigieren, er zieht das Kinn herunter, und gibt dadurch weniger Ansatzdruck. Der Ton ist tiefer, aber die Klangqualität ist fahl und ohne Kern.

ES: Ich habe früher immer zu hoch gespielt, kann nicht sagen wie ich es gelernt haben, aber ich hab’s durchs Zusammenspiel gelernt. Immer mitspielen mit dem Schüler und ihm das Gefühl z.B. von einer reinen Terz geben. Und er muss selber suchen. Da sind oft so kleine Muskeln im Spiel, die kann man nicht externalisieren. Der Schüler muss selber suchen, er muss das implizit verstehen. Ich habe bis jetzt noch keine technische Möglichkeit gefunden, das zu transferieren, ausser das Vorspiel, das gemeinsame Spiel, und immer wieder das Suchen nach den reinen Akkorden. Und das Tief Spielen. Also wirklich ein Hertz unter der Intonation, die normalerweise vorgegeben ist.

Klangfarbe bedeutet Intonation

HM: Da erübrigt sich auch die Frage nach der technische Kontrolle über die Klangfarbe. Das geht eigentlich in die selbe Richtung?

ES: Absolut, ja, und Klangfarbe bedeutet Intonation. Das haben wir ja gesehen: man kann einen Akkord spielen, der sauber ist, aber am Stimmgerät völlig ausschlägt. Und somit mach das Üben mit Stimmgerät für die Intonation auch nur bedingt Sinn. Man kann am Stimmgerät sehr sauber spielen, aber die Farben stimmen nicht, und dann ist es weg. Es ist so wie der Marx in seiner Instrumentationslehre von 1848 (nach der Bruckner Studiert hat) schreibt, dass z.B. Flöte und Klarinette und Oboe und Klarinette parallel schwach klingen. Da überdecken sich die Obertöne und es klingt nicht gut. Es gibt so oft Stellen, wo so was vorkommt: Schubert Unvollendete oder bei Bruckner: ständig Unisono von Klarinette und Oboe. Man muss da mit Klangfarben experimentieren, die sich in die Oboen mischen. Und so was kann man im Unterricht schon üben, in dem man es in der Kammermusik einfordert wenn die Leute mit einer Flöte oder mit einer Oboe kommen und Duette spielen. Farben im Tun lernen. Mit der Farb-Anweisung haben die Studenten oft Probleme. Das kann wieder nur implizit erfahren.

Atemtechnik

HM: Kann man richtig oder falsch einatmen?

ES: Ja der grosse Fehler ist, dass zu viel eingeatmet wird.

Lernen mit Bildern

ES: Dann versuche ich den Studenten Bilder zu geben, um die Einatmung zu minimieren. Da funktioniert die Anweisung erstaunlich gut, wenn man sagt: atme ein und stell dir vor, an eine Blume zu riechen. Beispiel Mozartkonzert, langsamer Satz: Da haben viele Leute am Anfang eine zu grosse Atmung. Wenn die kleiner ist, können die [Studierenden] später mehr Luft holen, und sie kommen besser durch.

HM: Dann hat man auch nicht das Gefühl von „zu viel Luft“ und man Kann besser Stützen, die Dehnbarkeit des Atemapparates bleibt auch während der Ausatmung möglich.

Atmung als rhetorisches Element

ES: Ja. Das ist eine überhaupt eine Erscheinung bei den „modernen Spielern“, die Atmung zu dämonisieren: es wird versucht, die Atmung [das Einatmen] zu unterdrücken, über Zirkuläratmung. Ich finde aber die Atmung als rhetorisches Element extrem wichtig. Sonst ist das ganze nur ein einziger Atemschlauch. Man muss schon auch bei der Einatmung auch der Musikalität ihre Zeit geben. Und wenn die ihre Zeit bekommt, dann wird’s richtig.

HM: Das musikalische Geschehen darf sich ruhig auch aus dem Metrum lösen?

ES: Es muss Zeit haben!

HM: Und die musikalische Phrase soll nicht auf Maximum ausgedehnt und dadurch zur sportlichen Leistung werden, es darf öfters geatmet werden.

ES: Es ist unmusikalisch. Nehmen wir z.B. die ersten zwei Takte aus dem langsamen Satz von Schubert-Oktett: was da „herumgedoktert“ wird, dass man das in einem Atem spielen kann! Wenn ich da nach Absprache mit den Kollegen eine schöne Atmung ausmache, ist das kein Problem.

Fingertechnik und Haltearbeit

HM: Fingertechnik und Haltearbeit des Instrumentes: was ist wichtig bei der Haltearbeit, worauf achtest du bei den Studenten? Ich denke insbesondere an die Form und Position der Handgelenke und der einzelne Finger.

Flexibilität

ES: Bei der alten Klarinette ist es ohnehin so, dass man mehr Flexibilität einfordert, alleine schon weil man so viele Instrumente spielt. Das wichtigste ist, dass das Handgelenk locker bleibt. Wir versuchen, dass hier keine Spannung in der Handwurzel entsteht.

Daumenhalter

ES: Es ist erstaunlich, was die Auswirkung eines nicht vorhandenen Daumenhalters ausmacht. Beim Chalumeau gibt es keinen Daumenhalter, es gibt ihn eigentlich auch bei der klassischen Klarinette nicht. Wir geben dann einen [Daumenhalter] drauf, aber auf der Barockklarinette müssen die Studenten ohne Daumenhalter spielen. Dann müssen sie intuitiv diesen „Krokodilgriff“ lernen, dabei geht es darum , mit dem Kleinen Finger oder mit dem Mittelfinger zusammen mit dem Daumen, die Balance zu halten. Dadurch trainieren sie verschieden Muskeln. Ich hab noch nie ein Problem gesehen bisher.

Stützfinger

HM: Du benutzt immer einen Finger der rechten Hand, zusammen mit dem rechten Daumen als Stützfinger. Die Balance wird mit dem Ansatz ergänzt.

ES: Richtig. Und bei der modernen Klarinette gibt es heute neue Ansätze. Mein Instrument z.B. hat eine verdickte Stelle hinten, wo der Daumenhalter angebracht wird ist noch eine Holzplatte. Das ist ein zweiter Weg, das ist ergonomisch, der Daumen ist in derselben Weise wie die anderen Finger gebogen. Der Daumenhalter selbst ist elastisch, der richtet sich nach der Position des Daumens. Ich hab da Sachen gesehen, bei asiatischen Studierenden, die hier einen Knuppel raushaben [die eine Verformung am Daumen haben] – das geht einfach nicht!

Der „runde“ Daumen

HM: Siehst du das auch so: wenn der Daumen ein bisschen rund ist, sind automatisch die anderen Finger auch rund, wenn der Daumen sich nach aussen biegt, sind auch die andern Finger steif.

ES: Genau. Das ist eben bei den Klarinetten von Gerold Angerer genial. Weil der einfach den Daumenhalter auf eine Verdickung aufsetzt, dadurch muss der Daumen rund sein. Das ganze ist viel ergonomischer.

HM: 'Der Daumen, seine Position und Form, ist eigentlich ausschlaggebend für die Geläufigkeit.

ES Genau. Der hat muss meisten Haltearbeit leisten, und deshalb muss man auf den besonders acht geben. Rund ist ein schönes Bild. Und was bei der alten Klarinette dazu kommt, ist dass es dieses sogenannte „schöne Greifen“, dass die Fingerkuppen nicht überhängen dürfen, bei uns nicht gibt. Manchmal müssen die Fingerkuppen überhängen, bedingt durch gewisse Griffkombinationen. Und das find ich auch immer für Studenten, die von modernen Klarinetten kommen, sehr befruchtend, nämlich dass die lernen, dass die Fingerhaltung manchmal auch flach sein muss, und dann aber wieder aufstehend [runde Finger].

Haltearbeit und Ansatzlinie

HM: Gibt es ein Wechselspiel zwischen Ansatz und Haltearbeit? Nutz du die Möglichkeit aus, dass man mit der Haltearbeit die Ansatzlinie verändern kann?

ES: Nein.

HM: Franz Joseph Fröhlich schreibt davon in seiner Schule: je nach Tonlage kann man mehr oder weiniger Mundstück in den Mund nehmen.

ES: Im 18. Jh. und Anfang 19. Jh. war das sowieso noch andres: wenn die das Blatt oben hatten war der Anspielwinkel viel steiler. Ich finde immer, der Student muss dann selber draufkommen

Musikalische Parameter

Artikulation

HM: Artikulation hat als Gestaltungsmittel grosse Bedeutung. Was bedeutet ein Punkt, was bedeutet ein Keil. hier findet man ganz unterschiedliche Anweisungen in den historischen Schulen.

Die Sprache als Orientierung

ES: Man muss es im Zusammenhang sehen und die Lösung, die für alles funktioniert ist die Sprache. Wenn jetzt Jost Michel schreibt, die Silbe für die Artikulation sei „tu“ heisst das für uns Deutschsprachige „tü“. Und genau so ist es im Deutschen. Wenn Backofen als gebürtiger Darmstätter „tä“ schreibt ist es nicht dasselbe „thä“ eines Norddeutschen, es ist entspannter. Und über die Artikulation von Sätzen und Worten kriegt man das hin. Und es können die banalsten Dinge sein Sobald ein Text drunter liegt und das rhetorische Element rauskommt, dann funktioniert das. HM: Und das hilft auch für die Phrasierung

ES: Ich finde einfach, wenn man Lehren zusieht, die dann den Studierenden die Noten vollschmieren mit Punkten und Keilen – das ist sinnlos. Das ist so wie wenn man nur mit Lautschrift ein chinesisches Gedicht aufsagt. Das geht auch nicht man muss es auch verstehen, und das geht nur über Text.

HM: Herzlichen Dank! Habe ich noch etwas vergessen?

Schlussbemerkungen

Österreichische Spieltradition

HM: Wo hast du dein Studium absolviert und nach welcher Tradition wurdest du im Klarinettenspiel unterrichtet?

ES: Das Studium habe ich mit Herrn Professor Gerald Kraxberger an der Bruckner Universität Linz absolviert, das ist ganz klar die österreichische Spieltradition mit Fokussierung auf das österreichische Klarinettenmodell, auch mit den dementsprechenden Klangvorstellungen. Der zweite Lehrer war dann Eric Hoeprich in Den Haag und die von ihm begründete Tradition der historischen Spieltechnik.

Wenn ich bin nicht so einen genialen Lehrer in Linz gehabt hätte, dann müsste ich heute nicht mehr spielen. Gerald Kraxberger ist pädagogisch einer der genialsten Lehrer den ich kenne. Der hat Leute gerettet, von denen man gedacht hat, die würden nie Klarinette spielen können. Er arbeitet auch mit unorthodoxen Methoden. Mit Balancekreisel, mit Übungen auf dem Boden für das Training von Mikromuskeln, Alexandertechnik.