Szenarioanalyse: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. Januar 2019, 16:20 Uhr

Geprüft: Positiv beurteilt

Die Szenarioanalyse, auch Szenariotechnik genannt, ist ein Instrument des strategischen Controllings und des Risikomanagements bzw. Risikocontrollings (Fischer, Möller & Schultze, 2015, S. 508). In der Analyse geht es um die Beantwortung der Frage „Was wäre wenn...?“. Dazu werden verschiedene Zukunftsszenarien erarbeitet und deren Auswirkungen auf die Organisation untersucht. Dabei dienen die strategischen Entscheide der Gegenwart als Grundlage (Mietzner, 2009, S. 25). Szenarien sind Zusammenstellungen von Ereignissen und deren Folgen auf eine bestimmte Fragestellung bezogen. Die Zusammenstellung sollte dabei möglichst vollständig und in sich plausibel sein sowie die gesamte Breite denkbarer Tendenzen aufzeigen. Meist wird ein positives Extremszenario (Best Case), ein negatives Extremszenario (Worst Case) und ein Trendszenario (Realistic Case) erarbeitet (Bösch, 2013, S. 321).

Ziele der Zukunftsplanung

Als Instrument der strategischen Zukunftsplanung können die Ziele der Szenarioanalyse aus den Zielen der Zukunftsplanung abgeleitet werden. Folgende sechs Punkte sind die Kernziele der Zukunftsplanung (Mietzner, 2009, S. 28):

  • Identifizierung relevanter Trends zur Reduzierung von Unsicherheit
  • Vorbereitung strategischer Entscheidungen durch die Identifikation von Herausforderungen, Chancen und Risiken
  • Unterstützung bei Innovationsprozessen durch die Bereitstellung von Informationen, die bei der Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen helfen
  • Entwicklung zukünftiger und Optimierung existierender Geschäftsfelder
  • Sensibilisierung des Unternehmens für Zukunftsfragen
  • Entwicklung einer breiten Wissensbasis

Anwendungsgebiete der Szenarioanalyse

Heutzutage kommt die Szenarioanalyse in unterschiedlichsten Anwendungsfeldern zum Einsatz (Minx & Böhlke, 2006, S. 22). Hauptsächlich kommt sie im Strategischen Controlling sowie im Risikomanagement bzw. Risikocontrolling zur Anwendung (Fischer et al., 2015, S. 508). Dabei kann die Szenarioanalyse entweder das gesamte Unternehmen oder nur einzelne Teilbereiche wie z. B. ein Profit-Center, ein Investment-Center oder ein Produkt betreffen (Baier, 2008, S. 129). Gemäss Minx und Böhlke (2006) ist die Szenarioanalyse in folgenden Anwendungsfeldern anzutreffen: «Umfeldanalysen, Trend- und Marktforschung, Früherkennung und Krisenprävention, Entwicklung von Visionen und Leitbildern, Stimulation von Ideenfindungsprozessen, Strategieentwicklung und -überprüfung, Produktfolgenabschätzung und Risikomanagement» (S. 22).

Szenarioentwicklung

Es existieren zwei verschiedene Ausgangslagen bei der Anwendung der Szenarioentwicklung: der explorative und der antizipative Ansatz.

Abb. 1: Explorative vs. antizipative Szenarien (Mietzner, 2009, S. 111)

In Abbildung 1 ist ersichtlich, dass die beiden Vorgehensmethoden jeweils verschiedene Ausgangslagen haben. Bei explorativen Szenarien dient der momentane Ist-Zustand als Ausgangspunkt für die Erarbeitung der Szenarien. Die Frage „Was wäre, wenn…“ steht im Mittelpunkt dieser Methode. Die andere Methode funktioniert auf gegensätzlicher Basis. Diese nimmt ein mögliches Szenario der Zukunft als Ausgangslage. Mit der Frage „Was muss geschehen, dass…“ wird danach der Rückschluss zur Gegenwart hergeleitet. Damit wird nach Entwicklungsmöglichkeiten gesucht, die ein solches Szenario in der Zukunft auslösen könnte (Mietzner, 2009, S. 111).

Abb. 2: Der Szenario-Trichter und die drei Grundtypen der Szenarien (Darstellung Mietzner, 2009, S. 119; vgl. von Reibnitz, 1988, S. 30)

Einer der grundlegenden und richtungsweisenden Ansätze der explorative Szenarioanalyse wurde von Ute Hélène von Reibnitz entwickelt. Mit ihrer Darstellung des «Szenario-Trichters» versinnbildlicht sie zum einen die Komplexität und zum anderen die Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft. Je weiter in die Zukunft geschaut wird, desto vielfältiger und umfassender wird die Komplexität und desto grösser wird die Unsicherheit. In ihrem Szenario-Ansatz unterscheidet sie drei Grundtypen von Szenarien, die in der Abbildung 2 ersichtlich sind (von Reibnitz, 1991, S. 28 & S. 45).

Szenario Beschreibung
Positives Extrem-Szenario (best-case-scenario) Das positive Extrem-Szenario zeigt die bestmögliche zukünftige Entwicklung auf und entspricht dem «Wunschszenario». Obwohl die effektive Realisierung sehr unwahrscheinlich ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass sie unmöglich ist (von Reibnitz, 1991, S. 28).
Negatives Extrem-Szenario (worst-case-scenario) Das negative Extrem-Szenario stellt die schlechtest-mögliche Entwicklung dar und entspricht dem «Horror-Szenario». Wie beim positiven Extrem-Szenario gilt auch hier, dass das negative Extrem-Szenario zwar sehr unwahrscheinlich ist, aber nicht als unmöglich einzustufen ist (von Reibnitz, 1991, S. 28).
Trend-Szenario (Trend-Extrapolation) Das Trend-Szenario zeigt die Zukunft auf, bei der die heutige Situation unverändert fortgeführt wird. Somit handelt es sich um die «verlängerte Gegenwart» und wird als «Weiter-so-wie-bisher-Szenario» bezeichnet (von Reibnitz, 1991, S. 28).

In der Literatur wird stark diskutiert, ob ein Trend-Szenario überhaupt von Nöten ist. Von Reibnitz sieht von einem Trend-Szenario ab, da alles beim heutigen Stand belassen wird und keine Kurskorrekturen vorgenommen werden (von Reibnitz, 1991, S. 28).

Prozess der Szenarioanalyse

Eine erfolgreiche Nutzung der Szenarioanalyse bedingt nach Welge und Eulerich (2007) dreier Grundsätze. Die erste Voraussetzung ist ein vernetztes Denken und Handeln der beteiligten Personen, um der grossen Komplexität gerecht zu werden. Es ist daher ratsam, Mitarbeitende aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen in den Prozess miteinzubeziehen. Insbesondere die Einbindung von Technikern und Ingenieuren kann zu einer besseren Erkennung von zukünftigen technologischen Trends führen. Zweitens ist es unabdingbar, sich von vorhandenen Grenzen zu lösen. Die möglichen Zukunftsentwicklungen sollten nicht zu früh eingegrenzt werden. Drittens muss die strategische Perspektive immer miteinbezogen werden. Nur so kann der Auf- und Ausbau von Erfolgspotenzialen ins Zentrum der strategischen Planung und des späteren Controllings gerückt werden (S. 71).

Der Prozess der Szenarioanalyse lässt sich in fünf Phasen gliedern:

  • Szenario-Vorbereitung: Die Zielsetzung und das Gestaltungsfeld werden definiert (Horváth, Gleich & Seiter, 2015, S. 203) und die Projektmitarbeitenden werden ausgewählt. Die Auswahl von geeigneten Projektmitarbeitenden ist von zentraler Bedeutung für die Szenarioanalyse. Weiter sollte ein Zeithorizont festgelegt werden. Sind diese Eckdaten festgelegt, folgt die Identifizierung sämtlicher relevanter Einflussfaktoren. Diese Faktoren können aus allen erdenkbaren Themengebieten stammen (Welge & Eulerich, 2007, S. 71-72).
  • Szenariofeld-Analyse: In diesem Schritt erfolgt die Analyse der zuvor identifizierten Einflussfaktoren.
    Abb. 3: Die Uncertainty-Impact-Analyse (Welge & Eulerich, 2007, S. 72)
    Dabei werden die Einflussfaktoren zuerst nach Einflussgebieten gruppiert und strukturiert. Anschliessend wird mithilfe der Uncertainty-Impact-Analyse, welche in Abbildung 3 ersichtlich ist, die Relevanz der einzelnen Faktoren bewertet. Anhand der Kriterien Wichtigkeit für das definierte Problemfeld und Ungewissheit der zukünftigen Entwicklung des Faktors werden die Einflussfaktoren relativ zueinander bewertet. Als Grundlage für die weitere Analyse dienen die auf der Abbildung 3 eingekreisten Faktoren mit der Merkmalmalausprägung sehr wichtig / gewiss und sehr wichtig / ungewiss (Welge & Eulerich, 2007, S. 72).
  • Szenario-Prognostik: Für die zuvor identifizierten Schlüsselfaktoren werden alternative Entwicklungsmöglichkeiten erarbeitet. Die Datenbasis dafür bilden sowohl interne Daten oder die Marktforschung als auch externe Marktanalysen. Weiter werden auch weiche Informationen der Projektmitarbeitenden berücksichtigt. Ausgehend von der Ist-Situation der einzelnen Faktoren werden diese unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten in die Zukunft projiziert. Am Ende des gewünschten Zeithorizontes sollen verschiedene Entwicklungsrichtungen erkennbar sein (Welge & Eulerich, 2007, S. 72).
  • Szenario-Bildung: In dieser Phase werden die zuvor erarbeiteten Zukunftsentwicklungen zu unterschiedlichen Szenarien zusammengefasst. Szenarien sind ausformulierte und leicht verständliche Zukunftsbilder, welche ausgehend von der Ist-Situation eine plausible und in sich schlüssige Entwicklung zur zukünftigen Situation aufzeigen. Diese Szenario-Storys bilden die Grundlage für den Transfer auf das in der Szenario-Vorbereitung definierte Gestaltungsfeld (Welge & Eulerich, 2007, S. 72-73).
  • Szenario-Transfer: In diesem abschliessenden Schritt der Szenarioanalyse werden die entwickelten Szenarien interpretiert, bewertet und auf das Gestaltungsfeld übertragen. Zeichnet sich ein Szenario ab, soll dieses in die Unternehmenssteuerung einfliessen, damit Handlungsalternativen erarbeitet werden können (Welge & Eulerich, 2007, S. 73).

Neben dem beschriebenen Fünf-Phasen-Modell existieren weitere Modelle wie z. B. das Drei-Phasen-Modell von Baier oder das Acht-Phasen-Modell von Geschka (Baier, 2008, S. 131; Geschka, 1999, S. 534-545).

Stärken und Schwächen der Szenarioanalyse

Die Szenarioanalyse bringt folgende Stärken und Schwächen mit sich (Romeike, 2018, S. 174):

Stärken
  • Einbezug qualitativer und quantitativer Daten
  • Zusammenhänge sichtbar durch Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven
  • Kombination mit weiteren Methoden der Erkenntnisgewinnung
  • Strukturiertes Vorgehen
  • Reduktion der Komplexität durch Einflussfaktorenanalyse sowie Konsistenzmatrix
Schwächen
  • Voraussetzung bzw. Fähigkeit: komplexes und vernetztes Denken
  • Abhängigkeit der Qualität von den Teilnehmenden der Szenarioanalyse
  • Subjektive Beeinflussung durch die Teilnehmenden
  • Zeit- und arbeitsintensiv und dadurch entstehen hohe Kosten

Anwendung in der Praxis

In der Praxis ist die Szenarioanalyse nicht sehr verbreitet. Dies zeigt eine Online-Umfrage vom Controller Magazin, an der Manager und Controller aus 28 Unternehmen mit jeweils mindestens 500 Mitarbeitenden teilgenommen haben. Neun dieser Unternehmen beschäftigen sogar über 10‘000 Mitarbeitende. Die Unternehmen wurden zu einer Liste von 20 strategischen Instrumenten befragt, welche davon zum Einsatz kommen. Das Instrument der Szenariotechnik befindet sich dabei im unteren Mittelfeld. Sie wird «selten» bis «sehr selten» in der Praxis genutzt (Becker, Ulrich & Dietz, 2015, S. 4-6).

In einer weiteren Online-Umfrage des Controller Magazins, bei welcher 26 Industriepartner der Hochschule Pforzheim teilgenommen haben, zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier wurde untersucht, wie häufig gewisse Instrumente für Performance Measurement im Funktionsbereich strategische und operative Planung in nationalen und internationalen Unternehmen genutzt werden. Das Ergebnis zeigt, dass die Szenarioanalyse sowohl in nationalen als auch in internationalen Unternehmen kaum angewandt wird (Binder, 2017, 53-58). Mögliche Gründe dafür werden in den Umfragen nicht erwähnt. Diese dürften aber vor allem in den oben erwähnten Schwächen wie etwa dem hohen Zeit- und damit Kostenaufwand liegen.

Lern- und Praxismaterialien

Aufgaben Fallstudien

Quellen

  • Fischer, T. M., Möller, K. & Schultze, W. (2015). Controlling: Grundlagen, Instrumente und Entwicklungsperspektiven (2. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.
  • Geschka, H. (1999). Die Szenario-Technik in der strategischen Unternehmensplanung. In D. Hahn & B. Taylor (Hrsg.). Strategische Unternehmensplanung - Strategische Unternehmensführung (8. Aufl., S. 518-545). Heidelberg: Würzburg Physica-Verlag.
  • Horváth, P., Gleich, R. & Seiter, M. (2015). Controlling (13. Aufl.). München: Verlag Franz Vahlen.

Autoren

Fabrizio Russi, Matteo Salis, Ardi Sopi, Tobias Stierli, Lukas Wallimann