Verhandlungsbasierte Verrechnungspreise

Aus Controlling-Wiki
Geprüft: Positiv beurteilt

Verhandlungsbasierte Verrechnungspreise basieren auf Verhandlungen zwischen der Organisationseinheit, welche die Leistungen erbringt und jener, welche die Leistungen bezieht (Pfaff & Stefani, 2006, S. 1). Oft wird auch von verhandelten Transferpreisen oder ausgehandelten Verrechnungspreisen gesprochen. Verhandlungsbasierte Verrechnungspreise gehören zusammen mit marktbasierten Verrechnungspreisen und kostenbasierten Verrechnungspreisen zu den am häufigsten verwendeten Arten der Verrechnungspreisermittlung in der Praxis (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 574). Vor allem in Unternehmen mit einem stark dezentralisierten Aufbau sind Verrechnungspreise von grosser Bedeutung. Bei den Verhandlungen von Verrechnungspreisen werden nicht nur die Preise, sondern auch die zwischen den Bereichen fliessenden Gütermengen festgelegt (Küpper, Friedl, Hofmann, Hofmann & Pedell, 2013, S. 518). Da verhandlungsbasierten Verrechnungspreisen meistens marktorientierte Preise zugrunde liegen, kann diese Art der internen Verrechnung als marktnah bezeichnet werden. Sie sind daher näher bei den Markt- als bei den Kostenpreisen einzuordnen.

Ziel und Zweck

Struktur

Das Konzept der dezentralen Unternehmensführung gesteht den einzelnen Unternehmensbereichen einen hohen Grad an Entscheidungsfreiheiten ein. Es gilt aus Sicht der Unternehmensbereiche ein möglichst gutes Bereichsergebnis zu erwirtschaften. Um diesem Ansatz gerecht zu werden, müssen die Verrechnungspreise in einem dezentral geführten Unternehmen entsprechend ausgestaltet sein (Mensch, 2003, S. 926). Die Verrechnungspreise auf Verhandlungsbasis gewähren den Bereichen im Vergleich zu Kosten- und Marktpreisen die grösstmögliche Autonomie (Mensch, 2003, S. 931). Ihr Einsatz ermöglicht die Etablierung interner Märkte und führt damit zu einer Steigerung der Effizienz und Motivation in Zusammenhang mit der internen Leistungserstellung (Wolff, Staubauch & Lindstädt, 2008, S. 146).

Voraussetzungen

Zentral vs. Dezentral

Kultur

Das Prinzip der verhandlungsbasierten Verrechnungspreise setzt voraus, dass die Unternehmenszentrale die nötige Verantwortung an die Bereiche abtritt. Dies führt dazu, dass die Unternehmenszentrale einen Teil ihrer Macht über die Bereiche verliert (Pfaff & Pfeiffer, 2004, S. 307). Ebenso wichtig ist die Verhandlungsmentalität. Diese muss entsprechend in die Unternehmenskultur einfliessen und in den Bereichen etabliert werden. Die entscheidendste Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der verhandlungsbasierten Verrechnungspreise ist, dass die einzelnen Bereiche die Möglichkeit haben, die Produkte extern zu beziehen (Mensch, 2003, S. 931). Würden interne Leistungstransfers vorgeschrieben, wäre nicht klar, worüber die Bereiche verhandeln sollen. Die verhandelnden Bereiche hätten kaum Verhandlungsmacht, da nicht mit dem Bezug von Externen bzw. dem Verkauf an Externe gedroht werden kann. Das Ergebnis wäre eine willkürliche Aufteilung eines gemeinsamen Gewinnes (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 605).

Fallweise vs. Generell

Bevor über den Preis verhandelt werden kann, muss für beide Parteien klar sein, um welches Produkt oder welchen Auftrag sich die Verhandlung dreht. In der Praxis muss unterschieden werden, ob die Verhandlungen fallweise oder generell erfolgen. Bei der fallweisen Verhandlung wird jede vorgeschlagene Transaktion gesondert verhandelt. Bei den generellen Verhandlungen wird vereinbart, aufgrund welcher Prinzipien der Verrechnungspreis im Einzelfall festgelegt wird. Welche Form gewählt wird, hängt im Wesentlichen vom Umfang der unterschiedlichen internen Transaktionen ab. Je häufiger die Transaktionen anfallen, desto eher wird eine generelle Regelung geeignet sein. Bei einer generellen Lösung kommen insbesondere marktorientierte und kostenorientierte Verrechnungspreise in Betracht (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 605)

Preisbasis und Einigungsbereich

Es ist empfehlenswert, als Grundlage für verhandlungsbasierte Verrechnungspreise aktuelle Marktpreise von vergleichbaren Produkten heranzuziehen (Wolff, Staubauch & Lindstädt, 2008, S. 149). Eine weitere Möglichkeit sind marktorientierte Verrechnungspreise. Diese können zur Anwendung gelangen, wenn kein echter Markt für das Produkt besteht, jedoch ein ähnlicher Markt objektive Hinweise auf den Preis geben kann (Nadig, 2000, S. 315). Sind die Möglichkeiten zur Verwendung von Marktpreisen oder marktorientierten Preisen nicht gegeben, muss die Verhandlung auf der Basis von Kosten geführt werden. Dabei sind zahlreiche Vorgehensweisen möglich:

Wie unschwer zu erkennen ist, kann sich die Ermittlung einer entsprechend geeigneten Preisbasis im Einzelfall als schwierig und äusserst komplex erweisen.

Die Position des einzelnen Bereichs wird durch dessen Kosten- und Beschäftigungssituation beeinflusst (Küpper et al., 2013, S. 518). Eine Einigung über den Verrechnungspreis kann nur zustande kommen, wenn die interne Transaktion für beide Bereiche einen Vorteil gegenüber der bestmöglichen (internen oder externen) Alternative bringt. Die jeweiligen Möglichkeiten definieren den Einigungsbereich (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 605). Das Ergebnis der Verhandlung wird innerhalb der Spannweite der Selbstkosten und des Marktpreises liegen (Mensch, 2003, S. 931).

Datei:Unbenannt.png
Abbildung 1: Einigungsbereich bei Verhandlungen (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 606)

Die folgenden Szenarien sind in der Abbildung 1 ersichtlich. Bereich 2 benötigt eine Leistung, welche sie von Bereich 1 beziehen möchte. Die beiden Bereiche verhandeln um den Preis, wobei die Grenzkosten von Bereich 1 120 und der Verkaufspreis von Bereich 2 200 betragen. Die Grenzkosten belaufen sich auf 30. Der Deckungsbeitrag von Bereich 2 ist also 200-30 = 170. Wenn keine Alternativen bestehen, liegt der Einigungsbereich zwischen 120 und 170. Verkauft Bereich 1 seine Leistung für 145 an einen externen Kunden weiter, so entstehen Opportunitätskosten von (145 – 120) 25. Der Einigungsbereich sinkt und liegt neu zwischen 145 und 170. Falls jetzt Bereich 2 die Option hätte, die Leistungen bei einem anderen Lieferanten für 160 zu beziehen, minimiert sich der Einigungsbereich auf [145, 160]. Kann der Bereich 2 die Leistung für 140 beziehen, gibt es keinen Einigungsbereich mehr. Es würden beide Bereiche ihre jeweiligen Alternativen wahrnehmen. Auch die Zentrale gewinnt dadurch, weil die Summe der Bereichsgewinne bei (145-120) + (170-140) = 55 liegt anstatt bei 170-120 = 50 (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 606).

Innerhalb dieses Einigungsbereichs ist die Bestimmung des Verrechnungspreises jedoch schwer vorhersehbar (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 606). Hier kommen weitere Einflussfaktoren zum Tragen. Bspw. das Verhandlungsgeschick der jeweiligen Personen aus den Bereichen (Küpper et al., 2013, S. 518). Weiter hat auch die Verhandlungsmacht (aufgrund der besseren Alternativen) der Bereiche einen wesentlichen Einfluss (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 606).

Beurteilung

Grundsätzlich gilt, dass marktnahe Verrechnungspreise dazu beitragen, die Effizienz und Motivation zu steigern. Zusätzlich kann ein geeignetes Anreizsystem die Verhandlungen konstruktiv unterstützen. Falls den verhandlungsbasierten Verrechnungspreisen, wie in obigen Abschnitten aufgeführt, Marktpreise zugrunde liegen, erzeugt dies einen Druck sowohl auf den Verkäufer als auch auf den Einkäufer. Dieser Druck führt zu einer Optimierung der Allokation der vorhandenen Ressourcen. Werden hingegen kostenorientierte Preise verwendet, entsteht nur für eine der beiden Parteien ein Effizienzdruck je nach verwendeter Grundlage und Art des Verrechnungspreises:

  • Plankosten = Effizienzdruck auf Seite Lieferant
  • Ist-Kosten = Effizienzdruck auf Seite Abnehmer

Somit entscheidet bereits die der Verhandlung zugrunde liegende Transaktionsbasis die in Zukunft einsetzende Effizienzwirkung. Die Transaktionsfreiheit ist von grosser Bedeutung. Liefer- und Bezugszwänge von übergeordneter Stelle haben eine kontraproduktive Auswirkung auf die Verhandlungen und schränken das Motivations- und Effizienzpotenzial von verhandlungsbasierten Verrechnungspreisen ein (Wolff, Staubauch & Lindstädt, 2008, S. 151-152).

Vorteile

Schulze & Weiler (2007) sehen die vorhandenen und zur Verhandlung genutzten Informationen über die Kosten- und Erlössituation als Vorteil an (S. 106). Dadurch erhalten die Geschäftsbereiche eine bestmögliche Autonomie (Pfaff & Stefani, 2006, S. 2). Zudem werden der Entscheidungsspielraum und die Motivation der Bereiche gefördert und Anreize geschaffen. Durch den Austausch von Informationen nimmt das Wissen jedes Bereichs für die eigenen Entscheidungen zu (Küpper et al., 2013, S. 518). Die Zentrale verliert einerseits durch die hohe Autonomie der Geschäftsbereiche teilweise die Steuerungsgewalt über die Geschäftsbereiche und kann in diesen Bereichen keine Entscheidungen mehr fällen, die zum Vorteil der Gesamtunternehmung beitragen (Control Loss). Andererseits sind die Geschäftsbereiche in der Lage, die zur Verfügung stehenden Informationen bei den Verhandlungen zu Ihren Gunsten zu nutzen (Flexibility Gain). Dadurch profitiert die Zentrale wiederum (Pfaff & Pfeiffer, 2004, S. 307).

Herausforderungen und Probleme

Kultur

Durch die Autonomie der Bereiche lassen sich die Preise von der Unternehmensleitung nur begrenzt vorhersagen (Küpper et al., 2013, S. 518). Nach Ewert & Wagenhofer (2014) kann es zudem durch die fehlende Koordinationsfunkion der Zentrale (Control Loss) in der Gesamtunternehmenssicht zu Fehlentscheidungen kommen (S. 605). Um dieses Koordinationsproblem zu lösen, könnte die Zentrale unter den Geschäftsbereichen die Kompetenzen aufteilen. Dabei bestimmt der produzierende Geschäftsbereich vorab den Verrechnungspreis. Danach entscheidet der beziehende Bereich über die für ihn optimale Menge. Bei diesem Ansatz hat der produzierende Bereich beinahe eine monopolartige Stellung (S. 621). Ebenfalls stellt die Verhandlungsmacht und das Verhandlungsgeschick der involvierten Parteien eine Herausforderung dar. Dies beeinflusst das Verhandlungsergebnis entscheidend. Somit steht nicht mehr nur der wirtschaftliche Aspekt im Zentrum. Ebenso ist die Gefahr von Konflikten unter den Unternehmensbereichen gross (Mensch, 2003, S. 931). Diese Konfliktsituationen können Verhandlungen erschweren. Besonders schwierig werden Verhandlungen beispielsweise, wenn es sich um spezifische, nicht marktgängige Güter handelt. Führen die Verhandlungen nicht oder nicht in angemessener Zeit zum Erfolg, entsteht das Risiko, dass die Zusammenarbeit in anderen Fragen beeinträchtigt wird (Küpper et al., 2013, S. 518-519). Fühlt sich also ein Bereich in den Verhandlungen benachteiligt, kann dies zu einer Beeinträchtigung der Zusammenarbeit unter den einzelnen Bereichen führen (Mensch, 2003, S. 931).

Darum stellt die Zentrale meistens eine Schlichtungsstelle oder ein Prozedere zur Konflikthandhabung zur Verfügung (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 607-608). Zudem gilt es hier zu erwähnen, dass für die Verhandlung der Verrechnungspreise viel Zeit und Ressourcen beansprucht werden (Mensch, 2003, S. 931). Weiter besteht die Gefahr von dysfunktionalem Verhalten. Es besteht bspw. die Gefahr, dass Verbundeffekte aufgrund eines legitimen und erwünschten Ressourcenegoismus vernachlässigt werden (Weber & Schäfer, 2014, S. 218). Nach Ewert & Wagenhofer (2014) ist ein weiterer Nachteil dieser Methode, dass unter Umständen sinnvolle Investitionen verhindert werden. Der Grund dafür ist, dass der investierende Bereich die gesamten Kosten trägt, aber nicht den gesamten Erfolg dafür erhält. Dabei handelt es sich um das sogenannte Hold-Up Problem (S. 608).

Fairness vs. Gewinnstreben

Luft & Libby (1997) analysierten das Problem, welches entsteht, wenn die Divisionen die freie Wahl zwischen dem internen Handel und dem externen Markt haben. Angenommen der Marktpreis für ein Produkt beträgt CHF 500 pro Stück. Aus Sicht des Marktpreises ist es einerseits für den Verkäufer unattraktiv, das Produkt zu einem tieferen Preis zu verkaufen. Andrerseits ist es für den Käufer unprofitabel, das Produkt zu einem höheren Preis zu kaufen. Aus dieser Sichtweise ist es also für den Verkäufer unbedeutend, ob der Produktionspreis CHF 250 oder CHF 460 beträgt, da er das Produkt am rentabelsten zum Marktpreis (CHF 500) verkauft. Auch wenn der Verkäufer durch den internen Handel Kosten sparen würde, zum Beispiel durch wegfallende Marketingkosten von CHF 30, wird die Division das Produkt wahrscheinlich nicht für CHF 470 verkaufen (S. 218). Erstaunlicherweise haben Luft & Libby aber herausgefunden, dass der Marktpreis die Verhandlungen nicht so stark beeinflusst wie oben veranschaulicht. Die buchhalterischen Daten spielen eine weit wichtigere Rolle bei den Verhandlungen als angenommen und beeinflussen somit den Verrechnungspreis. Dieses Phänomen führen die beiden Forscher vor allem auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zurück. Viele erfahrene Manager möchten Konflikte innerhalb der Division vermeiden. Die Konflikte entstehen vor allem, wenn der Gewinn auf beiden Seiten bekannt ist und dieser auf der einen Seite ungleich höher ist als auf der anderen. Den verschieden hohen Gewinn empfinden die Manager als unfair. Sobald der Marktpreis nicht mehr als Verhandlungsbasis dient, verkompliziert sich der Verhandlungsprozess und wird dadurch zeitintensiver. Da die Untersuchungen unter stark vereinfachten Bedingungen durchgeführt wurden, braucht es auf diesem Gebiet weitere Forschungsarbeit (S. 227-228).

Lern- und Praxismaterialien

Aufgaben Fallstudien

Quellen

Literaturverzeichnis

Weiterführende Literatur

Autoren

Daniel Strohmeier, Patrick Stutz, Hanspeter Troxler, Matthias Wälti