Kategorie:Historische Unterrichtswerke
Die Inhalte historischer Unterrichtswerke waren in allen Epochen eng mit den aktuellen Entwicklungen des Instrumentenbaus verknüpft. Das Griffsystem, die Anzahl und Position der Klappen sowie das Gewicht des Instrumentes bedingten spezifische Fingertechnik und Haltearbeit. Die Kombination von Instrumentenbohrung und Wandstärke, die Beschaffenheit der Tonlöcher, die darauf abgestimmten Ausmasse von Mundstück und Klarinettenblatt unterscheiden sich deutlich von den Voraussetzungen unserer heute gespielten Instrumente. Damit verbindet sich auch ein Wandel von Ansatzformung und Resonanzformung, Luftführung und Artikulation. Anhand dieser Veränderungen können die klangästhetischen und musikalisch-gestalterischen Ideale der jeweiligen Epochen nachvollzogen werden. Deshalb ist auch für die heutige Praxis die Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklungen der Klarinettendidaktik lohnenswert. So wie die Etablierung von Neuerfindungen im Instrumentenbau langsam vor sich ging, ist auch betreffend der „richtigen“ Spieltechnik ein gleichzeitiges Nebeneinander verschiedener Lehrmeinungen zu beobachten.
„Übersichblasen“ oder „Untersichblasen“?
Der Spielpraxis von von Oboe und Fagott folgend wurde die Klarinette, meist auch von diesen Instrumentalisten gespielt[1]mit entsprechendem Ansatz angeblasen: Das Blatt wurde von der Oberlippe kontrolliert, die Unterlippe hatte Kontakt mit dem Mundstück. Diese Anblasart wurde in den historischen Unterrichtswerken „Übersichblasen“ genannt. In der heutigen Fachliteratur[2] wird dieser Ansatz als maxilliarer Ansatz bezeichnet (von lateinisch Maxilla, der Oberkiefer). Das „Übersichblasen“ wurde im ausgehenden 18. Jhd. in Paris gelehrt, wo auch die ersten umfassenden Unterrichtswerke für Klarinette erschienen sind. Nach der Französischen Revolution hielt sich diese Anblastechnik im Einflussbereich des „Conservatoire de Paris“ bis ca. 1836. Ferdinando Busoni[3] hielt das „Übersichblasen“ für die einzig richtige Methode, da der Klang im Kontakt mit der schwächeren Oberlippe weit modulationsfähiger und weicher, die Möglichkeiten der Schattierungen grösser und die Intonation reiner war.
Beim „Untersichblasen“ berührt das Blatt die Unterlippe. Diese Ansatzart, auch mandibularer Ansatz genannt (von Lateinisch Mandibula, der Unterkiefer) fand zunächst im deutschen Sprachraum Verbreitung. Ab ca. 1809 finden sich in den Unterrichtswerken Beschreibungen beider Anblasarten . Bis zu Beginn des 20. Jhd. konnten einige Lehrmeister beiden Methoden Vor- und Nachteile abgewinnen, andere wiederum hielten sich strikt an die eine oder andere Art. So war Carl Baermann kompromissloser Verfechter des „Untersichblasens“. Die oberen Zähne hatten dabei direkten Kontakt mit dem Mundstück, das vor Abnützungen durch eine Silberplatte geschützt war. Diese Anblasart hält Baermann für „natürlicher und zweckmässiger...da die Ausdauer und daher in notwendiger Folge die Sicherheit wenigstens die doppelte ist“ (Baermann, Offenbach/Main 1861). Werden Ober- und Unterlippe über die Zähne gezogen, würde „...der Ton dem Bläser selbst, jedoch nur scheinbar, weicher klingt...“ (ib).
Einzelnachweise
- ↑ https://etd.ohiolink.edu/rws_etd/document/get/ucin1122911553/inline Joan Michelle Blazich, Amand Vanderhagen: „Original Text, English Translation, and a Commentary on Amand Vanderhagen’s Méthode Nouvelle et Raisonnée Pour La Clarinette (1785) and Nouvelle Méthode de Clarinette (1799): A Study in Eighteenth-Century French Clarinet Music“, Lewiston : Edwin Mellen Press 2009. S. 3. Abgerufen am 24. Juli 2014
- ↑ Heike Fricke: Die Klarinette im 18. Jahrhundert: Tendenzen und Entwicklungen am Beispiel der Sir Nicholas Shackleton Collection. Falkensee: Finkenkrurger Musikverlag, 2013, S. 269
- ↑ Ferdinando Busoni: Scuola di perfezionamente per il clarinetto : scale di esercizj in tutti toni ... con aggiunta di sette grandi studi. Hamburg [u.a.] : Cranz, 1883
Seiten in der Kategorie „Historische Unterrichtswerke“
Folgende 7 Seiten sind in dieser Kategorie, von 7 insgesamt.