Übetechnik

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Beitrage von Interviewpartnern

Pausen als Schlüssel zum Erfolg

Der zusammenfassende Artikel von Eveline Geiser (2021)[1] und der ausführliche Forschungsbericht von Ethan R. Buch (2021)[2] zeigen auf, dass der Wechsel zwischen kurzen Übsequenzen und kurzen Pausen von je nur 10 bis 15 Sekunden(!) bei schnellen und anspruchsvollen Bewegungsabläufen zu sehr guten Lernerfolgen führt. Die Methode setzt ein gutes Mass an Selbstdisziplin und eine sorgfältige Planung der Übsequenzen voraus; die Lernsprünge nach den Pausen sind schlicht faszinierend!

Mentales Üben

Das mentale Üben basiert auf Erkenntnissen der Hirnforschung. Verschiedene Hinregionen, wie das auditive und das motorische Zentrum, werden in separaten Schritten vorerst nur gedanklich aktiviert. In möglichst entspanntem Zustand wird dann der Text in Kombination beider Hirnregionen "durchgedacht". Durch inneres Mitsingen, ohne wirklich ausgeführte Bewegungen der Finger stellt man sich den Tonhöhenverlauf und die damit verbundene motorische Aktivität vor. Erst danach wird auf dem Instrument mit "realen" Bewegungen und akustischem Resultat durchgespielt, die vorher mental eingeübte Stelle wird überprüft. Ein Wechsel von akustischem und mentalem Üben verspricht nachhaltiges Lernen.
Klaus Härtel (2021)[3] beschreibt die Technik des mentalen Übens, und zitiert Eckart Altenmüller:

„Ich gehe beispielsweise 4-Takte-weise vor und erarbeite das Werk Schritt für Schritt. Dabei stelle ich mir vor, wie es klingt und welche Bewegungen meine Finger dabei machen. Extrem wichtig ist beim Bläser der Atemverlauf. Ich versuche, mir die Stellung etwa des Mundraumes und des Kehlkopfs vorzustellen.“

Eckart Altenmüller: in Härtel, Klaus. 2012. Clarino 9/2012, S.22-26 [1][3]



Interviews mit Dozierenden der Hochschule Luzern - Musik

Im Dezember 2014 beschäftigte sich Tobias Epp in seiner Masterarbeit Musikpädagogik an der HSLU-Musik mit dem Thema Üben. Der Fragekatalog der Interviews greift ausgewählte Themen aus der Fachliteratur auf und beleuchtet die Übe-Praxis von drei Dozierenden unter folgenden Aspekten:

  1. Biographie des Übens
  2. Freie Tage
  3. Körperliche Fitness
  4. Tagesplanung
  5. Schriftlicher Übeplan
  6. Rotierende Aufmerksamkeit
  7. Fragen zum Üben von Literatur
  8. Üben von Interpretation mit Tonaufnahmen
  9. Basics – Etüden – Literatur
  10. Neue Werke
  11. Aufnahmen anderer Interpreten
  12. Solostimme im Kontext
  13. Üben von hinten nach vorne oder von vorne nach hinten?
  14. Schwierige Stellen
  15. Anzahl Wiederholungen
  16. Musikalischer Ausdruck
  17. Mentales Üben
  18. Auswendiglernen

Pirmin Grehl

CV Pirmin Grehl siehe hier. Dies ist eine Transkription des mündlich geführten Interviews, Luzern im Dezember 2014.

1 Biographie des Übens Wie viel übst du, und wie hat sich dein Übeverhalten über die Jahre verändert (als Schüler, als Student, heute)?

"Das Übeverhalten hat sich natürlich im Laufe der Zeit verändert, damals als Student habe ich täglich rund vier Stunden geübt. Wenn ein grosser Wettbewerb anstand, habe ich auch mal 5 Stunden täglich investiert, dies über einen Zeitraum von 3 – 4 Wochen. Heute übe ich natürlich zeitbedingt viel weniger als damals. An den Tagen an denen ich unterrichte bin ich froh, wenn ich zwischendurch mal 30 Minuten üben kann. Zu Hause in Berlin, neben Orchesterdienst und Familie, nehme ich mir die Zeit die bleibt. Da ist es sehr unterschiedlich, je nach dem was gerade ansteht.“

2 Körperliche Fitness Welche Rolle spielen Gymnastik, Körperübungen, bzw. Sport für dich?

„Bewegung ist für mich sehr wichtig, nicht zwingend zum Ausgleich, sondern um instrumentenspezifischen Fehlhaltungen und Verkrampfungen vorzubeugen. Diese sind natürlich meist mit dem Klang gekoppelt und unbedingt zu vermeiden. Früher habe ich auch regelmässig ein Fitnessstudio besucht, wofür mir heute leider die Zeit fehlt. Ich habe jedoch zu Hause eine Physiotherapeutin die ca. alle 14 Tage bei mir vorbeikommt und mit mir dann eine Stunde „Personal Coaching“ betreibt. Dabei wird auf bewusste Körperhaltung und bewusstes richtiges Sitzen und Stehen eingegangen.“ 3 Freie Tage Übst du 7 Tage die Woche, oder gibt es auch einen freien Tag?


„Ja, es gibt hin und wieder Pausentage, an denen ich entweder sehr wenig – z.B. nur 45 Minuten - Basics übe, oder die Flöte wirklich gar nicht in die Hand nehme, da ich eine strenge Woche hatte.“

4 Tagesplanung Wie sieht ein guter, zeitlich uneingeschränkter Übetag für dich im Idealfall aus?

„Am liebsten übe ich am Morgen. Mein Biorhythmus hat sich im Laufe der Jahre gut darauf eingestellt da am Vormittag meist die Kinder in der Schule sind, und so ruhiges Üben zu Hause möglich ist. Auch damals als Student habe ich es schon bevorzugt am Morgen zu üben, da danach meist Kurse zu besuchen waren. Bei Gelegenheit habe ich natürlich am Nachmittag weiter gemacht.“

5 Formulieren von Zielen Was sind für dich Übeziele? Ist das Ziel z.B. ein Konzert – oder ist ein Ziel manchmal auch nur ein Takt oder eine Phrase?

„Das ist natürlich sehr verschieden. Das wichtigste für mich ist ein gutes Basics-Paket, welches ich unbedingt regelmässig brauche. Ich habe meine fixen Übungen zusammengesucht, welche mir helfen, die Schwierigkeiten der Literatur zu meistern, z.B. die eine oder andere Übung, um einen hohen Pianissimo-Ton entsprechend zu führen. Das nimmt für mich eigentlich den grössten Teil beim Üben ein. Auch Klangübungen sind für mich essentiell. Wenn ich keine Zeit dafür habe merke ich, dass mir die Sicherheit im Klang verloren geht. Alle anderen Ziele sind sehr davon abhängig, was gerade auf dem Programm steht.“

6 Schriftlicher Übeplan Ist ein schriftlicher Übeplan für dich sinnvoll? – Wenn ja, wie sieht dieser aus? Oder ist eine gewisse Flexibilität besser?

„Für mich selbst nutze ich keinen schriftlichen Übeplan. Je nach zur Verfügung stehender Übezeit habe ich aber meistens vorher einen Überblick über eine ungefähre Zeiteinteilung. Gelegentlich habe ich mit Studenten einen Übeplan erstellt, der als grober Fahrplan dienen sollte.“ 


7 Rotierende Aufmerksamkeit Rotierende Aufmerksamkeit heisst, immer nur einen Aspekt isoliert behandeln, und dann zum nächsten gehen. Ist das notwendig oder kann man auch mal mehrere Aspekte parallel behandeln (z.B. Artikulation, Dynamik, Agogik, ...)?

"Ich denke, viele Aspekte sind miteinander gekoppelt und nicht gut getrennt zu üben. So fühlt sich z.B. ein Staccato in einer lauten Dynamik natürlich anders an, als bei einer sehr leisen Dynamik. Darum macht es auch Sinn, dies zusammen zu behandeln. Aber sicher gibt es auch Situationen in denen es Sinn macht, sich auf einen speziellen Parameter zu fokussieren.“ 


8 Üben von Interpretation mit Tonaufnahmen Wie kannst du deine eigene Interpretation am besten wahrnehmen? Sind MP3-Aufnahmen sinnvoll für dich, oder bist du in der Lage, dich beim Spielen direkt ausreichend wahrzunehmen? – Wenn ja, wie oft nimmst du dich auf?

„Also ich mache sehr wenig Aufnahmen von mir selbst, wobei ich es eigentlich gut finden würde. Ich denke, ich sollte es wieder mehr machen, da man sich doch anders zuhört wie während des Spielens. Ein positiver Nebenaspekt dabei ist, dass man versucht, alles auf den Punkt zu bringen. Man kann es sich wie einen Bühnenauftritt vorstellen. Ich versuche bei einer Aufnahme ein möglichst gutes Durchspiel zu realisieren und nicht einzelne, missglückte Stellen zu wiederholen. – Im Anschluss kann ich mir dann anhören, was bei diesem Probeauftritt an welcher Stelle passiert ist.“ 


9 Basics – Etüden – Literatur Sind für dich diese drei Blöcke gleichwichtig beim Üben, oder hast du eine Priorität?


„Sehr viel Basics! Auf jeden Fall! – Wenn ich nicht viel Literatur vorbereiten muss für anstehende Projekte, dann spiele ich am liebsten Grundlagen und Übungen. Etüden eigentlich mittlerweile weniger, oder nur noch gezielt, wenn ich genau weiss, dass ich mit dieser Etüde jenes Problem konkret behandeln kann. Es gibt Modellhafte Etüden, die einen ein Leben lang begleiten. Andererseits gibt es Etüden um Tonarten und Dreiklänge zu üben. Diese Etüden hab ich irgendwann zur Seite gelegt, da es irgendwann läuft. Ich denke man weiss ja selber, wo die Stärken und Schwächen bei einem selber liegen und was man dann mehr oder weniger üben muss.“ 


10 Neue Werke Macht es für dich Sinn, sich beim Erlernen eines neuen Stückes auf ein Tempo festzulegen, welches so langsam ist, dass kein Fehler passieren kann, oder spielst du erstmal darauf los um einen ersten Höreindruck zu bekommen, und nimmst dafür evtl. auftretende Fehler in Kauf?

„Ich bin auf jeden Fall einer, der immer erstmal spielt um einen ersten Eindruck zu bekommen. Auch sogar bei neuer Musik, welche manchmal sehr komplex zu lesen ist, aber dennoch möchte ich erst einmal irgendwie durchspielen. Ich brauche ein Bild von dem Stück – vom Charakter, vom Temperament. Ich benutze im Prinzip beide Methoden und denke, diese nähern sich dann nach und nach an. Vielleicht liegt es auch daran, wie ich aufgewachsen bin. Mein erster Unterricht als Kind bestand ohne grosse Hintergrundinformation. Es wurde einfach viel gespielt. Wenn ich einen Etüdenband hatte, dann habe ich ihn einfach durchgespielt, ohne mir grosse Gedanken zu machen. Das genaue Zuhören musste ich erst später lernen. Aber ich denke, diese Methode hatte damals auch ihre Vorteile. Ich denke auch, dass es Stücke gibt, mit denen man nie abschliesst, die nie wirklich fehlerlos sind. Gerade auch in der neuen Musik.“

11 Aufnhamen anderer Interpreten Nutzt du bereits vorhandene Aufnahmen von einem Werk, um ein Stück kennen zu lernen, oder lässt du dich von Beginn an auf deine eigene Ideen ein?

„In letzter Zeit nutze ich selten Aufnahmen um ein Stück kennen zu lernen. Natürlich bei einem Orchesterwerk oder Ensemblestück hört man sich schon mal eine Aufnahme an, um zu wissen was alles passiert. Und heute muss man auch nicht mehr CDs kaufen gehen. Man kann einfach schnell bei Youtube und Spotify reinhören. Aber generell komme ich lieber immer erst alleine nur durch den Text zur Musik und hinterher hör ich mir dann andere Aufnahmen an.“ 


12 Die Solostimme im Gesamtkontext Wann kommt für dich als Solist bei einem Solowerk mit Klavier die Klavierstimme ins Spiel?

„Sofort! Also gut: vielleicht spiele ich erst die Solostimme einmal durch, weil man es einfacher lesen kann. Aber eigentlich übe ich sonst immer aus der Partitur und spiele auch teilweise die Klavierstimme auf der Flöte mit, einfach um Zusammenhänge zu begreifen.“ 


13 Üben von Stücken von hinten nach vorne Wie stehst du zum Üben von Stücken von hinten nach vorne oder von vorne nach hinten?

„Am Anfang beginne ich immer vorne im Stück, einfach um den Ablauf einmal zu kennen. Bei isoliertem Üben übe ich dann schon auch mal kreuz und quer. Aber meistens gehe ich schon von vorne nach hinten durch.“ 


14 Schwierige Stellen Wie werden technisch besonders schwierige Stellen geübt (sehr langsam und dann das Tempo nach und nach erhöhen, oder im Originaltempo aber in kleine Gruppen unterteilt)?


„Ich finde beide Wege sind gut, aber auch sehr verschieden für unser Hirn. Manchmal spiele ich Passagen in extremer Zeitlupe, um alles wirklich ganz genau zu verstehen. Da kann ein 5 Minuten Stück schon mal eine Stunde dauern. Für mich effektiv ist auch die Methode, einen kleinen Teil in „Schleife“ zu üben, wenn ich es dann 8 oder 9 mal am Stück richtig gespielt habe, dann habe ich ein sicheres Gefühl. Aber auch der Weg über kurze Strecken im Originaltempo zu üben, halte ich für eine durchaus sinnvolle Möglichkeit. Die bei meinen Studenten am meisten verbreitete Methode ist sicher die, langsam zu beginnen und dann das Tempo nach und nach zu steigern.“ 


15 Anzahl Wiederholungen Wie oft wiederholst du eine schwierige Stelle? Passiert es, dass eine Stelle irgendwann nur noch „mechanisch“ klingt und die Emotionen abflachen wenn du es zu oft wiederholst?


"Oft! Gerade bei technischen Stellen die schwer in die Finger gehen, halte ich es sogar für sinnvoll, die Stellen erst einmal rein technisch, bzw. maschinell zu üben. Da ist keine Musik notwendig – was aber nicht heisst, mit schlechtem Klang zu spielen! Aber ich glaube, ich hab noch keine Stelle „tot geübt“, so dass ich am Schluss keine Emotionen mehr einbringen konnte. Ich glaube auch, wenn man eine solche Stelle versucht, immer mit Emotion zu spielen, dann ist diese Emotion nur noch künstlich. Der Komponist hat die Stelle ja auch nicht zwanzig Mal komponiert, sondern genau dieses eine Mal im Stück unter bestimmten Zusammenhängen.“

16 Grenzen ausloten Macht es für dich Sinn „übertrieben“ zu üben, das heisst z.B. Akzente und Dynamiken beim Üben zu übertreiben?

"Ja das macht durchaus Sinn. Ich finde, man sollte beim Üben immer die Grenzen verschieben, bzw. über das Limit gehen. Beispielsweise eine Stelle so laut spielen, das der Klang wirklich schlecht wird, wenn ich das ein paar Mal mache, habe ich vielleicht die Grenze schon ein paar Prozent weiter nach oben bekommen. Ich übe quasi „forte“ spielen durch „forte“ spielen.“

17 Mentales Üben Welche Methoden des mentalen Übens verwendest du (verbale Vorstellung, akustische Vorstellung, visuelle Vorstellung z.B. Notentext innerlich vorstellen, Bewegungsvorstellung)?

"Also die visuelle Vorstellung, sprich den Notentext vorstellen, kann ich überhaupt nicht. Ich beneide Musiker mit einem fotografischen Gedächtnis. Bestimmte Passagen sprechen hingegen wende ich oft an, gerade beim Rhythmus. Ich denke das ist bei mir die meist verwendete Methode. Vor allem auch bei neuer Musik finde ich die Sprechmethode super.“ 


In welchem zeitlichen Verhältnis steht das Üben am Instrument zum mentalen Üben?


„Es passiert nicht immer bewusst. Es kommt oft vor, das ich im Zug sitze oder beim Joggen bin und dann gehen mir bestimmte Dinge durch den Kopf, dann bewege ich meine Finger dazu, wie ich in Gedanken spiele. Ich setze mich aber nie bewusst hin und nehme mir vor, jetzt etwas bewusst mental zu üben. Ausser ich bin z.B. mit einer Kammermusikgruppe auf Reisen und lese dann die Ensemblenoten unterwegs. Dann stelle ich mir natürlich schon einige Dinge dazu vor, was ich wie mit wem machen will. Im Prinzip beschäftigt mich das Instrument den ganzen Tag, nur nicht immer bewusst.“ 


Übst du heute mehr mental wie früher als Student?

„Ja das mag sein, da weniger Zeit zur Verfügung steht.“ 


Empfiehlst du deinen Studenten auch mentales Üben?


„Ich unterrichte es nicht direkt. Aber es kommt natürlich oft vor, dass wir das Instrument im Unterricht weglegen und bestimmte Dinge durchsprechen, um die Vorstellung zu schärfen, bevor wir weiterspielen.“ 


18 Auswendiglernen Wie lernst du ein Stück auswendig?


„Das ist verschieden. Natürlich spiele ich es erst ein paar Mal durch um einen Anhaltspunkt im Ohr zu haben. Dann ist die Form wichtig, gerade bei fast gleichen Teilen, dass man weiss wo man aufpassen muss. Stück für Stück auswendig zu lernen, ist denk ich schon die schnellste Methode.“

Heinrich Mätzener

CV Heinrich Mätzener siehe hier.

1 Biographie des Übens Wie viel übst du, und wie hat sich dein Übeverhalten über die Jahre verändert (als Schüler, als Student, heute)?

''Das ist heute ganz anders als früher. Als Student stand mir dazu insgesamt mehr Zeit zur Verfügung. Ausgiebiges und regelmässiges Üben verlege ich heute in die Semester- und Saisonferien oder in ein „orchesterfreies“ Zeitfenster. Hier kann es mir passieren, an einem einzelnen Tag dann wieder bis zu 6 Stunden mit dem Instrument zu verbringen. Solche intensiven Übphasen waren im Studium und gleich danach jeweils vor Wettbewerben und Probespielen angesagt. Im aktuellen Unterrichts- und Orchesteralltag stellen aber schon 2 Stunden Üben eine sehr komfortable Situation dar.''

2 Freie Tage Übst du 7 Tage die Woche, oder gibt es auch einen freien Tag?

''Das kann man nicht allgemein festlegen. Ich denke es macht Sinn, sich nach einem grossen Konzert oder nach einer Tournee etwas zu erholen. Freie Tage müssen auf den Terminplan abgestimmt sein.''

3 Körperliche Fitness Welche Rolle spielen Gymnastik, Körperübungen, bzw. Sport für dich?

''Das finde ich sehr wichtig. Manchmal ziehe ich etwas Sport auch dem Üben vor, wenn ich dann mal einen Vormittag frei habe. Es muss nicht viel sein, ein kleines Fitnessprogramm ist ausreichend. Ich liebe das Nordic Walking, hier kann man sehr gut die Atemstütze trainieren! Auch Schwimmen, Langlauf und Radfahren sind für mich geeigneter Ausgleich. Ich praktiziere auch ein kleines Yogaprogramm, leider nicht regelmässig!''

4 Tagesplanung Wie sieht ein guter, zeitlich uneingeschränkter Übetag für dich im Idealfall aus?

''Einen freien Übetag nutze ich für das Einstudieren neuer Werke, es ist dann oft zeitgenössische Musik. Das ist neben analytischer Arbeit auch meist mit viel Arbeit an den technischen Bewegungsabläufen verbunden, aber auch mit der Klärung rhythmisch komplizierter Stellen. Das Verständnis der Gestik und des Habitus zeitgenössischer Musik braucht viel Zeit. Sind es Repertoirestücke, gilt die grösste Aufmerksamkeit dem immer wieder neuen Ausprobieren von Phrasierungen und Artikulationen, dem klanglichen Nuancieren, der Intonation und dem Nachspüren des emotionalen Gehaltes der Musik. Jeder Übsession, ob länger oder kürzer, stelle ich ein Programm mit Übungen der Grundtechnik voran. Im Zentrum steht dann immer die Kontrolle über eine körpergerechte Klangproduktion und entsprechende Musizierbewegungen. Besonders bei der Arbeit mit historischen Instrumenten nimmt das Bereitstellen des richtigen Materials (Blätter und Mundstücke) viel Zeit in Anspruch. Das ist ebenso wichtig wie das Üben! Ich halte es für enorm wichtig, Pausen einzuplanen. Ich übe gerne am Vormittag zwei bis drei Stunden mit Pausen, am Nachmittag nochmals einen grösseren Block und am Abend vielleicht noch eine Stunde.''

5 Formulieren von Zielen Was sind für dich Übeziele? Ist das Ziel z.B. ein Konzert – oder ist ein Ziel manchmal auch nur ein Takt oder eine Phrase?

''Oft picke ich mir eine aktuelle Orchesterstelle raus. Anhand dieser Stelle erfinde ich dann eigene Übungen, mit denen es sich an verschiedenen Parametern arbeiten lässt: z.B. an unterschiedlichen Artikulationen, an schwierigen Registerwechseln, an der Fingertechnik. Es können aber auch nur der zuverlässige Toneinsatz und die Ansprache sein, die im Fokus stehen. So kann ich, auch wenn wenig Zeit zur Verfügung steht, mehrere Aspekte der Grundtechnik trainieren.''

6 Schriftlicher Übeplan Ist ein schriftlicher Übeplan für dich sinnvoll? – Wenn ja wie sieht dieser aus? Oder ist eine gewisse Flexibilität besser?

''Ich selbst arbeite mittlerweile nicht mehr mit einem schriftlichen Übeplan – d.h. das Üben richtet sich immer nach den anstehenden Konzerten und Opernaufführungen, oder nach den Repertoirestücken, an welchen meine Studierenden aktuell arbeiten. Meinen Studenten empfehle ich, sich einen Übeplan zu erstellen. Sie sollten sich Wochen- und Tageweise notieren, wie viel Zeit sie allgemein fürs Üben einsetzen können, und im Detail für welchen Bereich (Grundtechnik, Tonleitern- und Akkorde, Etüden, Literatur) sie wie viel Zeit einplanen. Nach jeder Übsession notieren sie die Zeit, die sie letztendlich in dem entsprechenden Bereich verbracht haben. So lässt sich nach und nach ein individuell strukturierter Plan herausarbeiten. Je nach Curriculum soll die Grundtechnik den grössten Platz einnehmen, später im Studium wird mehr das Repertoire im Vordergrund stehen.''

7 Rotierende Aufmerksamkeit Ist üben mit "Rotierender Aufmerksamkeit" – das heisst immer nur einen Aspekt behandeln, und dann zum nächsten gehen – notwendig oder kann man mehrere Aspekte parallel behandeln (z.B. Artikulation, Dynamik, Agogik, ...)?

''Für einen soliden Aufbau der Grundtechnik halte ich es für sinnvoll, sich mit den einzelnen Aspekten der Instrumentaltechnik in spezifischen Übungen zu befassen. Aber schliesslich hängen viele Dinge zusammen und stehen in gegenseitiger Wechselwirkung. Wenn ich z.B. eine Staccatostelle übe, dann spielen dabei nicht nur die Zunge, sondern auch die Ansatz- und Resonanzformung, die Luftführung und damit verbunden die ganze Körperhaltung eine grosse Rolle und entscheiden über das Gelingen. Wichtig scheint mir, sich selber mit wachsamer Aufmerksamkeit zu beobachten, um herauszufinden, mit welchen instrumentaltechnischen Mitteln bestimmte musikalische Zielsetzungen umgesetzt werden können. Damit verbindet sich ein steter Wechsel zwischen dem Beurteilen des musikalischen Resultates und dem Beobachten der damit verbundenen Musizierbewegungen.'' Fragen zum Üben von Literatur

8 Üben von Interpretation mit Tonaufnahmen Wie kannst du deine eigene Interpretation am besten wahrnehmen? Sind MP3-Rekorder sinnvoll für dich, oder bist du in der Lage, dich beim Spielen direkt ausreichend wahrzunehmen? – Wenn ja, wie oft nimmst du dich auf?

''Aufnahmegeräte finde ich eine sehr gute Hilfe um sich selbst „von aussen“ wahrzunehmen. Das mache ich auch hin und wieder. Für das rein Handwerkliche sind Metronom und Stimmgerät gute Hilfsmittel. Das Feedback und die notwendigen Veränderungen können hier in stetem Fluss erfolgen.''

9 Basics – Etüden – Literatur Sind für dich diese drei Blöcke gleich wichtig beim Üben, oder hast du eine Priorität?

''Je nach verfügbarer Zeit wähle ich eine unterschiedliche Gewichtung unter diesen Bereichen. Die Pflege der Grundtechnik nimmt jedoch konstant eine wichtige Position ein. Meinen Studenten empfehle ich ebenfalls eine kontinuierliche Arbeit an der Grundtechnik, unter Umständen auch nur mit minimalem Anteil weiterer Etüden und Literatur. Ich empfehle, nach Möglichkeit aber immer das ganze Programm abzudecken. Nicht zu unterschätzen ist die Motivation, diese wird oft durch geeignete Kompositionen genährt. Es ist eine Frage des Temperaments, wie sehr man sich über längere Zeit für die „trockene Technik“ begeistern kann.''

10 Neue Werke Macht es für dich Sinn, sich beim Erlernen eines neuen Stückes auf ein Tempo festzulegen, welches so langsam ist, dass kein Fehler passieren kann, oder spielst du erst mal darauf los um einen ersten Höreindruck zu bekommen, und nimmst dafür evtl. auftretende Fehler in Kauf?

''Das klassisch-romantische Repertoire lässt ein erstes Durchspielen im Originaltempo zu. Geht es um zeitgenössische Musik, verschaffe ich mir zuerst einen Überblick über die rhythmische Struktur, das kann gut auch ohne Instrument oder im Wechsel von Spielen und „sich Vorsingen“ passieren. Auch der Gestus der Musik spielt dabei schon eine zentrale Rolle. Wenn diese Dinge geklärt sind, dann nehme ich das Instrument dazu. Natürlich ist es bei fingertechnisch schwierigen Stellen oft notwendig, das Tempo herunterzusetzen. Aber dann wieder gibt es Stellen, z.B. um das Unterteilen von Quintolen, die im langsamen Tempo viel schwieriger sind als im Originaltempo. Oft spiele ich technisch schwierige Stellen mit Fokus auf die Fingertechnik. Dazu kann die Klangproduktion auch beiseite gelassen werden, ich stütze das Instrument auf und arbeite an den Bewegungsabläufen der Griffwechsel, dies in den vorgegeben Rhythmen, mit gleichzeitigem Vorsingen oder Vorsprechen der Stellen. Ausschnittsweise verwende ich dann auch langsame Tempi, auch unterschiedliche Artikulationsarten und Rhythmisierungen.''

11 Aufnahmen anderer Interpreten Nutzt du bereits vorhandene Aufnahmen von einem Werk um ein Stück kennen zu lernen, oder lässt du dich von Beginn an auf deine eigene Ideen ein?

''Beides – wenn es Aufnahmen gibt ist dies natürlich eine komfortable Hilfe, um ein Werk kennenzulernen und die Klarinettenstimme im formalen Kontext und in der Gesamttextur zu erfassen. Das Erarbeiten der Interpretation ist aber meine eigene Aufgabe.''

12 Die Solostimme im Gesamtkontext Wann kommt für dich als Solist bei einem Solowerk mit Klavier die Klavierstimme ins Spiel?

''Sehr früh, es hängt ja immer alles zusammen. Die Phrasierung ergibt sich aus der harmonischen Struktur und formalen Anlage des Werkes. Beides lässt sich nur im Gesamtkotext erkennen. Sind die technischen Anforderungen der Klarinettenstimme nicht so dominierend dass sie die verfügbare Zeit aufzehren, schaue ich mir immer beides parallel an.''

13 Üben von Stücken von hinten nach vorne Wie stehst du zum Üben von Stücken von hinten nach vorne oder von vorne nach hinten?

''Systematisch "von hinten nach vorne" praktiziere ich nicht als Übmethode. Beim Auswendiglernen ist es sinnvoll, sich einzelne Teile herauszunehmen und diese isoliert zu üben. Grundsätzlich beginne ich beim Üben immer von vorne. Eigentlich bleibt man immer wieder dort hängen, wo das Üben notwendig ist.''

14 Schwierige Stellen Wie werden technisch besonders schwierige Stellen geübt; sehr langsam und dann das Tempo nach und nach erhöhen, oder im Originaltempo aber in kleinen Gruppen unterteilt?

''Oft zerlege ich die Stelle in kleine Gruppen und versuche diese dann möglichst bald im Originaltempo zu spielen. Dann folgt das Zusammensetzten. Scheint eine Stelle technisch bewältigt, sollte man immer einen kleinen Vorlauf dazu nehmen, um die Schwierigkeiten auch im Zusammenhang zuverlässig zu meistern. Es empfiehlt sich, das Tempo immer wieder zu modifizieren, dabei kann in grösseren Schritten vom langsamen zum schnellen Tempo fortgeschritten werden.''

15 Anzahl Wiederholungen Wie oft wiederholst du eine schwierige Stelle? Passiert es, dass eine Stelle irgendwann nur noch „mechanisch“ klingt und die Emotionen abflachen wenn du es zu oft wiederholst?

''Ich versuche eigentlich immer, beim Üben „in guter Stimmung“ zu bleiben. Es ist aber wirklich eine Herausforderung, immer lustvoll zu üben. Ich halte das Üben mit positiven Emotionen als deutlich zielführender als mechanisches Abspielen von Stellen. Ich wiederhole so oft, bis mir eine Stelle gelingt, mache aber auch dann einen Stopp, wenn ich merke, dass ich nicht mehr bei der Sache bin. Die Anzahl der notwendigen Wiederholungen hängt von der Tagesform ab.''

16 Grenzen ausloten Macht es für dich Sinn „übertrieben“ zu üben, das heisst z.B. Akzente und Dynamik beim Üben zu übertreiben?

''Ja das macht Sinn, es gehört zur Arbeit an der Grundtechnik. Hier müssen alle klanglichen Möglichkeiten durch Ausloten der Grenzbereiche erarbeitet werden. Diese stehen dann als Mittel zur musikalischen Gestaltung zur Verfügung. Was ich selbst noch oft mache: ich stelle das Metronom immer um einen Achtel versetzt ein. Oder ich verschiebe Akzente und Artikulationen. Um hier zu einem Resultat zu kommen, müssen die Akzente zu Beginn etwas übertrieben, und das Tempo allenfalls verlangsamt werden. Ich setzte diese Mittel aber dazu ein, eine Stelle technisch zuverlässig und regelmässig zu beherrschen. In der musikalischen Gestaltung suche ich den Ausdruck in einer möglichst nuancierten und fein kalibrierten Dynamik zu erreichen.''

17 Mentales Üben Welche Methoden des mentalen Übens verwendest du (verbale Vorstellung, akustische Vorstellung, Visuelle Vorstellung z.B. Notentext innerlich vorstellen, Bewegungsvorstellung)?

''Ich verwende die Bewegungsvorstellung, versuche diese mit der akustischen Vorstellung zu verbinden und singe/spreche mir die Stelle vor. Was ich sehr ergiebig finde, ist der stete Wechsel von mentaler mit instrumentaler Arbeit. Als Bläser müssen wir Intervalle und Tonhöhen immer gut voraushören können. Ich versuche also eine Stelle vorauszuhören, und dann die „passenden“ physiologischen Abläufe und Konstellationen mit dem Gehör in Verbindung zu bringen. Es macht sicher auch Sinn, sich bei klassischer oder romantischer Musik die Harmoniefolgen einzuprägen. Das erleichtert fingertechnische Abläufe und ist gleichzeitig eine Grundlage der Interpretationsfindung.''

In welchem zeitlichen Verhältnis steht das Üben am Instrument zum mentalen Üben?

''Bei mir passiert das meist während den Übeblocks mit dem Instrument. Es gibt immer ein Wechselspiel zwischen üben mit dem Instrument und üben in der Vorstellung.''

Übst du heute mehr mental als früher als Student?

''Insgesamt übe ich wahrscheinlich weniger mechanisch und unter mehr Einbezug gedanklicher Arbeit. Das mentale Üben im Sinne einer integralen Vorbereitung eines Werkes ohne Instrument konnte ich mir nie aneignen. Das mag damit zusammenhängen, dass die gewählten Werke schwierige zeitgenössische Stücke waren. Ich brauche den sinnlichen Aspekt des Musizierens, und muss das akustische Spielen auch dazu nutzen, um Blätter testen und bearbeiten zu können.''

Empfiehlst du deinen Studenten auch mentales Üben?

''Mentales üben“ empfehle ich in dem Sinne, dass Studenten lernen, aus dem Notenbild rhythmische, harmonische und melodische Strukturen zu erkennen. Diese müssen dann mit bereits zur Verfügung stehendem Knowhow der Musizierbewegungen verbunden werden. Meine Meinung: Voraussetzung für den Erfolg des mentales Übens ist eine bereits fortgeschrittene Instrumentaltechnik.''

18 Auswendiglernen Wie lernst du ein Stück auswendig?

''Ich beginne damit, mir in den einzelnen Formteilen Phrase für Phrase einzuprägen. Dies geschieht im Wechselspiel von gedanklichem „sich Vorsingen“ und Spielen auf dem Instrument, dies möglichst von Anbeginn eines neuen Stückes mit und ohne Noten. Nach dem Fokus auf die Arbeit an einzelnen Phrasen folgt das Durchspielen grösserer Formteile. Ein guter Test für das Gedächtnis ist die Musik aufzuschrieben. Ich denke, dass der Überblick über die formale Einteilung und die Kenntnis des harmonischen Verlaufes wichtige Stützen des Auswendigspielens sind. Man muss genau wissen, wie sich eine Melodie im harmonischen und formalen Zusammenhang bewegt.''

Immanuel Richter

CV Immanuel Richter siehe hier. Dies ist eine Transkription eines mündlich geführten Interviews, Luzern im Dezember 2014.

1 Biographie des Übens Wie viel übst du, und wie hat sich dein Übeverhalten über die Jahre verändert (als Schüler, als Student, heute)?

''Heute übe ich weniger als früher aber sicher konzentrierter. Heute sind es etwa 3 – 4 Stunden täglich, früher im Studium waren es etwa 5 – 7 Stunden. Dabei meine ich die reine Übezeit am Instrument, nicht Zeit die ich im Orchesterdienst verbringe. Natürlich – wenn ich einige Stunden im Orchester verbringe dann sind es manchmal nur noch 1 – 2 Stunden die ich üben kann.</nowiki>

2 Freie Tage Übst du 7 Tage die Woche, oder gibt es auch einen freien Tag?

''Ich übe 7 Tage die Woche, eine Pause gibt es nie, ausser in den Sommerferien, da lege ich dann mal eine Pause ein. Es kann aber sein wenn ich wirklich wenig Zeit habe – das ich nur meine Notration von etwa 45 min übe, mit dem ich mein Niveau halten kann.''

3 Körperliche Fitness Welche Rolle spielen Gymnastik, Körperübungen, bzw. Sport für dich?

''Sport ist für mich sehr wichtig, ich habe ein Fitnessabo und betreibe im Fitness eine Art Ganzkörpertraining. Mein Ziel ist es mindestens einmal pro Woche ins Fitnessstudio zu gehen, aber natürlich kann es vorkommen, dass es in einer strengen Woche auch mal keinen Platz findet. Ich finde, dass man gerade beim Fitness lernen kann, an seine körperlichen Leistungsgrenzen zu gehen. Das hat positive Auswirkungen auf das Musizieren, sicher auch auf mentaler Ebene. Ich empfehle es auch meinen Studenten sehr.''

4 Tagesplanung Wie sieht ein guter, zeitlich uneingeschränkter Übetag für dich im Idealfall aus?

''Ideal ist für mich, wenn die Übeblöcke möglichst weit auseinander liegen, um eine möglichst gute Regeneration zu gewährleisten. Also nicht 4 Stunden direkt nachdem ich aus dem Bett komme. Am Morgen mache ich gerne erst irgendetwas anderes bis ich wirklich geistig fit bin. Dann übe ich einen ersten Block von etwa 90 Minuten. Nach dem Mittagessen dann vielleicht eine zweite Übeeinheit und dann je nach Übeprogramm noch eine dritte oder vierte Einheit.''

5 Formulieren von Zielen Was sind für dich Übeziele? Ist das Ziel z.B. ein Konzert – oder ist ein Ziel manchmal auch nur ein Takt oder eine Phrase?

''Das ist sehr unterschiedlich. Zu Beginn des Tages beginne ich meist mit einem Warm-Up von ca. 20 Minuten – so wie wenn ich mich vor einem Konzert einspiele. Dann spiele ich einen Durchlauf eines Konzertprogramms von ca. 45 Minuten welchen ich dann auf mich wirken lasse. Gerade das Durchspielen hat sich im Laufe der Jahre für mich als eine wichtige Methode herausgestellt. Ich muss ein Gefühl dafür bekommen welche Programmreihenfolge bzw. bei mir als Trompeter auch welche Instrumentenreihenfolge am besten funktioniert (Bb-Trompete, Eb-Trompete, Piccolotrompete ...). Mit dieser Methode halte ich auch mein Repertoire warm. In einem späteren Übeblock gehe ich dann auf konkrete Problemstellen ein, die bei diesem Durchspiel nicht geglückt sind. Da kann ich dann schon mal 45 Minuten an zwei Takten verbringen. Da liegt dann der Fokus einfach woanders. In einem dritten Block behandle ich dann noch diverse Basics. Es sind meist die gleichen technischen Übungen die ich aber z.B. in verschiedenen Tonarten variiere. ''

6 Schriftlicher Übeplan Ist ein schriftlicher Übeplan für dich sinnvoll? – Wenn ja wie sieht dieser aus? Oder ist eine gewisse Flexibilität besser?

''Nein – ich bin ein grosser Kopfmensch. Alles was ich so machen will habe ich eigentlich im Kopf. Das einzige was ich habe ist ein Ordner auf dem PC, welcher mein komplettes Repertoire enthält, das ich über das Jahr hinweg durcharbeite. Aktuell sind es etwa 26 Stunden Musik in diesem Ordner. Pro Jahr kommen im Idealfall etwa 45 Minuten Musik dazu. Alles was dieser Ordner beinhaltet ist Repertoire welches ich auswendig beherrsche.“

7 Rotierende Aufmerksamkeit Ist üben mit "Rotierender Aufmerksamkeit" – das heisst immer nur einen Aspekt behandeln, und dann zum nächsten gehen – notwendig oder kann man mehrere Aspekte parallel behandeln (z.B. Artikulation, Dynamik, Agogik, ...)?

''Wenn ich ein Stück behandle habe ich meist schon im Zug einige Zeit damit verbracht, mir eine genaue Vorstellung zu verschaffen wie das Stück klingen soll, wie ich es interpretieren möchte und was mir dabei wichtig ist. Manchmal geht es auch soweit, dass ich ein Stück auswendig kann bevor ich das Instrument verwende. Erst dann nehme ich die Trompete zur Hand und schaue, dass ich meiner Vorstellung gerecht werden kann. Natürlich bin ich dann oft weit weg von meiner Vorstellung – und dann gehe ich schon mal jeden einzelnen Parameter durch, um möglichst meine Vorstellung zu verwirklichen.'' Fragen zum Üben von Literatur

8 Üben von Interpretation mit Tonaufnahmen Wie kannst du deine eigene Interpretation am besten wahrnehmen? Sind MP3-Rekorder sinnvoll für dich, oder bist du in der Lage, dich beim Spielen direkt ausreichend wahrzunehmen? – Wenn ja, wie oft nimmst du dich auf?

''Aufnahmegeräte verwende ich sehr oft, ja! Vor allem in Bezug auf Details. Ich kann damit sehr gut Intonation, rhythmische Präzision und solche Dinge überprüfen. Für musikalisches Empfinden gibt es mir weniger Feedback, da mich die Aufnahmequalität meines Geräts klanglich meist nicht begeistern kann. Für das musikalische Empfinden verlasse ich mich dann lieber auf mein eigenes Gefühl.''

9 Basics – Etüden – Literatur Sind für dich diese drei Blöcke gleich wichtig beim Üben, oder hast du eine Priorität?

''Ich spiele natürlich lieber, als Basics zu trainieren, aber die Erfahrung zeigt, dass spätestens nach zwei Wochen ohne Basics die Kondition nachlässt. Die Not hat mich also gelehrt, dass ich meine Basics pflege. Ich mache also meist mein Pflichtpaket durch. Das Verhältnis wenn ich ca. 4 Stunden übe ist dann ca. 1:3.''

10 Neue Werke Macht es für dich Sinn, sich beim Erlernen eines neuen Stückes auf ein Tempo festzulegen, welches so langsam ist, dass kein Fehler passieren kann, oder spielst du erst mal darauf los um einen ersten Höreindruck zu bekommen, und nimmst dafür evtl. auftretende Fehler in Kauf?

''„Wie vorher schon erwähnt versuche ich die Stücke immer erst auswendig zu lernen bevor ich sie spiele. Wenn das passiert ist, dann ist für mich in erster Linie das so genannte „air pattern“ wichtig. Also wohin geht der Luftfluss, wohin geht die Energie in einer Phrase. Dann nehme ich aus einer Phrase die Schwierigkeiten meist raus, so dass ich diesem Fluss gerecht werden kann. Vielleicht vergleichbar mit einem Streicher, der die Auf- und Abstriche der Bogenbewegung plant. Wenn das dann funktioniert, versuche ich schon möglichst fehlerfrei die Details zu erproben. Aber auch wenn ich eine Stelle dann in Zeitlupe spiele, fliesst die Energie genau gleich durch diese Phrase wie im Tempo selbst.''

11 Aufnahmen anderer Interpreten Nutzt du bereits vorhandene Aufnahmen von einem Werk um ein Stück kennen zu lernen, oder lässt du dich von Beginn an auf deine eigene Ideen ein?

''Ja ich höre viele Aufnahmen. Für mich ist es schon fast schwierig eine Trompetenaufnahme einfach so zu geniessen, man ist immer am Analysieren. In meiner Kindheit und Jugendzeit wurde ich durch das intensive Hören von Aufnahmen sehr geprägt. Die Interpretationen die ich damals gehört habe – sehr oft z.B. Aufnahmen von Maurice André – waren für mich dann die „allein gültigen“. Durch zusätzliches Wissen heute, hat sich aber eher ein analytischer Umgang mit solchen Aufnahmen entwickelt. So gehe ich heute mit diesen alten Aufnahmen, die mich damals sehr beeindruckten, mehr auf Distanz. Oder ich liebe sie noch mehr, je nachdem.“''

12 Die Solostimme im Gesamtkontext Wann kommt für dich als Solist bei einem Solowerk mit Klavier die Klavierstimme ins Spiel?

''Von Anfang an! Die Solostimme ist ja vielleicht nur 30% vom Werk. So viele Phrasierungen und Interpretationsvorstellungen sind z.B. harmonisch bedingt. Ich muss immer genau wissen was passiert, sonst setze ich die Schwerpunkte ja nur nach meinem Bauchgefühl. Das geht natürlich nicht.''

13 Üben von Stücken von hinten nach vorne Wie stehst du zum Üben von Stücken von hinten nach vorne oder von vorne nach hinten?

''Also am Anfang beginne ich immer von vorne, um mir einen Überblick zu verschaffen. Vergleichbar mit Google-Maps. Wenn ich auf Italien gehe sehe ich zuerst den Stiefel, dann zoome ich immer näher ran, irgendwann erkenne ich Rom und dann letztendlich jede einzelne Strasse. Wenn ich dann mit Detailarbeit beginne, beginne ich dort wo die schwierigsten Stellen liegen – also die Stellen die mich am meisten Zeit kosten werden. So kann ich das Werk gleichmässig erarbeiten, damit es rechtzeitig fertig wird.''

14 Schwierige Stellen Wie werden technisch besonders schwierige Stellen geübt; sehr langsam und dann das Tempo nach und nach erhöhen, oder im Originaltempo aber in kleinen Gruppen unterteilt?

''Wie bereits erwähnt bereite ich die Stellen mental vor, dann ergeben sich meist Rückschlüsse auf meine Basics, ich erkenne Akkordstrukturen oder Skalen und dann funktioniert es meist relativ schnell da das Instrument erst am Schluss dazu kommt wenn alles geklärt ist.''

15 Anzahl Wiederholungen Wie oft wiederholst du eine schwierige Stelle? Passiert es, dass eine Stelle irgendwann nur noch „mechanisch“ klingt und die Emotionen abflachen wenn du es zu oft wiederholst?

''Ja das kenne ich, gerade im Orchester finde ich es schwierig. Man übt die Stellen sehr oft, wenn man das Werk dann aufführt hat man vielleicht 200 Takte Pause und dann kommt diese Stelle. Anders als beim Solospiel, spielt man die Stelle dann nicht aus dem Fluss heraus, sondern eben nach einer langen Pause. Dann ist es natürlich abhängig von vielen Faktoren. Die eigene mentale Verfassung im Moment, persönliches Wohlbefinden. Und sehr entscheidend ist auch der Dirigent, ob er einfach „sein Ding“ am Pult abspult, oder ob er oft Blickkontakt aufnimmt und einen richtig „mitnimmt“ das hilft natürlich enorm.''

16 Grenzen ausloten Macht es für dich Sinn „übertrieben“ zu üben, das heisst z.B. Akzente und Dynamik beim Üben zu übertreiben?

''Ja das finde ich sehr sinnvoll. Ich denke, man sollte beim Üben immer mal die Grenze suchen. Wie laut kann etwas sein, bevor es nicht mehr schön ist? Ich muss immer erst einmal über die Grenze gehen, damit ich weiss, was zu viel ist.''

17 Mentales Üben Welche Methoden des mentalen Übens verwendest du (verbale Vorstellung, akustische Vorstellung, Visuelle Vorstellung z.B. Notentext innerlich vorstellen, Bewegungsvorstellung)?

''Wenn ich ein ein neues Stück lerne, ist es für mich das wichtigste, erst einmal die Struktur des Werkes zu kennen. Ich muss einen grossen Überblick haben, aber auch im kleinsten Detail muss ich alles wissen und das Werk auf verschiedenen Ebenen begreifen. Man kann dies auch gut mit Google- Earth vergleichen. Im Konzert sehe ich im Idealfall nur den Erdball, im Ernstfall muss ich aber zoomen können und sofort wissen, ob ich nun an einer Kreuzung links oder rechts abbiegen muss. – z.B. „Hab ich die Wiederholung gespielt oder nicht?“ Das Klangliche ist für mich in diesem Fall weniger ein Thema, da ich durch meine Vorarbeit eine ganz klare klangliche Vorstellung von dem Werk habe. Die Musik fliesst also einfach, weil es gar nicht anders sein könnte''

In welchem zeitlichen Verhältnis steht das Üben am Instrument zum mentalen Üben?

''Ich würde sagen 1:3, also wenn ich 4 Stunden Trompete übe, dann beschäftige ich mich 3 Stunden mit mentaler Arbeit. Die mentale Arbeit ist aber nicht immer das gleiche Repertoire wie das aktuelle Repertoire an der Trompete.''

Übst du heute mehr mental als früher als Student?

''Ja, als Student habe ich viel weniger mental geübt als heute, ich denke den Fehler machen viele, da muss jeder durch.''

Empfiehlst du deinen Studenten auch mentales Üben?

''Extrem ja. Das ist ein ganz zentrales Thema bei mir. Rückwirkend gesehen habe ich so auch die grössten Fortschritte gemacht. Ich denke es gibt fünf Fragen, die man zu jeder Note wissen muss. Wie heisst die Note? Wie lange ist die Note? Welche Funktion hat die Note? Welche Artikulation hat die Note und welche Lautstärke hat die Note?''

18 Auswendiglernen Wie lernst du ein Stück auswendig?

''Ich gehe immer vom Grossen ins Kleine – Wenn ich ein Werk habe mit 4 Sätzen, frage ich mich: Wie stehen die Sätze zueinander? Wie stehen die Tonarten zueinander? Wie verhalten sich die Tempobezeichnungen zueinander? In welchem zeitlichen Verhältnis stehen die Sätze zueinander? Dann geht es immer weiter ins Detail. Dann Frage ich mich irgendwann: welche Form hat das Stück, was ist der erste Ton? Gibt es ein Klaviervorspiel? Ich denke, solche Zusammenhänge sind ganz entscheidend. So mache ich mir eine Landkarte des Stücks, auch ohne fotografisches Gedächtnis.''

Literatur

  • Ulrich Dannemann: Isometrische Übungen für Geiger. Braun, Duisburg 1982
  • Mark Andreas Giesecke: Clever üben, sinnvoll proben, erfolgreich vorspielen (6. Auflage). Musikverlag Zimmermann, Frankfurt am Main 2013.* Malcom Gladwel: Outliers: The Story of Success. Little, Brown and Co. New York 2009
  • Ulrich Mahlert: Handbuch ÜBEN, Grundlagen – Konzepte – Methoden (2. Auflage).Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2007.
  • Gerhard Mantel: Einfach üben: 185 unübliche Überezepte für Instrumentalisten (3. Auflage). Schott Musik International, Mainz 2004.
  • Reiner Wehle 2009: Clarinet Fundamentals, Vol.1. Klangübungen und Artikulation. Mainz, New York
  • Michael Wessel: Üben, Proben, Karriere: zwölf Interpreten im Gespräch. Bärenreiter, Kassel 2012.

Einzelnachweise

  1. Eveline Geiser. Wissenschafter erklären, wie man das Klavierspielen richtig übt – Pausen sind der Schlüssel zum Erfolg. NZZ, 17.09.2021 {10.Okotber 2021}
  2. Ethan R. Buch et al. Consolidation of human skill linked to waking hippocampo-neocortical replay, CellReport, Vol 35, Issue 10, June 08, 2021 {10.Okotber 2021}
  3. 3,0 3,1 Härtel, Klaus 2021. Mentales Training für Musiker. Clarino 9/2012. {27. November 2020}