Artikulation
Zur Begriffserläuterung von Artikulation in der Musik siehe bitte [Wikipedia].
Wie die Geschichte der Unterrichtsliteratur zeigt, war das heute übliche Artikulieren mit einer leichten Zungenbewegung am Blatt nicht immer die einzige Methode. Während Joseph Fröhlich (1811) ein Artikulieren „mit der Brust" empfiehlt, fordert Jean-Xavier Lefèvre (1802) grundsätzlich bei jedem Toneinsatz einen "coup de langue" (Zungenschlag). Um genügend Agilität und Ausdauer zu erreichen, ist von der Technik, durch eine zitternde Bewegung der Kehle oder der Brust („faire agir par secousse, le gausier ou la poitrine") zu artikulieren abzusehen.
Beiträge Clarinet-Didactics Autoren
- Paolo Beltramini
- Francois Benda
- Gerald Kraxberger
- Ernesto Molinari
- Heinrich Mätzener
- Robert Pickup
- Milan Rericha
- Ernst Schlader
Artikulieren mit der Zunge, historische Quellen
Sensibilität der Zunge: Frédéric Berr
Ein wertvoller Hinweis zur Ausführung der Artikulation der Zunge am Klarinettenblatt findet sich auf S.4 der „Méthode" von Frédéric Berr [1]:
„Pour exprimer le bruit produit par ce coup de langue, on dit à tort, que celui qui exécute fait entendre les syllabes TU TU. On pourrait peindre l'action de la langue en disant qu'elle semble rejeter de la bouche un bout de fil lorsque'elle dirige l'air dans l'instrument.»“
„Das Geräusch, das die Zunge beim Artikulieren am Blatt hervorruft, beschreibt man fälschlicherweise mit Tu Tu. Man könnte die Aktion, welche die Zunge beim Artikulieren am Blatt ausführt, wie folgt umschreiben: Die Zunge bewegt sich auf dieselbe Weise, wie wenn sie ein Stückchen Faden aus dem Mund expulsieren möchte. Dies erfolgt im selben Moment, in welchem die Zunge die Luft ins Instrument leitet.“
Variabilität der Artikulation: Ferdinando Sebastiani
In seiner Klarinettenschule weist 1855 Fernidnando Sebastiani [2] im Zusammenhang mit der Blattposition auf die Wichtigkeit variierter Artikulation auf der Klarinette hin. Während das „Übersichblasen" die Variabilität einschränkt, lässt sich die Artikulationsart beim „Untersichblasen" variieren.
„So ist es nur möglich, das Battuto zu spielen, während Picchettato, Stakkato und andere Farben, die den Wert der Klarinette ausmachen, nicht möglich sind.“
Zur Frage verschiedener Artikulationsarten in historischen Unterrichtswerken siehe auch Toneinsatz, Ansprache
Versuch einer Bewegungsanalyse
Bei der Artikulation mit der Zunge am Blatt ergibt sich die Auseinandersetzung mit folgenden Fragestellungen:
Welche Bewegung führt die Zunge bei der Artikulation aus?
Das Artikulieren eines Tones entsteht durch das Zurückziehen der Zunge vom Blatt. Es ist vorteilhaft, eine kleinstmögliche Bewegung mit der Zunge auszuführen. Die Bewegung der Zunge konzentriert sich auf ihre Spitze, der hinter Teil der Zunge bliebt stabil.
Wie gestaltet sich die Koordination von Zunge und Luftführung?
Die Luftführung setzt ein, während die Zunge das Blatt noch berührt. Nach dem Artikulieren des Tones (nach dem Zurückziehen der Zunge) modifiziert sich die Luftführung entsprechend den verschiedener Artikulationsarten (tenuto, fp, sfz, portato, diminuendo, diminuendo al niente.)
Grundsätzlich ist die Zungenaktivität als eine von der Luftführung unabhängige Aktion auszuführen. Eine MOdifikation der Luftführung im Zusammenhang mit der Zungenewegung kann der Differenzierung von Artikulationsarten dienen. Das portato gestaltet sich als z.B. Kombination von Bewegungen der Luftführung (oft als „Artikulieren mit dem Zwerchfell" bezeichnet) mit Bewegungen der Zungenartikulation. Die Atemstütze bleibt auch bei federnder Protato-Luftführung konstant aktiviert.
Wie werden einzelne Töne voneinander getrennt?
Das hängt folgenden Faktoren ab:
- Tempo und Länge der klingenden Töne
Bei schnellen Tempi sind sowohl die gespielten Töne, wie auch die dazwischenliegenden Pausen kurz. Das Trennen erfolgt ausschliesslich durch die Zungenbewegung, die Luftführung bleibt konstant, wie bei einem durchklingend Ton. Dieses Modell kann auf jedes Tempo und auf jede Noten- bzw. Pausenlänge angewendet werden (siehe Francois Benda). Dabei bleibt jedoch die dynamische Gestalt des Tones uniform.
- Dynamische Gestalt einzelner Töne
Leopold Mozart [3] beschreibt in seiner Violinschule die differenzierten Arten des Bogenstrichs, welche je nach Charakter der Stücke Anwendung finden und unzählige Möglichkeiten der dynamischen Gestaltung von längeren wie auch kürzeren Tonen ermöglichen. Exemplarisch dazu folgendes Zitat:
„Jeder auch auf das stärkeste ergriffene Ton hat eine kleine obwohl kaum merkliche Schwäche vor sich: sonst würde es kein Ton, sondern nur ein unangenehmer und unverständlicher Laut seyn. Eben diese Schwäche ist an dem Ende iedes Tones zu hören. Man muß also den Geigebogen in das Schwache und Starke abzutheilen, und folglich durch Nachdruck und Mässigung die Töne schön und rührend vorzutragen wissen.“
Vergleicht man die Bogenführung des Streichers mit der Luftführung des Bläsers, soll jeder Ton durch modifizierte Luftführung eine dynamische Gestaltung erhalten. Die zwischen den Tönen stehenden Artikulationspausen, ausgeführt von der Zungenartikulation, können durch eine abnehmende Luftfführung vorbereitet werden. Die diminuierende Luftführung kann die einzelnen Töne in unterschiedliche Stufen, bis zum „al niente“ zurückführen. Um die neue Ansprache des folgenden Tones zu garantieren, muss die Atemstütze bei diesem Vorgang permanent aktiviert bleiben und die Luftführung muss kurz vor der neuen Zungenartikulation wieder einsetzen!
Welche Form nimmt die Zunge ein?
Die Zunge muss als Muskel kompakt und „spitzig", von den Seiten zur Mitte hin zusammengezogen sein. Sie soll keinen runden Rücken formen sondern eher die Form eines Löffels einnehmen. Übung: die Zunge wechselnd breit und schmal machen, zwischen den beiden Positionen wechseln: a) die hinteren Seiten an leicht an die oberen Stockzähne drücken b) mit der Zungenspitze an die oberen Schneidezähne tippen (= Position der Artikulation)
Welche Stelle der Zunge berührt das Blatt?
Die Zungenspitze berührt den Rand des Blattes; der Berührungspunkt kann auch ein wenig unter der Zungenspitze liegen, keinesfalls aber auf dem Zungenrücken. Denke immer an eine minimale Fläche, mit welcher die Zunge das Blatt berühren soll.
Welche Stelle des Blattes wird von der Zunge berührt?
Die Zunge berührt die Spitze des Blattes und spürt dabei dessen Rand. Die Zungenspitze kann auch auf den Zwischenraum zwischen Blatt und Mundstück gerichtet werden. Bassklarinette und tiefes Chalumeau: hier ist es möglich, die Berührungsstelle weiter unten am Blatt zu definieren.
Wie gross ist der Druck der Zunge auf das Blatt?
Die Zunge berührt das Blatt grundsätzlihc mit äusserster Sensibilität und nur mit geringstem Druck. Die Zunge muss das Blatt nur so fein berühren, dass es einen Moment nicht schwingen kann. Bleibt die Zunge länger am Blatt, kann die Luft zwischen Blatt und Mundstück passieren, es entsteht ein deutlich hörbares Luftgeräusch, oder das Blatt kann - mit verstärkter Stützarbeit - an den von der Zunge nicht berührten Fläche weiterschwingen und einen Ton erzeugen. Im Sinne einer variablen Artikulation können die verwendeten Konsonanten auch modifiziert werden (von weich nach hart): „the“ „d“ „t“ „th“
Wie gestaltet sich die Koordination von Zungenaktivität, Ansatzformung und Atemtechnik?
Die Zungenaktivität darf die Stabilität der Ansatzformung nicht beeinflussen. Form und Position von Lippen, Kinn, Vokalformung und Unterkiefer bleiben unabhängig von der Zungenbewegung stabil. Fortgeschrittenen Bläser können die Luftführng Dienste grösserer Variabilität der Artikulation modifiezeren.
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Frédéric Berr: Méthode complète de Clarinette adoptée au Conservatoire de Musique de Paris. Paris 1836.
- ↑ 2,0 2,1 Ferdinando Sebastiani: Metodo Progressivo per Clarinetto. Napoli 1886, S.7. Zitiert nach Adriano Amore: Ferrindando Sebastiani (1803-1860) und die Neapolitanische Klarinettenschule, in das rohrblatt, Juni 2008, S.58-60. [1]
- ↑ 3,0 3,1 Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. dritte vermehrte Auflage, Augsburg 1787