Dynamik

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Beiträge von Interviewpartnern:

Dynamik als wichtiges Gestaltungsmittel

Dynamik [1] bezeichnet den Einsatz unterschiedlicher Lautstärken im musikalischen Vortrag. Die Dynamik ist Grundlage der musikalischen Gestaltungsmittel bei Phrasierung, Artikulation und rhythmischer Akzentuierung. Die Ausführung dynamischer Verläufe basiert auf subjektiver Lesart unterschiedlicher dynamisch-musikalischer Bezeichnungen. Unsere Notenschrift kann viele dynamische Differenzierungen nicht wiedergeben, so wird die Gestaltung des dynamischen Verlaufes einzelner Noten, Tongruppen und Phrasen zu einer wichtigen interpretatorischen Aufgabe. Dies erwähnt bereits Jean-Xavier Lefèvre (1802) im Kapitel „De la manière de nuancer les sons" in seiner Méthode.
Auch wenn in einem Notentext die dynamischen Angaben fehlen, sollten einzelne Töne und Passagen nicht starr, sondern flexibel, mit einem dynamischen Verlauf gestaltet werden: Steve Hartman, Michel Arrignon, François Benda, James Campbel, Pascal Moraguès. François Bencda weist auf die Bedeutung einer lebendigen Dynamik an Probespielen hin. Weil hier die Vorgaben der stilistischen Freiheit sehr eng gezeichnet sind, muss um so mehr im dynamischen Beriech viel Variabilität gezeigt werden.
Seunghee Lee beobachtet beim Spiel mit Dopellippenansatz eine grössere (dynamische) Flexibilität das Klanges.

Spieltechnisches Know-How

Gaston Hamelin

Harri Mäki und Joe Allard nutzen die Technik der flexiblen Ansatzlinie, die auf Gaston Hamelin zurückzuführen ist: eine tiefere Ansatzlinie ermöglich grösseres forte, beim piano liegt die Ansatzlinie, bei gleicher Kieferposition, höher. Mit dieser Technik lassen sich die Unterschiede der Intonation zwischen forte (oft zu tief) und piano (oft zu hoch) ausgleichen.

Damit sich der Klang dynamisch frei entfalten kann, muss das Blatt vorne, aber auch auf den Seiten frei schwingen können. Es ist deshalb darauf zu achten, dass sich die Unterlippe nicht bogenförmig an das Blatt anschmiegt, sondern lediglich einen Tisch formt, auf dem das Blatt schwingen kann (Unterricht bei Hans Rudolf Stalder um 1980, nicht publ.). Damit keine Luft austritt, muss der Ansatz seitlich nur mit der Oberlippe abgedichtet werden, siehe auch Flexible Ansatzlinie, Interview mit Joe Allard (über Gaston Hamelin) und Joe Allard > Embouchure, 92, John Moses.

Weitere spieltechnische Hinweise

Schon der Einschwingvorgang eines Klanges ist entscheidend für die Dynamik : Alain Billard und Eli Eban: Der Klang ist nicht nur in seiner Länge und seinem Verlauf dynamisch zu gestalten, bereits beim Einschwingvorgang wird der dynamische Charakter bestimmt. Dynamik und Artikulation werden dadurch zu gleichbedeutenden Parametern seines ästhetischen Konzeptes. Eli nutzt dazu verschiedene Zungenartikulationen und Vokalformungen, aber vor allem unterschiedliche Arten der Luftführung.
Luftführung, Atemstütze und Vokalformung David Shifrin findet den besten Weg zu einem resonanzvollen Klang über eine gute Atemstütze. Er demonstriert dies mit einer Atemübung, in welcher er das Lungenvolumen beim Einatmen in seiner grösstmöglichen Kapazität ausschöpft. Der anschliessende Toneinsatz ist sehr klangvoll («the radio voice»).
Heinrich Mätzener sieht die Grundlage eines lebendigen dynamischen Spiels bei einer agilen Luftführung und bei durchlässigem Ausgleich von Ansatz- und Luftdruck (siehe auch Joe Allard, Marc Flandre 2013. Die Grundübung der Tonbildung ist das «messa di voce».
Ernesto Molinari stellt im Unterricht die Aufgabe, ausgehend vom einer forte-Dynamik sich an das piano heranzutasten: «Entspricht der hervorgebrachte Ton der musikalischen Vorstellung, muss man sich das Zusammenwirken von Luftführung, Ansatz- und Vokalformung als Musizierbewegung genau einprägen und mit dem klanglichen Resultat verbinden. Erst wenn im forte befriedigende Resultate erreicht werden, ist ein Einsatz im piano möglich.»
Milan Rericha warnt davor, intensivere Dynamik mit grösseren Rumpf- oder Arm-Bewegungen zu erreichen. Dies wäre konterproduktiv, nur mit differenzierter Luftführung und Luftgeschwindigkeit lässt sich die Dynamik beeinflussen.
Ernst Schlader vermeidet es, auch im Zusammenhang mit Dynamik, von Spannungen zu sprechen. Vielmehr eignet sich das Wort Flexibilität. Die Bereiche des Rachens, der Luftführung und Ansatzformung, sind bei verschieden dynamischen Stufen anzupassen. Oft wird im piano irrtümlicherweise der Ansatzdruck erhöht. Die dynamische Gestaltung basiert aber primär auf einer modifizierten Luftführung: Ernesto Molinari, Heinrich Mätzener, Thomas Piercy.
Dynamik im metrischen Verlauf
Palo Beltramini, James Campbell üben Dynamik immer im Zusammenhang mit der metrischen Struktur. James führt weiter aus: Da Klarinette heute meist ohne Vibrato gespielt wird, gewinnt die dynamische Gestaltung der Phrasen an Bedeutung. Um dies zu trainieren und dem dynamischen Verlauf ins Bewusstsein zu rücken, gestaltet er Etüden zu Tonübungen um: Dynamik und Artikulation werden auf den Anfangston der Phrase übertragen. Die Melodie wird innerlich mitgesungen, der ausgehaltenen Ton kriegt, die «innere Linie» der Musik.

Weitere Kommentare aus den Interviews

Michel Arrignon beobachtet einen steten Wechslel des ästhetischen Kanons. Dem heutigen Trend folgend suchen viele jüngere Klarinettist*innen eine dunkle, aber wenig flexible Tongebung. Diesem Ideal werden oft dynamische Flexibilität geopfert, Priorität bleibt eine homogene, möglichst dunkle Klangfarbe, vor einer musikalisch eleganten Gestaltung.
Alain Damiens bringt einen psychologischen Aspekt ins Spiel: ein dreifaches piano kann die Kraft eines dreifachen forte haben, nicht in Dezibel, sondern in innerer Spannung. Gefordert sind eine grenzenlose Fantasie und der Wille zum Ausloten akustischen Grenzen von Instrument und Raum. Zugang zu dieser Welt schafft das auditive Abtasten des Klanges nach seinen Obertönen, dies in jeder dynamischen Stufe. Alain nennt es «vouyager avec l’oreille dans les son». Alain sensibilisiert das Gehör und so die Fähigkeit, an die Grenzen des Hörbaren spielen zu können, durch die Auseinandersetzung mit den geräuschhaften Kompositionen von Helmuth Lachenmann.
Steve Hartman spricht von der Notwednigkeit, einen musikalischen Text zu phrasieren, ihn zum Sprechen zu bringen. Es ist die Aufgabe des Interpreten, mit einer dynamischen Gestaltung einzelner Töne oder Passagen die Musik dem Zuhörer näherzubringen. Soll auf ein dynamisches Innenleben verzichtet werden, ist dies vom Komponisten mit der Spielanweisung «senza espressione» gekennzeichnet. Auch die verschiedenen Taktarten geben Hinweise, wie eine Passage durch Taktbetonungsordnungen dynamisch zu gestalten ist.
Pascal Moraguès ermuntert alle, die dynamischen Grenzen des Klanges auszuloten, keine Angst davor zu haben, Grenzen zu überschreiten. Es ist wichtig, dass man sich immer am musikalischen Ausdruck orientiert. Sollte ein Klang in der hohen Lage zu laut oder zu schreiend werden, kann das immer korrigiert werden. Auch Thomas Piercy möchte die Möglichkeiten der musikalischen Gestaltung nicht einem uniformen, stabilen Klang opfern. Er zieht klangliche und dynamische Flexibilität vor. Er wählt das Instrument, das entsprechende Mundstück und Blatt, das ohne viel Kraftaufwand spielbar ist und diese Flexibilität ermöglicht. Um die Grenzen kennenzulernen, in denen wir uns mit dem musikalischen Ausdruck bewegen können, ermutigt er uns auch einmal über das Ziel hinausschiessen. Nur so lernen wir den Punkt kennen, wo der Klang nicht immer kontrollierbar ist.
Harri Mäki: zeigt auf, dass Lautstärke nichts mit Luftmenge zu tun hat. Er lässt einen Studenten das tiefe e fortissimo spielen. Der Schalltrichter ist waagrecht nach vorne gerichtet. Hält man nun ein Blatt Papier vor den Schalltrichter, bewegt sich dieses nicht, es tritt praktisch keine Luft beim Becher aus. Das bedeutet, dass ein forte mit sehr wenig durchströmender Luft produziert werden kann. Wichtiger ist, dass genügend Fläche des Blattes in Schwingung gerät und dass die Luft fokussiert zum Blatt geführt wird. Siehe auch Joe Allard und Ron Odrich
Für Richard Stoltzman muss ein piano dieselbe Intensität und Konzentration haben, wie ein forte. Eindrücklich war seine Begegnung mit Olivier Messiaen, der in «abîme des oiseaux» aus dem «Quatuor pour la fin du temps» eine spezielle Farbe im pianissimo verlangte: Messiaen forterte einen «schwarzen Klang» (noir), nicht das gepflegte pianissimo, wonach wir immer streben, sondern einen geräuschhaften, fast gepressten, schmutzigen Klang.

Einzelnachweise