Intercar AG – Anreizsysteme für Führungskräfte: Unterschied zwischen den Versionen

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== Quellen ==
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* Langer, A. (2006). BSC-basierte Anreizsysteme für Führungskräfte bei der Intercar AG. Controlling, Nr. 11, S. 583-588.
* Langer, A. (2006). [https://elearning.hslu.ch/ilias/goto.php?target=file_3039537_download&client_id=hslu BSC-basierte Anreizsysteme für Führungskräfte bei der Intercar AG.] Controlling, Nr. 11, S. 583-588.


[[Kategorie:Fallstudien]]
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Version vom 6. April 2016, 09:39 Uhr

Geprüft: Positiv beurteilt

Die Diskussion um eine effektivere Verhaltenssteuerung und eine stärkere Integration der Mitarbeiter in Unternehmen ist so aktuell wie nie. Darauf deuten nicht zuletzt auch die derzeitig starken Bemühungen zum Thema Entgelt-Rahmen-Abkommen (ERA) hin. Leistungsorientierte Anreizsysteme gewinnen bei der Koordination der Führungskräfte in Organisationseinheiten mit hoher organisatorischer Flexibilität zunehmend an Bedeutung. Doch welche Messgrößen zur Leistungsmessung hierfür geeignet sind und herangezogen werden können, konnte bislang weder in der Theorie noch in der Praxis abschließend geklärt werden.

Der folgende Beitrag nimmt sich dieser Thematik an, indem es die bei der Intercar AG erarbeitete Systematik zur Definition der Bemessungsgrundlage, basierend auf der Balanced Scorecard, aufzeigt. Der Produktionsstandort der Intercar AG ist in der Produktionsprozesskette in drei Produktionsstufen unterteilt – Rohbau, Lackierung und Montage. Diese dienen im Weiteren zur exemplarischen Erläuterung der erarbeiteten Konzeption.

Problemstellung

Lernfähigkeit, Zeit, Flexibilität und Qualität sind heute neben Kosten und Preisen die Attribute eines erfolgreichen Produktionsmanagements (vgl. Bullinger, 2001, S. 11). Die Reaktion hierauf erfolgte in den vergangenen Jahren mit Just-In-Time-Konzepten, dem Total Quality Management und Konzepten der lernenden Organisation (vgl. Porter, 1996, S. 63). Auch bei der Intercar AG wurden die eben genannten Konzepte in umfangreichen Restrukturierungsprozessen eingeführt. Allerdings konnte hierzu in den vergangenen Jahren häufig festgestellt werden, dass die Performance und insbesondere die Produktionsstrategie allein durch die genannten Konzepte nicht verbessert werden konnten. Es fehlte häufig an mit Konsequenzen behafteter Zuweisung von Verantwortlichkeit, die sich im individuellen Gehalt der jeweiligen Abteilungsleiter widerspiegelte.

Das bis dahin bei der Intercar AG zum Einsatz gekommene Anreizsystem basierte auf einer leis-tungsabhängigen Vergütung, die auf die Messgrößen der Abteilungs-BSC zurückgriff. Der Anreizumfang (ausgezahlte, leistungsabhängige Boni am Jahresende) berechnete sich somit aus der Differenz der gemessenen Performance und den definierten Soll-Werten aller in der BSC enthaltenen Messgrößen. Insgesamt kamen hierbei zwischen 19 und 25 Messgrößen zum Einsatz. Nach einer Untersuchung des BSC-basierten Anreizsystems konnte festgestellt werden, dass eine große Anzahl der in den Abteilungs-BSCs vorhandenen Messgrößen nicht zur Anreizbemessung für den Abteilungsleiter geeignet waren bzw. falsche oder gar der Strategie entgegenlaufende Verhaltenswirkungen entfalteten. So wiesen rund 40 % der BSC-Messgrößen bzw. deren Ausprägung aus Sicht der Abteilungsleiter und deren erbrachter Leistung hohe Werte an externen Umwelteinflüssen auf. Es konnte daher vermutet werden, dass das Anreizsystem nur geringe Akzeptanz bei den zu Incentivierenden bewirkte und demzufolge eine geringe strategiekonforme Koordinationswirkung aufwies. Mangelnde Transparenz und Gerechtigkeit des leistungsorientierten Anreizsystems wurden ebenfalls genannt. Zudem bestanden erhebliche Defizite im Anreizsystem hinsichtlich der organisatorischen Abstimmung zwischen den Abteilungen, da das BSC-basierte Anreizsystem und die individuellen Ziele ein Denken in Abteilungsdimensionen provozierten. In der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit wurden deshalb enorme Verbesserungspotenziale für eine erfolgreichere Strategieumsetzung bei der Intercar AG festgestellt. Auch in der Literatur zur strategieorientierten Verhaltenssteuerung wird bislang festgestellt, dass bei der Vernetzung von Strategie bzw. BSC und Anreizsystem weitestgehend ungeklärt bleibt, welche und wie viele Messgrößen tatsächlich zur Anreizbemessung heranzuziehen sind (vgl. Eigler, 2004, S. 669).

Strategiekonforme Anreizbemessung

Datei:Bewertungskriterien zur Untersuchung der BSC-Messgrössen.jpg
Abb. 1: Bewertungskriterien zur Untersuchung der BSC-Messgrössen

Greift man zur Beschreibung von Anreizsystemen auf die allgemein verwendete Definition von Kossbiel zurück, so bestehen diese aus durch Relationsvorschriften verbundenen Elementen zweier Teilmengen: die Menge monetär bewertbarer Anreize und die der Bemessungsgrundlage (vgl. Kossbiel, 1994, S. 78). Wie bereits in der Problemstellung erläutert, stand insbesondere die BSC-basierte Bemessungsgrundlage bei der Intercar AG unter Kritik einer mangelnden Eignung für ein strategiekonformes und funktionsfähiges Anreizsystem. Bei der Ableitung einer Konzeption zur Behebung der Problematik flossen die umfassenden Erfah-rungen der Führungskräfte bei der Intercar AG ein. Insbesondere wurden in intensiven Projektteamsitzungen Kriterien eruiert, mit denen die Messgrößen für eine strategiekonforme Bemessungsgrundlage untersucht und schließlich bewertet bzw. gewichtet werden. Die folgenden Kriterien dienen der Messgrößenanalyse:

  • Belastung mit Umwelteinflüssen
  • Input- und Outputorientierung
  • Bestimmung der Relevanz
  • Reagibilität und somit zeitliche Sensitivität der Messgrößen
  • Erfassung und Abbildung struktureller Effekte in der Bemessungsgrundlage.

Die mit den Kriterien verfolgte Intention und die bei der Intercar AG hierzu vorgenommenen Bewertungsregeln sollen im Folgenden nähere Erläuterung finden (vgl. Abb. 1).

Umwelteinflüsse

Ergebnisse, die das Entscheiden und Handeln einer Führungskraft reflektieren, lassen sich prinzipiell auf zwei Klassen von Ursachen zurückführen – Faktoren, die in der Person und deren Entscheidungen zu suchen sind und Faktoren, die auf Umwelteinflüsse (schlechte Qualität des Lieferanten, Werkstoffe, technische Ausrüstung usw.) zurückgeführt werden können. So konnten in der BSC-basierten Bemessungsgrundlage der Abteilungsleiter der Einfluss starker Umwelteinflüsse auf die verwendeten Messgrößen festgestellt werden. Messgrößen wie „Anzahl an Garantiefällen” oder „Fehlzeitenquote im operativen Bereich” waren die am höchsten belasteten Messgrößen. Daher wurde in gemeinsamen Projektsitzungen festgelegt, dass Messgrößen mit hohen Umwelteinflüssen eine geringere Gewichtung in der Anreizbemessung erfahren sollen und umgekehrt. Die Akzeptanz für die in der Bemessungsgrundlage enthaltenen BSC-Indikatoren und somit die Akzeptanz des Anreizsystems sollte damit erhöht werden. Gleichzeitig wurde, was auch Inhalt theoriegeleiteter Diskussionen darstellt (vgl. Pfaff u. a., 2000, S. 41; Weber u. a., 2003, S. 8), die Nähe der individuellen Führungsleistung zur Leistungsmessung und schließlich zur Vergütung hergestellt.

Reagibilität

Als weiteres Kriterium wurde unter Verhaltensaspekten bei der Intercar AG eruiert, inwiefern temporäre Gesichtspunkte Eingang in das Anreizsystem finden müssen, um ausschließlich kurzfristiges Handeln (myopia) der Führungskräfte zu verhindern. So wird auch in der einschlägigen Literatur zum unteren Management immer wieder betont, dass die Gefahr eines kurzfristigen Planungshorizontes in Kombination mit einer leistungsorientierten Vergütung zu möglichem dysfunktionalem Verhalten führt. Hier hingehend wurden in den Projektsitzungen die Messgrößen der Abteilungs-BSCs auf temporäre Sensitivität analysiert. Dabei konnten erhebliche Differenzen zwischen unterschiedlichen Messgrößen festgestellt werden. Während Messgrößen wie „Kosten für Ausschuss” vergleichsweise schnell auf Maßnahmen durch Managemententscheidungen reagieren, sind Ausschläge bei der Erfassung des „Kundenzufriedenheitsindex” erst nach einigen Jahren zu verzeichnen. Damit die Differenzen zwischen den Messgrößen einer Abteilungs-BSC ausgeglichen und alle verwendeten Messgrößen der BSC in gleichem Maße von den Abteilungsleitern in ihrem Entscheidungsverhalten be-rücksichtigt werden, werden Messgrößen mit geringer temporärer Sensitivität (also Messgrößen, die den Erfolg einer Entscheidung erst in der Zukunft ausweisen) höher gewichtet und somit höher vergütet als Messgrößen mit hoher Sensitivität.

Input- und Outputorientierung

Neben den bereits genannten Kriterien konnten in den Abteilungs-BSCs Unterschiede in der Art des Erfolgsausweises der jeweiligen Messgrößen festgestellt werden. Hierzu wurde zwischen input- und outputorientierten Messgrößen unterschieden.

  • Inputorientierte Messgrößen erfassen Ergebnisse, die zunächst ausschließlich das Durch-führen einer Handlung bzw. Aufgabe (z. B. Durchführung von Mitarbeiterschulungen) erfassen bzw. bestätigen und deren Output (wie z. B. Mitarbeiterwissen, -potenzial usw.) nur durch äußerst hohen Aufwand erfasst werden kann.
  • Outputorientierte Messgrößen hingegen erfassen das Ergebnis einer Handlung (z. B. Ver-besserung der Durchlaufzeit, Liefertreue, Kundenzufriedenheit usw.). Bei der Berücksichtigung des Kriteriums zur Verhaltenssteuerung unter strategischen und wertorientierten Aspekten wurde bei der Intercar AG eine niedrigere Gewichtung von inputorientierten Messgrößen und eine höhere Gewichtung der Outputgrößen festgelegt. Da ein geleisteter Input (z. B. Expertenprojekte zur Prozessoptimierung durchführen) u. U. durch Fehlverhalten der Führungskraft nicht zum vom Unternehmen gewünschten Output führt (kürzere Durchlaufzeit), korrespondiert die eben genannte Gewichtungsregel auch mit der Forderung der Literatur nach Anreizkompatibilität. D. h. die von einem Abteilungsleiter vorgenommenen Entscheidungen und Handlungen werden nur dann belohnt, wenn diese Konformität mit den Unternehmenszielen aufweisen. Da dies bei outputorientierten Messgrößen aus den genannten Gründen in stärkerem Umfang sichergestellt wird, als dies bei inputorientierten Messgrößen anzutreffen ist, ergibt sich in der logischen Konsequenz die eben erläuterte Gewichtungsregel.

Relevanz

Zieht man die Originalliteratur zur BSC heran, so gehen die Autoren dort von einer Gleichgewichtung aller in die BSC integrierten Messgrößen aus (vgl. Kaplan/Norton, 1996). An gleicher Stelle wie der hier vorliegende Beitrag formulierten Piper/Ranacher zum Einsatz der BSC bei Hilti: „Auch eine BSC täuscht oft eine Balance vor, die den unternehmerischen Prioritäten nicht entspricht: Es gibt eben prioritäre Dinge. Ergo bedeutet die Aufnahme bestimmter Kennzahlen in das Performance Measurement System nicht, dass sie gleich gültig oder gleich wichtig sind” (vgl. Piper/Ranacher, 2005, S. 54). Gleiches konnte in den Abteilungs-BSCs bei der Intercar AG festgestellt werden. Auch hier wurde bei den Abteilungsleitern von erheblichen Differenzen zwischen unterschiedlichen Messgrößen gesprochen. Einige Messgrößen der Abteilungs-BSCs und deren inhärenten Zielwerte erfordern zur Zielerreichung erhebliche durch die Abteilungsleiter zu unternehmende Anstrengungen, während bei anderen zur Zielerreichung lediglich ein geringer Arbeitseinsatz notwendig ist. Aus der Diskussion bleibt festzuhalten, dass Messgrößen der BSC mit höherer (niedriger) Relevanz hinsichtlich der zu erbringenden Leistung eines Abteilungsleiters und zur Vermeidung von Verhaltenssuboptima eine höhere (niedrigere) Gewichtung erfahren.

Gesamtgewichtung der Messgrößen

Eine ungeeignete Gewichtung der Messgrößen führt zu einer dysfunktionalen Verhaltenssteuerung durch das Anreizsystem und im schlimmsten Fall zu einer der intendierten Strategie divergenten Umsetzung (vgl. Feltham/Xie, 2001). Die Funktion von Anreizsystemen und deren verhaltenssteuernde Wirkung wird in der Literatur häufig mit einem zweidimensionalen Vektor beschrieben – Koordination und Motivation (vgl. Picot u. a., 2002, S. 131). Die Länge des Vektors spiegelt die relative Intensität der Anreize wider und steht somit in Korrespondenz mit den Anstrengungen der Abteilungsleiter. Von stärkerem Interesse in dem von der Intercar AG initiierten Projekt war jedoch die Richtung des Vektors, der im weitesten Sinne den Einsatz des Messgrößenpools der Bemessungsgrundlage in seiner Gesamtheit anspricht und in der Ausrichtung der Produktionsstrategie bei der Intercar AG entsprechen sollte. Ittner/Larcker fordern hierzu: „In the multi-action case, the contract must not only motivate the overall intensity of the agent's effort, but also its allocation across its dimension” (vgl. Ittner/Larcker, 1998, S. 229). Die hierbei angedeutete Anreizintensitäts-Allokation zwischen den einzelnen Messgrößen zur Ausrichtung der Anreizbemessung an der Strategie (bzw. zur Vermeidung von Dysfunktionalitäten) wird bei der Intercar AG durch Gewichtung der BSC-inhärenten Messgrößen ermöglicht. Zu diesem Zweck wurden alle in den Abteilungs-BSCs vorhandenen Messgrößen der Abteilungen Rohbau, Lackierung, Montage mit den eben erläuterten vier Prüfkriterien bewertet. Bewertende Personen hierbei waren die im Projekt beteiligten Abteilungsleiter und Gruppensprecher. Im Rahmen einer ordinalen Skalierung zwischen 0 (geringe Ausprägung des Kriteriums) und 10 (starke Ausprägung des Kriteriums) wurden den Messgrößen über Gruppendiskussionen Werte zugewiesen, die durch Addition der Ausprägungen der Kriterien zu einer Gesamtgewichtung der Messgrößen führten. Ausschließlich für das Kriterium Input-/Outputorientierung wurde eine nominale Skalierung gewählt. Abb. 2 zeigt die Vorgehensweise der Gewichtung nochmals zusammenfassend auf.

Strukturelle Effekte

Die erbrachte Leistung eines Abteilungsleiters und deren Konsequenzen zeigen sich i. d. R. nicht nur in der eigenen Performance, sondern aufgrund des Leistungsaustausches innerhalb der Produktionskette auch in der Zielerreichung anderer Abteilungen. Die Gefahr, dass in diesem Zusammenhang Leistung unterlassen wird, weil sie sich nicht hinreichend im eigenen Performance-Maß niederschlägt, ist sehr hoch (vgl. Pfaff, 2004, S. 174). Dies konnte auch bei der Intercar AG festgestellt werden.

Prüfkriterium Bezug Gewichtungsregel aus der Theorie Gewichtungsregel für Messgrössenrating Gewicht
Umwelteinflüsse BSC einer Produktionsabteilung negativ korreliert mit der Höhe der Umwelteinflüsse max. Ausprägung Skalenwert = 10

min. Ausprägung Skalenwert = 0

10 – [Ratingergebnis]
Reagibilität BSC einer Produktionsabteilung negativ korreliert mit der Höhe der Reagibilität max. Ausprägung Skalenwert = 10

min. Ausprägung Skalenwert = 0

10 – [Ratingergebnis]
Input/Output BSC einer Produkti-onsabteilung Output höher gewichtet als Input Output Skalenwert = 8

Input Skalenwert = 2 (zweistufige Skalierung)

[Ratingergebnis]
Relevanz BSC einer Produkti-onsabteilung positiv korreliert mit der Höhe der Relevanz max. Ausprägung Skalenwert = 10

min. Ausprägung Skalenwert = 0

[Ratingergebnis]
strukturelle Effekte BSC einer anderen Produktionsabteilung innerhalb der Wert-schöpfungskette positiv korreliert mit der Höhe der Intensität des strukturellen Effekts auf die Messgröße einer Abteilungs-BSC max. Ausprägung Skalenwert = 10

min. Ausprägung Skalenwert = 0

Auswahl der Ver-bundmessgröße mit dem höchsten Indexwert
Summierter Index für Messgröße X Min. 2 Punkte

Max. 38 Punkte

Abb. 2: Bewertung und Gewichtung der Messgrößen

Bei der Auswahl der Bemessungsgrundlage für einen Abteilungsleiter wurden daher, über die BSC-basierten Steuerungsgrößen der jeweiligen Organisationseinheit (lokale Messgrößen) hinausgehend, weitere Messgrößen bei der Intercar AG bestimmt, die die oben angesprochene Zusammenarbeit der Produktionsabteilung über Anreize verbessern. Mit der Berücksichtigung von strukturellen Verflechtungen werden, im Gegensatz zur gruppen- oder teambasierten Entlohnung, Interdependenzen zwischen unterschiedlichen Organisationseinheiten erfasst, die sich bei der Intercar AG insbesondere auf die in der Produktionskette zu bearbeitenden Vorprodukte und die hierbei gemessene Performance beziehen. Die strukturellen Verflechtungen zwischen unterschiedlichen Abteilungen ergeben sich bei der Intercar AG insbesondere durch:

  • gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Maschinen bei Produktionsengpässen,
  • Risiken im Leistungsaustausch (negative „spill-over”-Effekte) in Form von Qualitätsmängeln, niedriger Liefertreue, hoher Ausschussrate und Durchlaufzeiten,
  • (positive) „spill-over”-Effekte in Form von geleisteten, aber nicht individuell vergüteten An-strengungen.
Datei:Bestimmung von Verbundmessgrössen.jpg
Abb. 3: Bestimmung von Verbundmessgrössen

Abb. 3 zeigt die bei der Intercar AG definierte Logik der Vorgehensweise zur praktischen Erfassung struktureller Effekte auf. Zunächst wird im Rahmen der Systematik der Einfluss einer Abteilung, z. B. der Abteilung Rohbau, auf die Performance der BSC einer anderen Abteilung, z. B. der Abteilung Lackierung, untersucht. Auch hierbei wurde zur Bewertung der Verbundeffekte auf die jeweiligen Messgrößen eine Skalierung zwischen min. 0 [kein Einfluss] und max. 10 [hoher Einfluss] gewählt. Einflüsse des „internen Lieferanten” auf die Performance des „internen Kunden” konnten bei der Intercar AG in allen angesprochenen Abteilungen erkannt werden. So wurden beispielsweise Messgrößen in der BSC der Abteilung Lackierung identifiziert, wie die Messgrößen „Liefertreue” oder „Geradeauslauf”, die in hohem Maße dem Einfluss der Abteilung Rohbau und deren Leistung unterliegen. Auch zeitaufwendige Nacharbeiten in der Abteilung Lackierung, aufgrund von mit Qualitätsmängeln behafteter Vorprodukte der Abteilung Rohbau, schlugen im Kostenbudget der Abteilung Lackierung durch. In der Literatur spricht man in diesem Zusammenhang auch von neuralgischen Punkten konfliktärer Zusammenarbeit (zu einem ähnlichen Vorgehen im Rahmen der Erfassung struktureller Effekte vgl. Hofmann/Daugart, 2004, S. 197). Die von strukturellen Effekten stark beeinflussten Messgrößen (Verbundmessgrößen) wurden schließlich, im genannten Beispiel, zusätzlich in die Bemessungsgrundlage des Abteilungsleiters Rohbau, also in die des Lieferanten, aufgenommen (vgl. Abb. 3). Die Abstimmung zwischen den Abteilungen soll somit durch finanzielle Anreize erheblich gefördert werden. Die der Strategie entgegenlaufenden Abteilungsegoismen werden somit reduziert.

Anzahl der Messgrößen zur Anreizbemessung

Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass die Auswahl und die Anzahl der für die Anreizbemessung heranzuziehenden Messgrößen häufig von der individuellen Bewertung des Vorgesetzten abhängen. Allerdings konnte in empirischen Studien aufgezeigt werden, dass der in der BSC enthaltene Umfang an Messgrößen nicht zur Incentivierung geeignet ist und die menschliche Informationsverarbeitungskapazität – die so genannte „channel capacity” (vgl. Miller, 1956, S. 82) – übersteigt. „Psychologists suggest that we humans have difficulty concentrating on more than seven items at any given time” (Niven, 2002, S. 246; vgl. hierzu auch Miller, 1956, S. 82). Bei der Intercar AG wurden ebenfalls die in der BSC-enthaltenen Messgrößen auf sieben (+/-2) Messgrößen reduziert. Die Selektion der Messgrößen aus der Abteilungs-BSC erfolgte anhand der Kriterien Umwelteinflüsse, Reagibilität, Input-/Outputorientierung und Relevanz. Aus den 19–26 Messgrößen der Abteilungs-BSC wurden schließlich die sieben höchstgewichteten Messgrößen zur Anreizbemessung ausgewählt. Zudem wurde die Vereinbarung getroffen, dass zu den sieben Messgrößen der individuellen Abteilungs-BSC zusätzlich zwei Verbundmessgrößen je Abteilung zur Verbesserung der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit bestimmt werden sollen. Insgesamt wurde daher die Anzahl der Messgrößen zur Anreizbemessung für die Abteilungsleiter von bisher 19–25 Messgrößen der Abteilungs-BSCs auf nun neun selektierte und hierfür geeignete Messgrößen reduziert.

Implementierung und erste Erfahrungen

Die erläuterte Systematik zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage wurde bei der Intercar AG in das bereits bestehende IT-Tool zur Performance-Messung und -Analyse integriert. Im Rahmen der Messgrößenbestimmung wird den Abteilungsleitern das Vorschlagsrecht für die strategischen Leistungsindikatoren bzw. deren Bewertung mit Hilfe der Kriterien eröffnet. Im IT-Tool führt dies zu einer Berechnung der Messgrößenauswahl und somit zur Definition der individuellen Bemessungsgrundlage, die dem Vorgesetzten (Werksleiter) automatisch zugeleitet wird. Dieser bestätigt die Messgrößenauswahl für die Anreizbemessung oder führt ggf. Rücksprache mit dem jeweiligen Abteilungsleiter. In ähnlicher Weise erfolgt die Bestimmung von Verbundmessgrößen im Rahmen des IT-Tools. Be-nennt ein Abteilungsleiter strukturelle Effekte, werden hierzu nähere Erläuterungen für das Zustandekommen des jeweils genannten Effekts durch andere Abteilungen im IT-Tool gefordert. Für jede Kunden-Lieferanten-Beziehung (z. B. Rohbau als Lieferant und Lackierung als Kunde in der Produktionsprozesskette) werden somit im IT-Tool auf Basis der Abteilungs-BSCs des Kunden zwei Bewertungen zur Zusammenarbeit bzw. zum Einfluss auf jede Messgröße abgefragt – Bewertung des Lieferanten und Bewertung des Kunden. Auffallend hierbei war, dass die getrennte Bewertung der strukturellen Effekte in allen befragten Abteilungen ein hohes Maß an Übereinstimmung, also Urteilskonkordanz zwischen Lieferanten und Kunden aufwies. Die kritischen Bereiche der Zusammenarbeit, so konnte auch im Diskurs mit den Abteilungsleitern festgestellt werden, waren bereits seit langem bekannt. In einer hierfür organisatorisch festgelegten Abstimmungsrunde zwischen den Abteilungsleitern einer „Kundenabteilung” und denen einer „Lieferantenabteilung” (Rohbau (Lieferant) und Abteilungsleiter Lackierung (Kunde)) werden die divergierenden Ergebnisse der Einzelbefragung auf einen gemeinsamen Skalenwert der Intensität korrigiert (gemeinsam eruiert). Mit den eruierten Skalenwerten werden schließlich die Verbundmessgrößen im IT-Tool automatisch ausgewählt. Nach einer Periode des Einsatzes der Konzeption wurden die Führungskräfte in einer abschließen-den Projektevaluierungssitzung nochmals nach ihrer Einschätzung zum Verfahren der Messgrößenbewertung befragt. Hierbei konnte festgehalten werden, dass insbesondere die Transparenz und die Gerechtigkeit der Leistungsmessung sowie die Akzeptanz hinsichtlich des Anreizsystems in seiner gesamten Ausprägung signifikant besser durch die Abteilungsleiter von der Intercar AG eingeschätzt wurden. Auch die Abstimmungsbestrebungen zwischen den Abteilungen in der Produktionskette konnten intensiviert werden. Die Erfassung und Visualisierung der Daten zur Messgrößenbewertung, so wurde sowohl von den Abteilungsleitern als auch durch deren Vorgesetzten hervorgehoben, trägt zur Objektivierung der individuellen Anreizbemessung bei. Die Auswahl der Messgrößen wird somit für beide Seiten – Abteilungsleiter und Werksleiter (Vorgesetzter) – legitimierbar, indem die Angaben, die zur Messgrößenauswahl und -gewichtung führen, einer genaueren Untersuchung von nun an generell zugänglich sind. Gleichzeitig kann der Forderung nach einem partizipativen Vorgehen in flexibilisierten Produktionsstrukturen bei der Definition der Bemessungsgrundlage entsprochen werden.

Zusammenfassung

Zur Unterstützung der Strategieimplementierung in Bereichen der Produktion werden neben den Produktionskonzepten, wie dem TQM oder Just-in-Time-Konzepten, Anreizsysteme eingesetzt. Die unmittelbare Verbindung der Abteilungs-BSC mit monetären Anreizen führt jedoch bei der Intercar AG (und auch in anderen Unternehmen, so zeigen die Erfahrungen) nicht zu der gewünschten strategiekonformen Verhaltenssteuerung, wie zu Beginn erläutert wurde. Insbesondere die Eignung der BSC-Messgrößen zur Incentivierung erschien in äußerst fragwürdigem Licht. Um diese Problematik zu lösen, wurde bei der Intercar AG ein Verfahren entwickelt, basierend auf definierten Prüfkriterien, das zur Bewertung und Auswahl geeigneter Messgrößen herangezogen wird. Im Vordergrund stand hierbei die systematisch und analytisch definierte Bemessungsgrundlage auf Basis der Abteilungs-BSC, die schließlich zu einer strategiekonformen Verhaltenssteuerung und zur Funktionsfähigkeit des Anreizsystems beiträgt. Zudem wurde die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit durch Verbundmessgrößen in der Bemessungsgrundlage abgebildet. Obwohl zu Beginn des Projektes hinsichtlich des administrativen Aufwandes erhebliche Bedenken geäußert wurden, konnten bei der Intercar AG mit der aufgezeigten Systematik bereits positive Erfahrungen gemacht werden.

Quellen