Intonation
Beiträge der Interviewpartner
- Michel Arrignon
- Paolo Beltramini
- François Benda 1, 2
- Alain Billard
- James Campbell
- Alain Damiens
- Eli Eban
- Steve Hartman, 2
- Sylvie Hue
- Gerald Kraxberger
- Seunghee Lee 1, 2
- Ernesto Molinari
- Pascal Moraguès
- Harri Mäki 1, 2, 3
- Heinrich Mätzener 1, 2, 3, 4
- Thomas Piercy 1, 2
- Frédéric Rapin 1, 2
- Milan Rericha
- Ernst Schlader
- David Shifrin
- Richard Stoltzman*
- Jérôme Verhaeghe
Das Gehör schulen
Für James Campbell ist klar: nur wenn man eine Stelle singen kann, kann man sie auch richtig intonieren. Das Gehör muss jeden Moment wach sein, voraushören und das gespielte kontrollieren.
Thomas Piercy beschreibt seinen Unterricht bei Gervase de Peyer, der ihn beim Vorspielen jederzeit stoppen mochte und den folgenden Ton nicht mehr spielen, sondern singen liess. Ein Hinweis darauf, dass für ein sauberes Intonieren Kehlkopf und Stimmritze
Kehlkopf und Glottis die gespielte Tonhöhe immer mitempfinden sollten.
Jérôme Verhaeghe spricht zuerst vom Gehör, das in erster Linie geschult werden muss. Nur mit einer exakten Vorstellung der Tonhöhe lässt sich ein Klang richtig intonieren. Das Gehör führt das Anspielen des Klanges. Gleichzeitig ist es wichtig, sich sehr sorgfältig zu beobachten, um sich merken zu können, was bei Intonations-Veränderungen genau vor sich geht. Diese Vorgänge müssen wieder reproduziert werden können.
Seunghee Lee geht davon aus, dass Kinder immer unbewusst imitieren, was sie was sie hören, Kinder sollten deshalb viele gute und sauber intonierte Aufnahmen hören. Um die Intervalle und ihre [temperierte] Intonation kennen zu lernen, ist das Klavier eine grosse Hilfe.
Temperierte oder reine Intervalle?
Nachfolgende Zeilen können nur eine kurze Einführung in die Thematik der Intonation sein. Für eine Ausführliche Auseinandersetzung mit der Materie lohnt sich die Lektüre von Doris Gellers «Praktische Intonationslehre» (2003)[1]
Im Orchester- und Ensemblespiel hat sich heute das das Bedürfnis etabliert, Intervalle relativ zum jeweils erklingenden Grundton, oder relativ zu einer erklingenden leeren Saite eines Streichinstrumentes, rein zu intonieren. Reine Terzen, Sexten, Quarten und Quinten entsprechen den Tonhöhen der Obertonreihe und stehen den leicht abweichend intonierten Intervallen im gleichmässig temperierten System, der heute gängigen Klavierstimmung, gegenüber.
Unser Gehör kann die Reinheit der Intonation eines Klanges im Verhältnis zu einem Bezugston – d.h. die Intonation eines Intervalls - anhand von Schwebungen oder am Phänomen von Kombinationstönen beurteilen. Treten beim Erklingen von Primen und Oktaven und bei zwei konsonanten Tönen Schwebungen auf, sollte eine Intonationskorrektur vorgenommen werden, es sei denn, man spielt in gleichschwebender Temperatur, oder in einer melodisch, horizontal orientierten Intonation. Je schneller die Schwebungen, desto grösser ist die Abweichung zum reinen Intervall.
Das Phänomen der Kombinationstöne (auch als Differenztöne bezeichnet) entdeckte Giuseppe Tartini) 1714. Die Frequenz fD des Kombinationstones wird physikalisch mit der einfachen Gleichung fD = f2 – f1 dargestellt
f2 ist die Frequenz des oberen, f1 diejenige des unteren Tones. Erklingen f2 und f1 als grosse Terz, als 5. und 4. Partialton einer Obertonreihe (als Schwingung mit vier- bzw. fünffachen Frequenz des Grundtones), ergibt die Differenz 1, bzw. die Frequenz des Grundtones. Bei gleichschwebender Temperatur ist der obere Ton der Terz höher und der Kombinationston dieser Terz wird ein Halbton (!) höher liegen wie der Grundton. Erklingt dazu in einem Ensemble ein Basston als 1. Partialton, entsteht zusammen mit dem Kombinationston eine starke Dissonanz.
Alain Damiens besteht darauf, dass seine Studenten die Kombinationstöne hören und diese in die richtige Umgebung, d.h. in Übereinstimmung mit dem Grundton bringen können. Da die Klangfarbe der Klarinette stark vom 3. Oberton, der Quintoktave dominiert ist, können Kombinationstöne und Schwebungen auch mit dieser Tonlage entstehen. Je nach Interpretation hinsichtlich Einordnung in eine Obertonreihe entstehen unterschiedliche Kombinationstöne.
Melodisch/horizontal, oder harmonisch/vertikal orientierte Intonation?
Orientiert man sich an rein gestimmten Quinten, ergeben sich weite grosse Sekunden und enge kleine Sekunden. Diese Intonationsart, oft von Streichen bevorzugt, eignet sich für melodisch orientierte Intonation, da die Unterschiede zwischen grossen und kleinen Sekunden deutlicher herausgearbeitet sind (siehe Doris Geller 2003[1]). Als stabile Referenztöne in der melodisch orientierten Intonation gelten immer Grundton, Quinte und Quarte. Es werden gewisse Spannungen zu den Grundtönen der Harmonie in Kauf genommen, um den Melodietönen, seien es grosse und kleine Terzen, Sexten und Septimen, melodische Dynamik zu verleihen. Soll jedes sich zwischen Melodiestimme und Bass klingende konsonante Intervall in sich ruhend, ohne Schwebungen klingen, spricht man von einer vertikal orientierten Intonation. Terzen und Sexten können hier auch zu Referenztönen werden.
Um gute Resultate im Ensemblespiel zu erreichen, muss man aufeinander zugehen und sich über horizontale oder vertikal orientierte Intonation einig werden Seunghee Lee.
Beethoven Septett op. 20, Beginn Einleitung
Zu Beginn der Einleitung erklingt ein Es-Dur- Akkord, ohne Quinte. An dieser Stelle sollte die reine, vertikal/harmonisch orientierte Intonation angestrebt werden, es gibt keinen Anlass dazu, einen der Akkordtöne als Melodieton zu interpretieren. Im Violinpart klingt die Terz in der leeren G-Saite. Leere Saiten lassen keine Intonationskorrekturen (nach unten) zu, so wird die Terz zum Referenzton für das ganze Ensemble. Geht man von einer temperierten Stimmung der leeren Saiten aus, müsste das Es 13,8 Cent höher intoniert werden, um eine reine Terz zu erhalten. Gelingt es, das Verhältnis 4:5 zwischen Grundton und Terz zu realisieren, erklingen Quinte und weitere Obertöne des Es-Dur Akkordes als Kombinationstöne (siehe auch Geller 2003[1])
Beethoven Septett op. 20, Beginn 2. Satz, Adagio cantabile
In der dritten Zählzeit im ersten Takt spielt die Klarinette ein klingendes c2. In dieser Lage schwingt die Luftsäule der Klarinette beinahe in ihrer gesamten Länge, Intonationskorrekturen sind nur in beschränktem Ausmass möglich. Nur wenn die Streicher die Intonation anpassen, den Grundton As höher intonieren, kann der Akkord in sich gut und entspannt klingen. Wenn die Terz wieder zum Referenzton bestimmt wird, ergibt sich eine vertikal orientierte reine Intonation in As-Dur.
Wird die Terz weiter genommen, erhält das As-Dur Ende Takt 1 eine gewisse Spannung, die nach Auflösung strebt und der Phrase mehr vorwärtsgehende Richtung verleiht. Man spricht in diesem Zusammenhang von melodischer, horizontal orientierter Intonation.
Beethoven, Septett op. 20, Schluss der Einleitung
Anlass zu Diskussionen geben kleine Septimen: sind die beiden Intervalltöne Dur-Terz und Quint eines Dreiklanges, oder Quint und kleine Septime eines Dominant-Septakkordes? Eine kleine Septime wäre 1/6-Ton tiefer wie die temperierte kleine Septime, die kleine Terz wäre ca. 13.8 Cent höher wie eine temperierte kleine Terz. Intoniert man die kleine Septime entsprechend der Obertonreihe sehr tief, ergibt sich mit der Quint ein Kombinationston, der mit der Bassnote übereinstimmt. Eine Interpretation, die eine Orchestralen Ensembleklang entstehen lässt, da er mit zusätzlichen Kombinationstönen angereichert wird.
Liest man das klingend as2 in der Klarinette als kleine Terz zum f, entsteht als Kombinationston ein Des, das mit dem Grundton C im Bass eine starke Dissonanz bildet. Auch eine vertretbare Interpretation, denn der Dominantseptakkord strebt dann umso mehr nach Auflösung.
Beiträge Interviewpartner
Harri Mäki unterscheidet je nach Epoche: Debussy oder Ravel brauchen öfters eine gleichschwebende Intonation, Beethoven erfordert öfters eine harmonisch vertikal orientierte Intonation. Er empfiehlt bei Orchesterstellen insbesondere die Terzen etwas (nicht genau 13,8 Cent) tiefer, und die Quinten möglichst rein (+2 Cent), also etwas höher, zu intonieren.
Einfacher ist es, wenn man zusammen mit Klavier spielt. Die Intonation muss auf das Klavier abgestimmt, also gleichmässig temperiert sein. Darauf weist Harri Mäki im Kapitel "Orientation in the harmonic context" hin. François Benda empfiehlt, besonders bei Probespielen in der Runde mit Klavier darauf achtzugeben. James Campbell nennt als besondere Herausforderung den III. Satz der Schumann Fantasiestücke op. 73, wo viele Dur-Terzen im Unisono mit dem Klavier aufeinander abgestimmt sein müssen.
Arbeiten mit dem Stimmgerät
Um in gleichschwebender Intonation spielen zu lernen, arbeitet Alain Billard mit dem optischen Signal des Stimmgerätes. Sinnvoll ist es, einen Ton zuerst vorauszuhören, ihn anzuspielen und erst dann mit dem Stimmgerät das Ergebnis optisch zu kontrollieren. Um das Gehör zu trainieren, lässt Alain auf diese Art auch Vierteltonreihen spielen.
Spieltechnisches Know-how
Als erste Voraussetzung, um eine flexible Intonation realisieren zu können, nennt François Benda gut etablierte Luftführung, Luftdruck und Atemstütze. Es lohne sich auch, die Unterschiede zwischen deutschem und französischem System kennenzulernen. Je weiter die Bohrung des Instrumentes im oberen Teil ist – das schwankt zwischen 15.2 mm bei der Wiener Klarinette und 14.65 mm bei Französischen Klarinetten - desto mehr muss man mit Formanten arbeiten, sonst ist man im oberen Klarinregister bis zu 1/6- Ton zu hoch.
Korrekturen mit unterschiedlicher Vokalformung bzw. Zungenstellung
James Campbell nutz eine etwas höhere Zungenstellung, um die Intonation nach oben zu korrigieren, eine etwas tiefere Zungenstellung für eine Korrektur nach unten, wobei bei gleichbleibender Kieferstellung der Mundboden etwas gesenkt wird. Öffnet man die Kieferposition, um etwas tiefer zu spielen, sollte die Zungenspitze in einer höheren Position ausgerichtet sein, damit die Luftgeschwindigkeit genug hoch bleibt und der Klang seinen Fokus nicht verliert. Im Ensemblespiel kann eine Veränderung der Kieferposition für Intonationskorrekturen geeignet sein, für das Solospiel ist diese Methode nicht zu empfehlen.
Milan Rericha und Jérôme Verhaeghe beschreiben die Veränderungen der Zungenposition anhand der Vokalformung: dunklere Vokale korrigieren die Intonation nach unten, hellere Vokale nach oben.
Eli Eban weist auf darauf hin, dass man sich unterschiedliche Positionen der Zunge besonders über das Gehör merken muss. Die Eigenwahrnehmung für die Zungenstellung ist im Vergleich zu verschiedenen Stellungen der Arme oder der Hände schwieriger. Dort sind mehrere Gelenke involviert, an denen sich Rezeptoren für die Eigenwahrnehmung befinden. Bei der Zunge ist dies nicht der Fall.
Heinrich Mätzener empfiehlt, einzelne Töne mit Doppellippenansatz zu spielen, um sich der unterschiedlichen Positionen der Zunge und der Rachenöffnung, verbunden mit einem Absenken des Mundbodens, bewusst zu werden. Die Bewegung gleicht einem Anstandsgähnen, bei welchem die Mundhöhle vergrössert wird, ohne den Kiefer zu öffnen. Diese Konstellationen - Zungenspitze hoch, Rachen offen, Mundboden tief - lassen sich auch auf den normalen Ansatz übertragen, der dabei auch ganz stabil bleiben soll. So erfährt man keine Einbusse in der Klangfarbe (siehe erhöhte Luftgeschwindigkeit im Bereich der Blattspitze).
David Shifrin folgt dieser Reihenfolge: er sucht zuerst, die Intonation mit dem richtigen «voicing» zu finden, falls nötig nimmt er zusätzlich spezielle Griffe zu Hilfe, die je nach Instrument variieren können. Ein wichtiges Kriterium beim Kauf eines Instrumentes ist die Intonation der Quintoktaven, besonders im oberen Klarinregister.
Korrekturen mit flexibler Ansatzlinie
Joe Allard demonstriert im Video mit Ira Jay Weinstein die Technik der flexiblen Ansatzlinie: für etwas höhere Intonation – oder um zu verhindern, dass bei einem crescendo die Tonhöhe sinkt – wird etwas mehr Mundstück in den Mund genommen. Dies wird durch den rechten Daumen gesteuert, der das Instrument mehr oder weniger weit zum Ansatz hinführt. Die Kieferstellung bleibt dabei grundsätzlich stabil. Spielt man mit einer Ansatzlinie ganz an der Spitze, sinkt die Intonation, das kann man sich bei extrem leisen Stellen zu Nutze machen. Diese Technik wenden auch James Campbell, Richard Stoltzman, John Moses und Heinrich Mätzener an. Heinrich Mätzener und Harri Mäki empfehlen als weitere Möglichkeit, kombiniert mit einer flexiblen Ansatzlinie, mit dem Anblaswinkel zu arbeiten. Für eine Intonationskorrektur nach oben, besonders auf eine Phrasenhöhepunkt hin, kann die Klarinette bei etwas tieferer Ansatzlinie auch näher zum Körper genommen werden.
Korrekturen durch Veränderungen der Kehlkopfposition
Sylvie Hue und Pascal Moraguès schauen auf eine Beweglichkeit des Kehlkopfes, sowohl im Zusammenhang mit der Ansprache hohe Noten und Sprüngen zwischen unterschiedlichen Registerlagen, wie auch bei der Feinarbeit bei Intonationskorrekturen. Legt man die Hand an den Kehlkopf und singt dabei unterschiedliche Tonhöhen, nimmt man die unterschiedlichen Stellungen sofort wahr. Eine Tonhöhenänderung ohne Kehlkopfbewegung lässt sich kaum erzwingen.
Frédéric Rapin legt grossen Wert darauf, dass neben der «Disponibilität» von Kehlkopf, Glottis und Vokalformung - zwecks Intonationskorrekturen - der Ansatz und die Luftführung als stabile Einheit bestehen bleibt.
Korrekturen durch Verändern des Ansatzdruckes & Anpassen der Luftführung
Gerald Kraxberger achtet darauf, dass der nötige Ansatzdruck unbedingt mit dem Ringmuskel der Lippen (Musculus orbicularis oris) erzeugt wird, und nicht mit dem (Beissmuskel). Am besten lässt sich dies nur auf Birne und Mundstück trainieren, da man hier die Tonhöhenunterschiede sehr deutlich wahrnimmt.
Ist eine Intonationskorrektur nach unten notwendig, lockern Seunghee Lee, Thomas Piercy Ansatzdruck auf das Blatt. Gleichzeitig müssen Luftführung und Stütze angepasst, bei gelockertem Ansatz gestärkt werden.
Milan Rericha formt mit den Lippen immer ein Oval, ob der Druck auf den Ansatz zunimmt oder abnimmt. Beim Lockerlassen des Ansatzes muss verhindert werden, «dass der Klang quasi nach hinten in den Rachen fällt und seine Form verliert».
Ernst Schlader: grundsätzlich sollte die Luft immer schnell zum Mundstück fliessen. Dort lässt sich der Ansatz eher weiter (die Intonation wird etwas tiefer) oder enger (etwas höher) formen. Die Technik, um dabei keine Einbusse in der Klangqualität zu erleiden, ist verbal kaum zu transferieren. Es bleibt das implizite Lernen, unterstütz durch viel Zusammenspiel, Vorspiel der Lehrperson, und Arbeit mit dem Stimmgerät, sei es, mit dem als Referenzton klingendem Stimmgerät Dreiklänge mit reinen Terzen oder Sexten zu intonieren.
Korrekturen durch Aktivieren der Mundbodenmuskulatur
Neben der Feinkorrektur der Intonation durch «inneres Mitsingen» und dadurch unbewusster Veränderung der Kehlkopfposition empfiehlt Heinrich Mätzener ein Training für die Mundbodenmuskulatur. Bei stabilem Ansatz und wenig veränderter Zungenposition - die Zungenspitze bliebt in der Nähe der Blattspitze - bewirkt das Aktivieren der Mundbodenmuskulatur bei gleichbleibender Kieferposition ein Glissando, das die Tonhöhe bis zu einem Halbton nach unten verändern kann. Wichtig: die Klangfarbe soll sich nicht verändern und es darf kein Druck auf den Kehlkopf ausgeübt werden. Im Gegenteil, der Rachen öffnet sich. Es ist nicht dieselbe Technik wie bei einem in Jazz-Glissando, wo auch die Ansatzposition gelockert wird. Das Herunterziehen des Mundenden kennen wir im Alltag durch das Anstandsgähnen; wir müssen nur ausatmen anstatt einatmen.
Interpretationsversuch
Anmerkung Heinrich Mätzener: Viele der Interviewpartner erwähnen, dass mit schnellerer Geschwindigkeit des Luftstroms eine höhere, mit langsamerer Geschwindigkeit eine tiefere Intonation einhergeht.
Die Physiker Daniel Bernoulli und Giovanni Battista Venturi konnten nachweisen, dass ein Fluid, das durch ein Rohr mit unterschiedlichem Durchmesser fliesst, die Geschwindigkeit bei der engeren Stelle zunimmt, gleichzeitig nimmt der dort der Druck ab (siehe Internetseite tec-science).
Im unserem Fall betrifft dies die Luft, deren Weg zwischen Kehlkopf und Mundstück durch die oben erwähnten Faktoren Kehlkopf (Stimmritze), Rachen, Zungenform und -Position, Mundboden sowie Ansatzdruck veränderbar ist.
Öffnet sich die Lippenstellung durch Entspannen des Ringmuskels, fliesst bei gleicher Luftzufuhr (bei gleichem Luftdruck) langsamere Luft durch das Mundstück. Es entsteht ein langsamerer Luftstrom und die Intonation ist eher tiefer. Umschliesst der Ringmuskel das Mundstück, und verengt sich die Ansatzformung, fliesst schnellere Luft durch das Instrument. Dies hat eine höhere Intonation zur Folge. Die Luftgeschwindigkeit direkt vor dem Mundstück lässt sich auch, bei gleichbleibendem Ansatzdruck, durch verschieden Vokale, höhere oder tiefere Stellung der Zungenspitze oder des Mundbodens - bei gleichbleibender Ansatzformung - beeinflussen. Um das gewünschte Resultat zu erzielen, können die verschieden Faktoren, zusammen mit einer veränderbaren Luftführung, kombiniert eingesetzt werden.
Korrekturen mit speziellen Griffen
Michel Arrignon verwendet in erster Linie spezielle Griffe, als weitere Möglichkeit benutzt er hellere oder dunklere Vokale, unterschiedliche Zungenpositionen. Thomas Piercy ändert mit verschiedenen Griffen die Klangfarbe, dabei kann die Intonation unverändert bleiben. Ernst Schlader beobachtet, dass beim deutschen System häufiger mit Griffkorrekturen gearbeitet wird, beim französischen sind es mehr die Vokalformung und die Ansatzflexibilität.
Verschiedene Mundstücke
Um die Grundstimmung des Instrumentes zu verändern, kann zu Mundstücken mit anderen Ausmassen gewechselt werden (siehe auch Sunghee Lee)
Zum Einfluss der Mundstückausmasse vermittelt Andreas Schöni (2005)[2] wichtige Informationen:
„Die Veränderung der Mundstückbohrung (Länge oder Durchmesser) wirkt sich nicht in allen Bereichen der Tonskala des Instrumentes in gleichem Masse aus. Wird jedoch das Volumen der Mundstückkammer vergrössert oder verkleinert, verändert sich die Stimmtonhöhe, d.h. alle Töne des Instrumentes werden davon betroffen. [In der Skizze wird sichtbar, dass bei den drei Kombinationen von Mundstück und Birne erstens die Bohrungslänge BL, und zweitens die Mundstücklänge ML, konstant gehalten werden.
Drittens verhalten sich die Volumina der Mundstückkammern wie folgt: KL1 < KL2 < KL3].
Mit dem restaurierten Instrument ist es nun möglich, in den Stimmungen [ca. 432/436/440 Hz] zu spielen, ohne dass die Mittellage unangemessen zu tief wird.“
Pascal Moraguès arbeitet oft während des Konzertes damit, an der Birne oder am Mundstück etwas mehr oder weniger auszuziehen. Das Ausziehen verändert neben der Länge der Bohrung eine punktuelle Erweiterung des Innendurchmessers. Ausziehen beim Fässchen vertieft die kurzen Töne g1 bis b1, spreizt gleichzeitig die Quintoktaven (e1/h2, f1/c2). Zieht man am Mundstück aus, vertieft dies ebenfalls die kurzen Töne und die Töne ab cis3 aufwärts werden etwas tiefer. Frédéric Rapin sucht zuerst den bestmöglichen, gut zentrierten Klang auf der Basis von Ansatzformung und Luftführung. Durch Ausziehen an Birne und Mittelstück kann die Intonation nach unten korrigiert werden. Gleichzeitig müssen Ansatzdruck, Vokalformung und Stütze für Veränderungen jederzeit disponibel sein.
Blattstärke
John Moses rät dazu, bei zu tiefer Intonation im oberen Klarinettenregister das Blatt höher am Mundstück aufzubinden. Wenn man das Blatt leicht ans Mundstück drückt, sollt keine schwarze Linie zwischen Blatt und Mundstück sichtbar sein. Dies ist vor allem bei etwas leichteren Kunststoff-Blättern zu empfehlen, da diese dazu tendieren, im oberen Register zu tief zu sein.
Heinrich Mätzener empfiehlt grundsätzlich eher leichtere Blätter zu spielen. Der Ausgleich zwischen Ansatz- und Luftdruck wird schwieriger, es wird jedoch mehr Flexibilität für Intonationskorrekturen gewonnen.
Praktische Übungen
Das Stimmgerät spielt einen Referenzton
Das Stimmgerät gibt als akustisches Signal einen Referenzton, zum Üben spielt man die gewählte Stelle dazu. Diese Übungstechnik eignet sich, dazu die Intervalle in reiner Intonation spielen zu lernen. Diese Praxis empfehlen James Campbell, Heinrich Mätzener, Ernesto Molinari. Letzterer ersetzt Tonübungen durch diese Intonationsübungen. Dabei darf ein Intervall ruhig auch länger «unrein» klingen, um den Unterschied zwischen zu hoch, zu tief oder der reinen Intonation wahrnehmen zu können.
Heinrich Mätzener
C-Dur Dreiklang aufwärts bis zur Oberquinte, G7 – abwärts, zurück zum Grundton. Das Stimmgerät spielt als Referenzton die Quinte. Spiele die Tonarten chromatische aufwärts
James Campbell:
Kroepsch Etüde, dazu vom Stimmgerät einen Referenzton spielen lassen, auf Quinten und Oktaven stehen bleiben.
Harri Mäki
Spielt den Beginn von «My favorite thing», auf dem Stimmgerät klingt als Referenzton die Unterquinte. Harri übt chromatisch schrittweise aufwärts, es dürfen jeweils keine Schwebungen entstehen, die Kombinationstöne müssen genau zur Tonart passen.
Weitere Intonations-Übungen in Reiner Wehle (2007 und 2008)[3]
Intonation als Teil der Interpretation
Beispiel: Mozart Klarinettenkonzert, T. 76 ff: Wie ist das as2 (klingend f2) zu intonieren, temperiert, eher hoch oder eher tief? Michel Arrignon empfindet das as2 als richtig, wenn es etwas tiefer wie temperiert gespielt wird. Zuerst erklingt das as2 als Tritonus, danach ändert es die Funktion und wird zur kleinen None über dem Basston e. Orientiert man sich an den Verhältnissen der Obertonreihe, wären die beiden Töne der kleinen None (klingend e und f2 in C- Dur, als Parallel-Tonart zum aktuellen a-moll) eher weit intoniert. Aber muss bzw. kann das subjektive Empfinden, welche die Dissonanz zwischen Oberton und Melodieton sucht, korrigiert werden? Das Empfinden der «richtigen Intonation» ist eine der wichtigsten Grundlagen der Interpretation: Intonation wird so zum wichtigen Gestaltungsmittel.
Priorität Intonation?
Paolo Beltramini legt grossen Wert darauf, dass sauber intoniert wird. Das ist schliesslich wichtiger wie die Klangästhetik an sich. Besonders was die Es-Klarinette betrifft, legt Steve Hartman die Priorität auf eine saubere Intonation, zusammen mit der Fähigkeit, auch leise zu spielen. Das ist wichtiger wie nur schnell und laut spielen zu können – aber zusätzlich zu einer sauberen Intonation und einem schönen Klang müssen Klang und Phrasen lebendig sein, um mit einer packenden Interpretation die Zuhörer gewinnen zu können Steve Hartman, The idea of shape, of saying, of phrasing.
Thomas Piercy teilt nicht in jedem Fall die Meinung seines Lehrers Leon Russianoff, dass einer sauberen Intonation die Priorität, auch zu Ungunsten der Klangfarbe, zukommen muss (siehe auch Clark 1983[4]).
Historische Quellen
Johann Georg Heinrich Backofen
J. G. H. Backofen legt grössten Wert auf eine reine Intonation beim Klarinettenspiel. Da eine rein intonierende Klarinette vom Instrumentenbau nicht gefordert werden kann, muss der „geübte Bläser“ folgendes versuchen:
„... ob nichts durch Nachlassen oder Treiben des Mundes zu gewinnen sei ... Noch wäre zu versuchen, ob nicht mancher falsche Ton durch eine andere Applikatur rein gemacht werden könnte.
... Dieser Lehrer ... der nicht nur das Spiel auf der Klarinette vollkommen versteht, sondern auch die Violine so spielt, dass er darauf den Unterricht erteilen kann, ohne dadurch in der reinen Intonation gestört zu werden ... mache den Schüler gleich anfangs auf jeden falschen Ton aufmerksam und suche ihm bestmöglichst abzuhelfen. Durch diese freylich mühsame, aber auch äusserst nützliche Uebung der reinen Intonation erlangt der Blasinstrumentist den Vortheil eines an Beugsamkeit gewöhnten Ansatzes.“
Im Gegensatz zu Carl Baermann arbeitete Johann Georg Heinrich Backofen bei Intonationskorrekturen also noch ausdrücklich mit Modifikation („an Beugsamkeit gewöhnten Ansatzes“) der Ansatz- und Anblasart.
Carl Baermann
Carl Baermann beschäftigte sich über Jahre hinweg mit der Problematik der Intonation wie auch mit den Schwierigkeiten des Griffsystems. Die intensive Zusammenarbeit mit dem Instrumentenbauer Benedikt Pentenrieder setzte er mit Georg Ottensteiner fort. Sie präsentierten 1860 in München ein Instrument, das sowohl grifftechnisch wie auch betreffend Intonation grosse Verbesserungen aufwies (siehe Ottensteiner Klarinette. Im Gegensatz zur Entwicklung in Paris, wo Hyacinthe Klosé zusammen mit Auguste Buffet 1839 die Böhmklarinette einführte, blieb beim Baermann-Ottensteiner-Instrument die Bohrung von oben bis unten weitgehend zylindrisch. Ausserdem verwendete Ottensteiner weiterhin Buchsbaum-Holz. So blieb der klangliche Charakter den Instrumenten der klassischen Epoche fast unverändert (siehe auch Stephen Fox, Mühlfeld's Clarinet. Carl Baermann schriebt 1861 in seiner Clarinett-Schule [6]:
„Da die Clarinette, nicht wie alle übrigen Instrumente in die Oktave, sondern in die Duodecim springt, so ist es viel schwieriger, ein rein gestimmtes Instrument zu erhalten, denn die Clarinette hat genaugenommen, für jeden Ton einen besonderen Griff, und aus ein und demselben Tonloch kommen 3-4 gänzlich verschiedene Töne.
Die Aufgabe, die ich mir nun stellte, war folgende: dem Charakter des Instrumentes von keiner Seite nahe zu treten, seine Schwächen der unvollkommenen Reinheit der Scala durch besser Stellung der Tonlöcher zu beheben, und den Mechanismus (darunter verstehe ich das Griffsystem) zu erleichtern und zu vereinfachen.“
Neben der ausführlichen Grifftabelle mit vielen alternativen Griffmöglichkeiten erwähnt Baermann das Ausziehen der Birne als Intonations - korrigierendes Mittel. Bei Veränderungen der Bohrung im oberen Mittelstück kann die Duodezime zu eng werden. Abhilfe bringt hier ein vorsichtiges Nachräumen der Innenbohrung. Intonationskorrekturen durch Ansatzmodifikation und Anpassungen der Luftführung werden hingegen nicht thematisiert.
Frédéric Berr
Berr geht im Zusammenhang mit der Orchesterpraxis auf das Thema Intonation ein. Er empfiehlt besonders im Zusammenspiel mit Fagott und Flöte eine flexible Spielweise und die Bereitschaft, bei Intonationsproblemen den anderen Instrumentalisten entgegen zu kommen. Am Ton g1 zeigt er exemplarisch die Möglichkeit von Intonationskorrekturen durch vier verschieden Griffe auf.
„Il y a quatre manières de prendre le Sol cela dépend du doigté et de la justesse“
(Berr, Klosé: 1837/1907, P.12)“
„Es gibt vier Möglichkeiten, den Ton g’ zu greifen, entsprechend dem Fingersatz [der aktuellen Passage] und der Intonation)“
Weiterführende Links, Aufsätze und Literatur
- Reine Stimmung [2]
- Doris Geller (1997) gibt eine theoretische Einführung in unterschiedliche Intonationssysteme, erklärt die Phänomene von Schwebungen, von Differenz- und Kombinationstönen, beschreibt melodisch-horizontal und vertikal orientierte Intonation, und stellt eine praktische Sammlung von Übungen zur Verfügung.
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Praktische Intonationslehre für Instrumentalisten und Sänger. 2012. Kassel: Bärenreiter.
- ↑ 2,0 2,1 Schöni, Andreas 2005. Zum Einfluss des Mundstücks auf Tonhöhe und Stimmung der Klarinette. Referat gehalten anlässlich des Symposiums im Rahmen der 30. Tage Alter Musik in Herne 2005
- ↑ Wehle, Reiner (2007 und 2008). Clarinet Fundamentals. 1. Sound and articulation, 2. Systematic fingering course, 3. Intonation.
- ↑ Clark, Stephen L. 1985. Leon Russianoff: clarinet pedagogue.
- ↑ Johann Georg Heinrich Backofen, Karl Ventzke (Herausgeber): Anweisung zur Klarinette nebst einer kurzen Abhandlung über das Bassetthorn, S. 2. Reprint der Ausgabe Leipzig, 1803. Moeck, Zelle 1986.
- ↑ 6,0 6,1 Bayerische Staatsbibliothekdigital Carl Baermann: Vollständige Clarinett-Schule: von dem ersten Anfang bis zur höchsten Ausbildung des Virtuosen; Erster Theil Op.63. Johann André, Offenbach/Main 1861.
- ↑ Frédéric Berr: Méthode complète de Clarinette adoptée au Conservatoire de Musique de Paris. Paris 1836. [1]