Staccato

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Die Fertigkeiten des Staccato sind weitgehend identisch mit denjenigen, die im Kapitel Artikulation beschrieben werden. Auf dieser Seite werden "schnelles Staccato" und "Doppelzunge" eingehender behandelt.

Beiträge der Interviewpartner

Voraussetzungen für ein gut ansprechendes Staccato

Ansatz und Luftführung

Damit Staccatopassagen ebenso gut wie Legatopassagen klingen (Frédéric Rapin), nennen die Interviewpartner folgende unabdingbare Voraussetzungen:

  • Der Ansatz bleibt beim Staccato so stabil wie bei einer ausgehaltenen Note oder einer Legatopassage.
  • Grundlage des Staccato sind die von den Zungenbewegungen unabhängige, kontinuierliche Luftführung und Atemstütze. Schnelle Staccati gelingen besser mit einer agilen Luftführung (siehe Lernvideo von Jean-François Philipp).




Gleichzeitige Kontrolle über drei Funktionen der Zunge

Italienisch «staccare» bedeutet im musikalischen Zusammenhang «trennen» einzelner Töne durch (kurze) Artikulationspausen.
Die Zunge trennt nicht nur die einzelnen Töne voneinander, sie übt auch wichtige tonbildende Funktionen nach der Artikulationspause aus.

  1. Die Zungenspitze artikuliert am Blatt, sie unterbricht die Schwingung des Blattes und gibt sie wieder frei. Ausserdem beeinflusst die Position der Zungenspitze Intonation und Klangfarbe.
  2. Der mittlere Bereich der Zunge ist in die Vokalformung involviert, beeinflusst dadurch Intonation und Klangfarbe und reguliert die Luftgeschwindigkeit. Ein schnellerer Luftstrom ist besonders für die Ansprache in oberen Registerlagen von Bedeutung.
  3. Der hintere Bereich der Zunge und der weiche Gaumen formen den Rachen als Resonanzraum. Die Klangfülle wird optimiert, wenn die Eigenresonanzen in der Mundhöhle den Resonanzen im Instrument entsprechen (vgl.Jonston 1999[1]).

Können diese drei Funktionen der Zunge gleichzeitig und unabhängig voneinander wahrgenommen werden, gelingt ein Staccato mit einer dem Legato ebenbürtigen Klangqualität. Beim Artikulieren (1) sollte sich deshalb nur die Zungenspitze bewegen. Die weiteren Bereiche (2 und 3) der Zunge nehmen unabhängig davon ihre spezifischen Funktionen wahr. Die Interviewpartner stimmen in Folgendem überein:

  • Der Weg der Zunge zwischen Blatt und Ruheposition soll so klein wie möglich sein.
  • Nach dem Zurückziehen der Zunge, d.h. nach dem Freigeben der Blattschwingung, bleibt die Zunge so nahe wie möglich an der Stelle, an der sie das Blatt berührt hat (John Moses, Thomas Piercy).
  • Die Staccatobewegung der Zunge ist nicht ein "Stossen" der Zunge gegen das Blatt, sondern die Zunge wird von ihrem Berührungspunkt am Blatt zurückgezogen und gibt so die Schwingung des Blattes frei (John Moses)




Didaktische Wege - vom «non legato» zum «staccatissimo»

Um eine Abfolge von Tönen von einander zu trennen, berührt die Zunge das Blatt mit kleinster Bewegung und kleinstem Druck Michel Westphal. Bei weiter bestehendem Luftdruck wird die Blattschwingung abgedämpft oder ganz gestoppt. Beim «non legato» berührt die Zungenspitze das Blatt nur ganz kurz. Um die Artikulationsart vom «non legato» über «portato» zu «staccato» bis zum «staccatissimo» zu ändern, d.h. um mit längeren Artikulationspausen zu spielen, verlängert sich der Moment der Berührung der Zunge am Blatt.

Ein erstes didaktisches Prinzip verfolgen Ernesto Molinari, Avrahm Galper, Lehrer von James Campbell:

  • Ausgangspunkt bei der Vermittlung der Staccatotechnik ist das Legato. Zu Beginn werden die Töne durch die Zungenbewegung kaum voneinander getrennt, die Zunge berührt nur ganz kurz das Blatt, weicht also kaum von ihrer tonbildenden Position ab. In kleinen Schritten werden dann die Artikulationspausen verlängert, die Zunge bleibt entsprechend länger mit dem Blatt in Kontakt. Bei jedem Lernschritt bleibt der Fokus auf die Klangqualität gerichtet. Das Staccato muss dieselbe Klangqualität wie das Legato haben.
  • Eine zweite, ergänzende Herangehensweise praktizieren James Campbell, François Benda:


Von Anbeginn wird ein kurzes Artikulieren trainiert. Zwischen den Tönen entstehen längere Artikulationspausen, während denen die Zunge das Blatt berührt. Das Wegziehen der Zunge vom Blatt gibt nur einen kurzen Moment die Schwingung des Blattes frei, um einen kurzen Ton erklingen zu lassen. Daniel Bonade (1962)[2] verbindet diese Technik mit einer Übung zur Koordination von Zungen- und Fingerbewegungen. Während der Artikulaitonpause - die Zunge berührt das Blatt, der Luftdruck bleibt aufrechterhalten - bereiten die Finger den Griff des nächsten Ton vor. Das Wegziehen der Zunge lässt dann den nächsten Ton erklingen, der Vorgang wird wiederholt. Bei beiden Wegen muss darauf geachtet werden, dass nur die Zungenspitze an der Artikulation beteiligt ist, die mittlere und hintere Partie der Zunge bleiben in Vokal- und Resonanzformung involviert. Diese Funktionen dürfen durch die Artikulationsbewegungen nicht beeinträchtigt werden.

Variationen von Tonanfang und Tonende

Um ein «trockeneres Staccato» zu erzeugen und der Klang sofort zu stoppen, wird die Berührungsfläche zwischen Zunge und Blattspitze nach unten vergrössert, bis die Schwingung bei aufrechterhaltener Luftführung ganz abgedämpft wird (Heinrich Mätzener). Der Berührungspunkt (« point d'impact ») kann auch zwischen Blattspitze und -Herz (Eli Eban, Sylvie Hue, Steve Hartman) gewählt werden, zwei bis drei Millimeter unter der Blattspitze.
Auch je nach Tonlage und Variantinstrument variieren die optimalen Berührungsstellen der Zungenspitze am Blatt. Entsprechend einem grössere Resonanzraum in der Mundhöhle empfiehlt es sich bei tieferen Lagen, insbesondre auf der Bassklarinette, den Berührungspunkt weiter unten, in Richtung Blattherz zu suchen. Bei hohen Lagen, besonders auf der Es-Klarinette, ergibt ein Berührungspunkt ganz an der Blattspitze die besseren Resultate (François Benda, Heinrich Mätzener). Auch der Berührungspunkt auf Zunge kann kann variieren, er kann sich von einer etwas grösseren Fläche über einen "Punkt" ganz vorne an der Zungenspitze bis zu einer Stelle gleich darunter befinden (Robert Pickup).

Um den Ton langsamer verklingen zu lassen, kann die Zunge den obersten Blattrand oder eine Ecke ganz leicht berühren, so dass das Blatt bei genügendem Luftdruck und Luftgeschwindigkeit auch während dem Kontakt mit der Zunge in leiserer Dynamik noch weiter schwingt. Das Zurückziehen der Zunge lässt das Blatt wieder in seiner vollen Amplitude schwingen. Kommt die Zunge wieder an die Blattspitze zurück, vibriert das Blatt mit gedämpfter, oder auch abnehmender Schwingung weiter. Diese Technik imitiert das Staccato eines Streichinstrument (Pascal Moraguès, Eli Eban). Es knüpft an die Tradition von Leopold Mozart (1756)[3] an, der in jedem Tempo und bei jedem Ton ein Einschwingen «dal niente» und ein Verklingen lassen «al niente» fordert. In langsameren Tempi kann das Tonende auch mit der Atemtechnik zum pianissimo geführt werden.

Je nach musikalischem Zusammenhang ist es angebracht, eine einzelne Note auch ohne Zungenartikulation, mit einem kurzen oder heftigen, oder eher gemässtigten Luftakzent anzublasen. Wenn es das Tempo erlaubt, kann in einer Reihe akzentuierter Staccati die Zungenartikulation mit Luftakzenten unterstützt werden um sie dynamisch abzurunden.
In einer Abfolge von schnellen Staccati kann die erste Note nur mit Luft, die folgende(n) mit der Zunge artikuliert werden. Dadurch vermischen sich die Parameter Dynamik und Artikulation und entsprechend dem musikalischen Ausdruck kann die differenzierte Bogentechnik der Streichinstrumente imitiert werden. David Shifrin vergleicht das Springenlassen der Zunge auf einem kräftigen Luftakzent mit dem Ricochet auf einem Streichinstrument.

Schnelles Staccato

Einfache Zunge

Jean-François Philipp, staccato avancé. empfohlenes Video

Michel Arrignon nutz für das schnelle Staccato den Begriff «Détaché réflexe». Er bezeichnet damit ein sehr schnelles Zurückziehen der Zungenspitze vom Blatt, das nicht bewusst vom Bewegungszentrum im Hirn gesteuert wird. Die Bewegung ist mit dem reflexartigen Zurückziehen der Fingerspitzen vergleichbar, wenn diese einen glühend heissen Gegenstand berührt haben.
Für das Gelingen eines schnellen Staccato gelten die Voraussetzungen wie oben erwähnt:

  • Stabiler Ansatz
  • Die Zunge ist nach vorne/oben, zu den oberen Schneidezähnen gerichtet
  • Die Zunge führt kleinstmögliche Bewegungen aus
  • Die Zungenbewegungen erfolgen auf der Basis der Luftführung

Lernschritte nach Jean-François Philipp

  1. Gehe von einem Legato aus, trenne die einzelnen Töne nur ganz leicht voneinander (franz. «louré», dt. «non legato»).
  2. Fasse vorerst Gruppen von zwei schnellen, energischen Staccati mit einem grosszügigen Atemimpuls zusammen. Kräftige auf diese Weise die Zungenmuskulatur, so steigert sich auch ihre Agilität. Platziere den Luftimpuls auf der ersten (gegenpunktierter oder lombardischer Rhythmus), dann auch auf der zweiten Note (punktierter Rhythmus).
  3. Achte auf kleinstmögliche Bewegungen, die Zungenspitze bleibt immer ganz nahe am Blatt. Arbeite auf diese Weise in allen Registern.
  4. Vergrössere die Tongruppen, kombiniere die Zungenbewegungen mit verschiedenen Intervallabfolgen. Die Zungenbewegungen erfolgen immer auf der Basis einer aktiven Luftführung.
  5. Variation: Artikuliere die erste Note in eine Gruppe schneller Staccati nur mit der Luft. Diese Übung dient auch zur Kontrolle der Zungenposition (sehr nahe am Blatt) und ihrer kleinstmöglichen Bewegung.




Doppelzunge

Sérgio Pires empfohlenes Video

Bei der Doppelzungentechnik erfolgen die Artikulationsbewegungen wechselweise mit der Zungenspitze vorne am Blatt, und mit dem Zungenrücken am hinteren Gaumen (z.B. mit den Silben di-gi-di-gi). Das Tempo von Staccatostellen kann dadurch markant gesteigert werden.
Bei der Artikulation mit der Zungenspitze ist darauf zu achten, dass die Vokalformung nach Freigabe der Blattschwingung sofort wieder in der klanglich optimalen Form erscheint. Nach der Artikulation mit dem hinteren Teil der Zunge ergeben sich folgende Herausforderungen:

  • der Luftweg muss nach der Artikulationsbewegung sofort wieder bis zum Blatt frei sein
  • die Vokalformung erscheint sofort wieder in ihrer optimalen Position
  • der Resonanzraum im hinteren Teil der Mundhöhle ist sofort wieder installiert (Michel Westphal).

Um optimale Kontrolle zu erreichen, verspricht die Arbeit mit kleinstmöglichen Artikulations-Bewegungen bei einem quasi durchgehenden Klang die besten Resultate. Der Hinweis von David Shifrin, dass die Zunge möglichst in einer konsistenten Position bleiben sollte, wird mit Erfolg auch für die Doppelzungentenchnik angewendet.
Da die Doppelzungentechnik nur bei schnellen Tempi Anwendung findet, klingt nicht nur die artikulierte Note ganz kurz, auch die Artikulationspausen zwischen den Tönen, d.h. der Moment, an dem die Zunge den Gaumen bzw. das Blatt berührt, muss von entsprechend kurzer Dauer sein. Dazu empfiehlt es sich, einen Berührungspunkt der Zunge zwischen hartem und weichem Gaumen zu suchen. So gibt die Zunge beim Verlassen des Artikulationspunktes Luft und Luftdruck sofort wieder frei. Analog zur Übung, bei der die Zungenspitze das Blatt berührt und dessen Schwingung weiter zulässt (siehe Heinrich Mätzener), kann auch der Zungenrücken den Gaumen nur so leicht berühren, dass die Luft weiter strömt. Der Klang wird dann dabei nicht unterbrochen.

Lernschritte
nach Sérgio Pires. Arbeite immer mit lang klingenden Tönen und mit kurzen Artikulationspausen (französisch «louré», oder «non legato», nie «staccatissimo»). Wird diese Arbeitsweise befolgt, wird es anschliessend einfach sein, auch ein kurz klingendes staccato zu spielen.

  1. Übe die Artikulation mit der hinteren Zunge: Beginne mit einer ausgehaltenen Noten zwischen c1 und g1 und artikuliere einzelne Noten auf derselben Tonhöhe. Finde die optimale Artikulationsstelle zwischen Zungenrücken und hartem/weichem Gaumen, kalibriere den Artikulationskonsonanten zwischen einem weichen «gi» und einem «chi» wie in deutsch «ich». Lass zwischen den Artikulationsbewegungen den Ton lange klingen, achte auf eine gut funktionierende, Luftführung und Atemstütze.
  2. Achte darauf, dass während der Bewegungen des "gi" die Zungenspitze unverändert in ihrer Position nahe dem Blatt ruht.
  3. Kombiniere - in sehr langsamem Tempo - beide Artikulationsarten. Beginne mit «gi», spiele «gi-di-gi-di».
  4. Achte auf kleinstmögliche Bewegungen von Zungenspitze und Zungenrücken
  5. Die Luftführung und die Atemstütze brauchen etwas mehr Energie
  6. Pflege in langsamem Tempo den Registerwechsel a1 - h1
  7. Ab Tonhöhe a2 kann die Ansprachen bei "gi" durch Aufblasen der Backen erleichtert werden.
  8. Übe mit grösser werdenden Tongruppen und -Räumen und, steigere das Tempo. Fokussiere in höheren Lagen die Luftführung, beginne stets mit «gi».




Einzelnachweise

  1. RB Johnston, PG Clinch, GJ Troup 1999. The Role of Vocal Tract Resonance in Woodwind Instrument Playing R Johnston, Acoustics Australia 14 (3), 67-69. www.researchgate.net {19. Dezember 2020}
  2. Bonade, Daniel. 1962. The clarinetist's compendium: including method of staccato and art of adjusting reeds. Kenosha, Wis: Leblanc Publications. [1]
  3. Leopold Mozart Violinschule, herausgegeben von der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg Das fünfte Hauptstück.§3 {2. Februar 2021}