Grenzkosten als Verrechnungspreis
Es gibt verschiedene Arten, um innerbetriebliche Leistungen zu verrechnen. Besteht für ein Zwischenprodukt kein Markt, so kann das Unternehmen kostenorientierte Verrechnungspreise anwenden. Ein Beispiel hierfür sind grenzkostenbasierte Verrechnungspreise (Coenenberg, Fischer & Günther, 2012, S. 737). Die Grenzkosten entsprechen der Zunahme der Gesamtkosten, die bei der Herstellung einer zusätzlichen Produkteinheit anfallen (Mankiw & Taylor, 2008, S. 307).
Rahmenbedingungen zur Anwendung
Ein Unternehmen kann mithilfe von grenzkostenbasierten Verrechnungspreisen die Mengen des internen Transfers optimieren (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 584). Laut Weber und Schäffer (2014) erscheinen solche Verrechnungspreise bei folgenden Voraussetzungen grundsätzlich als optimal (S. 216-217):
- Bei der Lieferdivision bestehen keine Beschäftigungsengpässe (Opportunitätskosten = Null).
- Für das Zwischenprodukt ist kein hinreichend vollkommener Markt vorhanden.
Um Verrechnungspreise auf der Basis von Grenzkosten anwenden zu können, muss laut Coenenberg et al. (2012) eine Grenzplankostenrechnung eingerichtet sein. Um die Ermittlung der Verrechnungspreise zu vereinfachen, ist zudem ein linearer Kostenverlauf zu unterstellen. Unter dieser Annahme entsprechen die Grenzkosten den variablen Kosten. Da der liefernde Bereich nur die variablen Kosten vergütet bekommt, kann das zu Überschätzungen führen, welche den Erfolg nur kurzfristig erhöhen. Somit sind Verrechnungspreise auf Basis der Grenzkosten nur zur kurzfristigen Maximierung des Unternehmensergebnisses geeignet (S. 739-740). Die Anwendung von grenzkostenbasierten Verrechnungspreisen setzt den Entscheid einer dezentralen Unternehmensstruktur voraus.
Funktionen der Verrechnungspreise auf der Basis von Grenzkosten
Grundsätzlich wird zwischen der Lenkungs- und Erfolgsermittlungsfunktion sowie der Steueroptimierung unterschieden. Nachfolgend werden diese Funktionen auf Verrechnungspreise auf der Basis von Grenzkosten angewendet.
Lenkungsfunktion
Verrechnungspreise können das Verhalten der Bereichsleitenden so steuern, dass sich der Gewinn des gesamten Unternehmens maximiert. Diese Lenkungsfunktion wird erreicht, wenn der Verrechnungspreis den Grenzkosten der produzierenden Division entspricht. Somit lohnt sich ein interner Bezug der Abnehmerdivision erst, wenn der Verkaufspreis des Endproduktes mindestens der Summe aus dem Verrechnungspreis, sowie den Grenzkosten der Abnehmerdivision entspricht. Diese Berechnung ist die Entscheidungsgrundlage, ob die Abnehmerdivision das Zwischenprodukt konzernintern oder -extern beziehen soll (Coenenberg et al., 2012, S. 738).
Erfolgsermittlungsfunktion |
Den Erfolg der einzelnen Divisionen zu berechnen ist schwierig, wenn diese durch Leistungen verflochten sind. Aus diesem Grund sind Verrechnungspreise notwendig (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 567-569). Grenzkostenbasierte Verrechnungspreise erfüllen die Erfolgsermittlungsfunktion nicht im gewünschten Masse. Das Problem ist, dass die Lieferdivision die Produkte zu den Grenzkosten, resp. zu den variablen Kosten, liefert. Dies führt zu einem Verlust in der Höhe der Fixkosten. Die Abnehmerdivision weist hingegen einen Gewinn aus, der zum einen durch ihre Leistungserstellung entsteht, und zum andern durch die nicht verrechneten Fixkosten der Lieferdivision (Coenenberg et al., 2012, S. 738). Wäre im Transferpreis beispielsweise ein Zuschlag berücksichtigt, würde sich der Gewinn der Abnehmerdivision um diesen Betrag verkleinern, was Abbildung 1 veranschaulicht.
Bei Verrechnungspreisen auf Basis von Grenzkosten kann es zu Fehlsteuerungen kommen, die sich negativ auf das Ergebnis des Gesamtunternehmens auswirken, da die Lieferdivision nur ihre variablen Kosten weiterverrechnen darf. So wird die Lieferdivision kapitalintensiven Produktionsvorgängen aufgrund des hohen Fixkostenanteils und der geringeren variablen Kosten ablehnend gegenüberstehen, da sie versucht, ihr eigenes Ergebnis zu maximieren (Coenenberg et al., 2012, S. 739-740).
Zudem analysiert die Lieferdivision, wie sich die variablen Kosten beim Kauf einer neuen Maschine zum bisherigen Produktionsprozess verhalten. Sinken mit der neuen Maschine die variablen Kosten und verbessert sich so das Gesamtergebnis des Unternehmens, wird sie sich trotzdem nicht grundsätzlich für die neue Maschine entscheiden. Durch den Kauf steigen die Fixkosten, was wiederum das Ergebnis der Lieferdivision beeinträchtigt. Auch wird in der Theorie nicht zwischen dem gewinnmaximierenden und verlustmaximierenden Verhalten unterschieden. In der Praxis erzeugt dieses Verhalten Unzufriedenheit. Dies vor allem bei der Lieferdivision, da sie immer einen Verlust in der Höhe der Fixkosten ausweist (Coenenberg et al., 2012, S. 739-740).
Haben die Verrechnungspreise auf der Basis von Grenzkosten keine Erfolgsermittlungsfunktion, sind andere Verrechnungspreise anzusetzen. Alternativ bietet sich an, die Organisation des Unternehmens anzupassen. Möglich ist, die Lieferdivision und die Abnehmerdivision als Profit-Center zusammenzuschliessen (Coenenberg et al., 2012, S. 740). Allenfalls kann die Leitung des Gesamtunternehmens auch das Performance Measurement und das Anreizsystem für das Management der Lieferdivision so gestalten, dass Fehlsteuerungen wegen der Verrechnung der variablen Kosten vermindert oder gar vermieden werden. Ein solcher Eingriff wäre allerdings bereits ein Schritt in Richtung Zentralisierung.
Steueroptimierung
Bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen in einem länderübergreifenden Konzern gilt nach den Richtlinien der OECD der Fremdvergleichsgrundsatz. Grenzkostenbasierte Verrechnungspreise dürften in der Regel nicht zur Anwendung kommen, da sie diesem Fremdvergleichsgrundsatz nicht entsprechen. Zudem bieten Verrechnungspreise auf Basis der Grenzkosten wenig Spielraum, um die Divisionsergebnisse zu steuern. Daher bieten sie sich auch für Konzerne, die nicht länderübergreifend tätig sind, nicht primär zur Steueroptimierung an (Brühl, 2009, S. 355).
Abweichende Verrechnungspreise
Die Verrechnungspreise auf Basis von Grenzkosten führen bei den einzelnen Bereichen zu nicht gerechtfertigten Ergebnissen. Um dieses Problem zu lösen, ist ein Verrechnungspreis zu wählen, welcher von den effektiven Grenzkosten abweicht. Dieser Verrechnungspreis sollte eine Lenkungsfunktion innehaben. Weiter sollte dieser Verrechnungspreis zu einer gerechten Gewinnzurechnung führen (Coenenberg et al., 2012, S. 740-741).
Ziel ist laut Coenenberg et al. (2012) ein Verrechnungspreis mit folgenden Merkmalen (S. 740):
- Die Lenkungsfunktion des Grenzkostenpreises besteht weiter.
- Die Nachteile der Erfolgsermittlungsfunktion sind beseitigt. Der Verrechnungspreis ist sowohl für die Liefer‐ als auch die Abnehmerdivision akzeptabel und führt zu einer „gerechten“ Gewinnzurechnung.
Hirshleifer-Modell
Das Hirshleifer-Modell bietet eine Grundlage, um den Verrechnungspreis zu berechnen. Weber & Schäffer (2014) beschreiben das Modell ausführlich, wobei folgende Annahmen getroffen werden (S. 217):
- Ein Unternehmen mit zwei Profit‐Centern
- Ein Profit‐Center (Lieferdivision) ist Lieferant eines Zwischenprodukts, das andere Profit‐Center (Abnehmerdivision) verkauft das Zwischenprodukt als Endprodukt.
- Zwischen‐ und Endprodukte sind identisch. Die Lieferdivision ist somit zuständig für die Herstellung des Produkts, die Abnehmerdivision ausschliesslich für dessen Verkauf.
- Für das Zwischenprodukt besteht kein externer Markt. Ein möglicher Grund dafür kann ein Abnehmervertrag sein.
- Der optimale Verrechnungspreis hängt in diesem Modell von der Gesamtgewinnfunktion des Unternehmens ab.
- Der Verrechnungspreis ist so zu bestimmen, dass die Entscheidungen der Divisionsleitenden den Gesamtunternehmensgewinn maximiert.
- Beide Divisionen sind bezüglich der externen Nachfrage und technologisch voneinander unabhängig.
- Das Endprodukt wird unter vollständigem Wettbewerb vertrieben. Die verkaufte Menge hat somit keinen Einfluss auf den Verkaufspreis.
Gemäss Ewert & Wagenhofer (2014) lösen die Grenzkosten das Koordinationsproblem nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Die Informationssituation der Zentrale und der Bereiche muss ideal sein. Diese Einschätzung würde auch durch die geringe Verwendung in der Praxis bestätigt (S. 584-585, 591). Der Ansatz von Grenzkosten als Verrechnungspreis löst das Koordinationsproblem nur scheinbar (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 587). Die Zentrale muss den Verrechnungspreis festlegen. Dabei stellt sich die Frage, woher sie den Verrechnungspreis kennt. Um den Verrechnungspreis festlegen zu können, muss die Zentrale das Entscheidungsproblem lösen. Die Zentrale könnte ebenso gut die Outputmenge vorschreiben. Die Bereiche produzieren nur noch die Menge, welche den Erlös ihrer Division optimiert. Die einzelnen Bereiche können nicht mehr an ihrem Erfolg gemessen werden, da die Zentrale diesen implizit vorgibt (Wala, 2006, S. 15).
Ronen/McKinney-Modell
Ronen und McKinney erweiterten das Modell von Hirshleifer im Jahre 1970. Sie bestimmten, dass die einzelnen Divisionen als monopolistische Nachfrager oder Anbieter agieren können. Aus diesem Grund können zwei Verrechnungspreise festgelegt werden. Um die Verrechnungspreise zu bestimmen, müssen zuerst die Funktionen der einzelnen Bereiche erstellt werden. Als erstes wird die Nettogrenzerlösfunktion der Abnehmerdivision berechnet. Dies erfolgt indem die Division angibt, wie viele Produkte sie bei welchem Preisniveau kaufen würde. Als zweites wird die Nachfragefunktion der Abnehmerdivision durch die Funktion des durchschnittlichen Erlöses abgeleitet. Zum Schluss gibt die Lieferdivision ebenfalls an, bei welchem Preisniveau sie wie viele Produkte liefern würde. Dies ergibt die Grenzkostenfunktion. Mit dieser Funktion sind die variable Durchschnittskostenfunktion und die Angebotskurve der Lieferdivision bestimmbar (Coenenberg et al., 2012, S. 742-743).
Erhebt das Unternehmen die Verrechnungspreise auf Basis der Grenzkosten gemäss dem Modell von Ronen und McKinney, erfüllt sie die Lenkungsfunktion, auch wenn ein externer Markt besteht und die übereinstimmenden Kauf- und Verkaufspreise gegeben sind. Dies ist nur möglich, wenn eine Gesamtlösung bekannt ist. In der Praxis ist diese Anwendung problematisch, da die einzelnen Divisionen um Ressourcen oder auch teilweise um Märkte konkurrieren (Coenenberg et al., 2012, S. 743).
Lern- und Praxismaterialien
Aufgaben |
---|
Quellen
Literaturverzeichnis
- Brühl, R. (2009). Controlling. Grundlagen des Erfolgscontrollings (2. Aufl.). München: Oldenbourg.
- Coenenberg, A. G., Fischer, T. M. & Günther, T. (2012). Kostenrechnung und Kostenanalyse (8. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
- Ewert, R. & Wagenhofer, A. (2014). Interne Unternehmensrechnung (8. Aufl.). Berlin: Springer.
- Mankiw, G. & Taylor, M. (2008). Grundzüge der Volkswirtschaftslehre (4. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
- Wala, T. (2006). Verrechnungspreisproblematik in dezentralisierten Unternehmen. Working Paper Series, Nr. 24, Fachhochschule des bfi Wien.
- Weber, J. & Schäffer, U. (2014). Einführung in das Controlling (14. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Weiterführende Literatur
- Hirshleifer, J. (1956). On the Economics of Transfer Pricing. The Journal of Business, Vol. 29, No. 3, S. 172-184.
- Pfaff, D. & Pfeiffer, T. (2004). Verrechnungspreise und ihre formaltheoretische Analyse: Zum State of the Art. DBW, 64, 3, S. 296-319.
- Pfaff, D. & Stefani, U. (2006). Verrechnungspreise in der Unternehmenspraxis. Eine Bestandsaufnahme zu Zwecken und Methoden. Controlling, 10, S. 517-524.
- Ronen, J. & McKinney, G. (1970). Transfer Pricing for Divisional Autonomy. Journal of Accounting Research, Vol. 8, No. 1, S. 99-112.
- Schulze, W. & Weiler, A. (2007). Gestaltung von Verrechnungspreisen unter Beachtung von Anreiz- und Steuereffekten. ZfCM. Controlling & Management, 51, 2, S. 102-108.
Autoren
Roland Matter, Simon Niederhauser, Rahel Odermatt, Pascal Rüttimann