Ansatz, Ansatzformung, Embouchure: Unterschied zwischen den Versionen
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Bleibt dies die einzige Muskelaktivierung, werden die Lippen leicht nach vorne gestülpt. Um den Mund rund um das Mundstück richtig abzudichten, sind weiter Muskeln an der Ansatzformung beteiligt. | |||
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[[James Campbell#Athletes of the small muscles|James Campbell]] beschreibt ein Dreieck, das sich zwischen den beiden gut geschlossenen Mundwinkeln und der Spitze des Kinns zeichnen liesse. In Anlehnung an den Unterricht bei Robert Marcellus spricht er auch von «Marcellus triangel» oder «Marcellus has a mustache» (https://www.youtube.com/watch?v=KkCxHeBHbVc Klangbeispiel und Abbildung). | [[James Campbell#Athletes of the small muscles|James Campbell]] beschreibt ein Dreieck, das sich zwischen den beiden gut geschlossenen Mundwinkeln und der Spitze des Kinns zeichnen liesse. In Anlehnung an den Unterricht bei Robert Marcellus spricht er auch von «Marcellus triangel» oder «Marcellus has a mustache» (https://www.youtube.com/watch?v=KkCxHeBHbVc Klangbeispiel und Abbildung). |
Version vom 12. Juli 2020, 11:39 Uhr
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Während im französischen und englischen Sprachraum das Wort Embouchre (ital. imboccatura, span. embocadura) das aktive „Umhüllen“ des Mundstückes mit den Lippen betont, impliziert das deutsche Wort Ansatz zusätzlich das Ansetzen des Instrumentes an den Mund durch die Haltearbeit.
Beiträge der Interviewpartner
Historische Quellen
Die heute gebräuchliche Ansatztechnik, bei der das Blatt auf der Unterlippe liegt und die oberen Zähne das Mundstück berühren, hat eine lange Entwicklung hinter sich. Das Wissen und Experimentieren mit den früheren Formen der Ansatztechnik erweitert die Flexibilität aller am Ansatz beteiligten Bereiche. Die Position des Unterkiefers, die Form und Spannung der Lippenmuskulatur, die Form und Position der Zunge sowie die Ausformung der Mundhöhle werden ins Bewusstsein gerückt.
Gianluca Campagnolo (2019)[1] gibt einen Überblick über die verschiedenen Ansatztechniken, wie sie in den Klarinetten-Methoden des ausgehenden 18. und und des 19. Jh. dokumentiert sind. Er fast zusammen, dass sich zu Beginn des 19. Jh. die Frage "Blatt nach oben, maxillarer Ansatz" oder "Blatt nach unten mandibularer Ansatz" diskutiert wurde. Diskussionen um diese Fragestellung wurden in Italien bis in dei 20-er Jahre des 20.Jh zu geführt, siehe Della Giacoma, in Campagnolo 2019[1].
In der zweiten Hälfte des 19. Jh. etablierte sich die Spielweise mit Blatt nach unten, und die Diskussionen drehten sich um die Frage "Einfacher Ansatz" oder Doppellippenansatz". Seit ca. 1945 sind Doppellippenansatz-Spieler*innen nur noch ausnahmsweise anzutreffen. Bei den Diskussionen und die "richtige" Ansatztechnik wurden Argumente wie Klangqualität, Klarheit und Variabilität der Artikulation sowie Freiheit der Fingertechnik ins Feld geführt. Auch im Zusammenhang mit den Entdeckungen des Instrumentenbaus wurde die eine oder andere Spieltechnik favorisiert.
„Übersichblasen", maxillarer Ansatz
Abbildungen in Traités und Méthodes des 18. Jd. bestätigen, dass bis ca. 1810 die Klarinette mit nach oben gerichtetem Blatt, so dass es beim Anblasen die Oberlippe berührte, gespielt wurde (Hoeprich 2009)[2]. Entsprechend der Spielweise von Oboe und Fagott - oft spielten diese Musiker auch Klarinette - war dies die naheliegende Technik: Mundstück und Blatt wurden von Ober- und Unterlippe umhüllt (siehe Michel Blazich (2014)[3]. Die Mundstücke der damaligen Instrumente waren auch deutlich schlankerer Bauwiese, und die Buchsbaum-Instrumente mit nur fünf Klappen hatten nicht das Gewicht einer modernen Klarinette, so dass sich ein Doppellippenansatz als unproblematisch erwies.
Diese Anblasart, in den historischen Unterrichtswerken (Fröhlich, 1811) „Übersichblasen“ oder "Obersichblasen" genannt, wird in der Fachliteratur (Heinz Becker (1978)[4] auch als maxilliarer Ansatz bezeichnet (von lateinisch Maxilla, der Oberkiefer).
Der mandibulare Anansatz beeinflusst die Zungenform und -Stellung wie auch die Ausformung der Mundhöhle: um am Blatt artikulieren zu können, muss sich die Zungenspitze nach vorne oben richten um so den äussersten Rand des Blattes zu berühren. Bliebt die Zunge ihrer natürlichen Position, würde bei einer Bewegung nur das Mundstück berührt und die Schwingung des Blattes nicht unterbrochen (siehe Artikulation). Diese Zungenposition verbindet sich mit einem Öffnen des Rachens und vergrössert das Volumen der hinteren Mundhöhle. Joseph Fröhlich (1811) schätzt die so gewonnen klanglichen Vorteile. Die Schwierigkeit, mit der Zunge zu artikulieren, empfiehlt er durch das Artikulieren "mit der Brust" zu umgehen.
Das „Übersichblasen“ wurde im ausgehenden 18. Jhd. in Paris bis in die 1820-er gelehrt. Amand Vanderhagen (1785)[5], Frédéric Blasius (1796[6] und Jean-Xavier Lefèvre (1803)[7] veröffentlichten umfassende Unterrichtswerke.
„Il faut appuyer le bec sur la lèvre inférieure, couvrir l’anche de la lèvre supérieure, sans que les dents y touched en aucun cas car les dents ne doivent que soutenir les lèvres et leur donner la force nécessaire pour pouvoir pincer dans les tons hauts.“
„Der Schnabel sollte gegen die Unterlippe gepresst werden, das Blatt mit der Oberlippe bedecken, ohne dass die Zähne es unter irgendwelchen Umständen berühren, da die Zähne die Lippen nur stützen und ihnen die nötige Kraft geben sollen, um in hohen Tönen erreichen zu können.“
In Italien setzen die Klarinettisten die Tradition des „Übersichblasen“ fort und die Methode hielt sich bis in die Mitte des 20. Jhd. Ferdinando Busoni (1866-1925)[8], der Vater der Komponisten Ferrucio Busoni, hielt das „Übersichblasen“ für das einzig Richtige, da der Klang im Kontakt mit der schwächeren Oberlippe weit modulationsfähiger und weicher, die Möglichkeiten der Schattierungen grösser und die Intonation reiner war. Wichtigste Vertreter der dem Bel Canto nahe stehenden „Neapolitanischen Schule"[9] sind Fredinando Sebastiani [10] (1803-1860), und sein Schüler Gaetano Labanchi (1829-1908). Zusätzlich zu den klanglichen Vorteilen und zur Variabilität der Artikulationsmöglichkeiten, die das „Übersichblasen“ mit sich bringt, hebt Gaetano Labanchi die grossen dynamsichen Möglichkeiten bis hin zum Verklingenlassen des pianissimo hervor:
„Si può talmente assottigliare da produire i suoni di un'eco piu o meno lontana comecchè si voglia.“
„Man kann auf diese Art die Klangproduktion dermassen verfeinern, dass man die Töne nach Belieben in einem näher oder weiter entfernt klingenden Echo spielt.“
„Untersichblasen“ - mandibularer Ansatz
Beim „Untersichblasen“ berührt das Blatt die Unterlippe, die Oberlippe bedeckt die oberen Zähne und umhüllt das Mundstück. Diese Ansatzart, auch mandibularer Ansatz[4] genannt (von Lateinisch Mandibula, der Unterkiefer), empfiehlt erstmals der norwegische "Bandmaster" Lorents Nicolai Berg (1782)[12]. Gianluca Campagnolo (2019)[1] zeigt auf, dass sich diese Spieltechnik im deutschen Sprachraum schon seit dem Ende des 18. Jh. verbreitete, in Frankreich um 1830 den maxillarenen Ansatz ablöste und auch in England angewendet wurde.
Wei beim maxillaren Ansatz verbindet sich auch mit dem mandibularen Ansatz eine Fingertechnik, die häufig "Stützfinger" anwendet. Dabei werden verschiedene Tonlöcher, die keine Tonhöhenänderung bewirken, abgedeckt. Im Zusammenspiel mit dem rechten Daumen definieren die Stützfinger die Haltearbeit als Teil der Ansatztechnik lässt sich mit der rechten Hand eine sanfter Druck in Richtung Ansatz und Blatt aufbauen. Eine Aktivierung der Kaumuskulatur (Musculus masseter) würde im ungünstigsten Winkel einen Druck auf die Oberlippe ausüben und diese verletzen.
Heinrich Baermann feierte als Solist 1817/18 in Paris als Solist grosse Erfolge. Wohl in diesem Zusammenhang und nach dem Erscheinen der "Méthode" von Frédéric Berr[13] galt diese Ansatztechnik am Conservatoire de Paris bis in die Anfänge des 20. Jh. als Standard. Frédéric Berr, Professor des "Conservatoire National de Musique" 1831-1836, war von den dynamsichen und klanglichen Möglicheiten dieser Ansatztechnik fasziniert und führte das "Untersichblasen" als Standard in Frankreich ein, behielt aber wohl bemerkt das "Umhüllen des Mundstückes" mit der Oberlippe bei.
„Ça permet une grande fléxibilté de dynamique; forte avec beaucoup de force, piano écho avec tant de douceur qu’on aurait cru que les sons venait d’une salle voisine"...
je conseillerai de tenir en garde contre une mauvaise habitude qui existe en Allemagne: c’est de mordre sur le bec. Ce défault donne une mauvaise qualité de sons, et nuit à la flexibilité de l’expression.“
„Das [Untersichblasen] erlaubt eine grosse dynamische Flexibilität; das Forte erklingt mit viel Kraft, das piano echo mit soviel Zartheit, dass man glaubt, die Klänge kämen aus einem benachbarten Zimmer.... Ich rate jedoch, sich vor einer schlechten Gewohnheit, die in Deutschland vorkommt, in Acht zu nehmen: das ist das Beissen auf das Mundstück. Dieser Fehler gibt eine schlechte Klangqualität und zerstört dei Flexibilität des Ausdruckes.“
In Paris folgten auf Frédéric Berr mehrere Generationen, die bis ins 20.Jh an dieser Technik festhielten: Hyacinthe Klosé (1808-1880)[15], Cyrille Rose (1830-1902), Charles Turban (1845–1905), Prospère Mimart (1859-1928)[16] und schliesslich Gaston Hamelin (1884-1951), der in den USA wichtige pädagogische Arbeit leistete. Egène Gay (1932)[17] erwähnt als erster französischer Klarinettenpädagoge die Möglichkeit, bei der Ansatzformung auch mit den oberen Zähnen das Mundstück zu berühren.
Die Technik des mandibularen Ansatzes, vermutlich als Doppellippenansatz, dürfte auch schon Joseph Beer (1744 - 1812) praktiziert und seinen Schülern im deutschen Sprachraum Franz Tausch (1762 - 1817) und Heinrich Baermann (1784 - 1847) weitergegeben haben.
Von Iwan Müller zu Carl Baermann und der heutigen Spieltechnik
Iwan Müller patentierte 1812 seine neue, zu 13 Klappen ergänzte Klarinette und ca. 1826 verfasste er dazu die Anweisung zu der neuen Clarinette[18]. Er empfahl, mit dem Blatt nach unten zu spielen, im Zusammenhang mit neuen Klappen für den Daumen rechts aber auch mit den Zähnen auf dem Mundstück abzustützen. Dies wurde notwendig, da der rechte Daumen die auf der Rückseite des Instrumentes platzierten Klappen bedienen musste, und dazu mehr Bewegungsfreiheit brauchte.
„Mehrere Gründe raten indessen, das Blatt auf die Unterlippe zu legen (unten zu blasen) denn 1.) der Daumen der rechten Hand wird frey, und braucht die Clarinette nicht zu halten. Hierdurch fällt ein Mangel der alten Clarinette weg, weil man jetzt, vermittelst des freyen Daumens, h und cis, c und es, so wie h und dis und des und es , oder umgekehrt, binden (schliefen) kann [...] Dieser Vortheil wird bey dem Obenblasen schwieriger. 2.) man kann auf die Zähne der unter die Kinnlade ein Stückchen Papier legen, damit die Zähne die Lippe, auf welcher das Blatt ruhet, nicht verwunden. Bey dem Oberblasen leidet die Lippe allemal. 3.) Der Spieler vermeidet die Anstrengung der Gesichtsmuskeln und Züge, welches nicht der geringste der angegebenen Vortheile ist, indem der Spieler auch darauf sehen muss und dem Zuhörer keine unangenehmen und peinliche Empfindung zu verursachen. Bey dem Oberlasen kann der Spiele keine völlig ruhige Mine behalten, denn die Oberlippe ist zu klein, dass sie die Zähne leicht ungezwungen bedecken könnte.“
Beim Spiel mit Doppellippenansatz musste der Daumen in Kombination mit der Haltearbeit für die Ansatztechnik eingesetzt werden und beide Lippen waren etwa gleichermassen belastet (die Oberlippe durch das entstehende Drehmoment etwas stärker). Dass Iwan Müller empfiehlt, eine schützendes Papier zwischen Zähne und Unterlippe zu legen, weist darauf hin, dass durch die neuen Daumenklappen die Stützfunktion des rechten Daumens in den Hintergrund trat, und dass der Ansatz nun stärker in die Haltbarkeit eibezogen wurde und dementsprechend grösserer Druckbelastung ausgesetzt war. Wie auch Heinrich Backofen überlässt er es jedoch jedem einzelnen Spieler, sich aus klanglichen Gründen für das Unter- oder Übersichblasen zu entscheiden.
Carl Baermann (1861)[19], der Sohn Heinrich Baermanns, hält den Ansatz als "für die Tonbildung das wichtigste, ja, er ist eigentlich die Tonbildung selbst."
. Er war kompromissloser Verfechter des „Untersichblasens“. Im Unterschied zu den in Frankreich und England verbreiteten Lehrmeinungen mussten dabei die oberen Zähne und nicht die Oberlippe das Mundstück berühren. Um das aus Holz gefertigte Mundstück vor Abnützungen zu schützen, wurde es durch eine Silberplatte geschützt. Angebliche klangliche Vorteile des Doppellippenansatzes hielt Baermann als Selbsttäuschung:
„[...] diese Anblasart ist natürlicher und zweckmässiger [...] da die Ausdauer und daher in notwendiger Folge die Sicherheit wenigstens die doppelte ist [...] Viele Klarinettisten spielen die Ober- und Unterlippe über die Zähne gezogen, wodurch der Ton dem Bläser selbst, jedoch nur scheinbar, weicher klingt [...]“
Ansatzformung heute
Aufbau und Funktion
Die Ansatzformung schafft die Verbindung zwischen Bläser*in und Instrument und leitet den Luftstrom auf Mundstück und Blatt. Die Ansatzformung verhindert, dass keine Luft an den Mundwinkeln austritt.
Alle Interviewpartner nennen für diesen Zweck die Aktivierung des Mundringmuskels, Musculus orbicularsi oris, als eine der wichtigsten Grundlagen der Ansatzformung.
Bleibt dies die einzige Muskelaktivierung, werden die Lippen leicht nach vorne gestülpt. Um den Mund rund um das Mundstück richtig abzudichten, sind weiter Muskeln an der Ansatzformung beteiligt.
Geschlossene Mundwinkel – und Spitzes Kinn
James Campbell beschreibt ein Dreieck, das sich zwischen den beiden gut geschlossenen Mundwinkeln und der Spitze des Kinns zeichnen liesse. In Anlehnung an den Unterricht bei Robert Marcellus spricht er auch von «Marcellus triangel» oder «Marcellus has a mustache» (https://www.youtube.com/watch?v=KkCxHeBHbVc Klangbeispiel und Abbildung). Auch Seunghee Lee nennt das “spitze Kinn” im selben Atemzug wie die fest geschlossenen Mundwinkel.
Für das Spitze Kinn wird der Musculus mentalis aktiviert, um die Mundwinkel gut zu schliessen und die Lippen dicht an die Zähne anzuschmiegen, müssen zusätzlich zum M. orbicularis die Spannungen des folgender mimischer Muskulaturen eingesetzt werden:
- Lachmuskel Musculus risorius beidseitig, zieht an den Mundwinkeln, dehnt die Lippen
- Musculus depressor anguli Doris, beidseitig, zieht die Mundwinkel nach unten.
- Trompetermuskel Musculus buccinator, beidseitig, zieht die Wangen zusammen
Damit das Blatt in Schwingung gerät, und nicht lediglich das Geräusch der durchströmender Luft wahrnehmbar ist, stehen zusätzlich zur Ansatzformung folgende Möglichkeiten offen:
- Der Druck auf das Blatt wird erhöht
- Der Luftdruck wird erhöht
- Die Luftgeschwindigkeit wird erhöht
dass durch Lippen und Mund erzeugt im Zusammenspiel mit der Haltearbeit den geringen, aber doch notwendigen Druck auf das Blatt. Es ist davon abzuraten, den Kaumuskel Musculus masseter als Hauptakteur der Ansatzformung einzusetzen. So kann mit entsprechend dosierter Luftführung und Atemstütze der Klang erzeugt werden. Die Ansatzformung bildet zusammen mit der Vokalformung, Haltearbeit, Luftführung und Atemstütze ein System, das es bei der Tonbildung in sich fein auszubalancieren gilt.
Doppellipenasnatz?
Aus der Tradition der Alten Französischen Schule hervorgehend empfehlen James Campbell, Eli Eban, Heinrich Mätzener, David Shifrin empfehlen die Anwendung des Doppellippenansatzes für Übungen der Tonbildung. Sie sehen den Nutzen darin, dass sich die Ausformung der Mundhöhle, sowie Zungenposition und Form beim Doppellippenastz Klangqualität und Artikulation begünstigen.
„Ich lasse Tonübungen von den Studenten mit Doppellippenansatz ausführen. Die ist für die Tonbildung sehr empfehlenswert. Das aktive Umschliessen des Mundstückes durch beide Lippen bringt die Zunge grundsätzlich in eine für die Resonanzformung günstige Form. Wird die Zungenspitze in die Nähe der Blattspitze gebracht, optimiert sich die Resonanzformung zusätzlich. Die notwendige Spannung im Kinn („spitzes Kinn“) stellt sich dabei automatisch ein.“
Bei kurzen, regelmässigen Übsequenzen Üben mit Doppellippenansatz können die Vorteile dieser Ansatzart (Unabhängigkeit von Vokal- und Ansatzformung, Klangfülle durch Ausformung der Mundhöhle, kombiniert mit dynamischer und intonatorischer Flexibilität, Schonen der Unterlippe) auf den einfachen, herkömmlichen Ansatzes) übertragen und mit diesen Vorteilen (Schonen der Oberlippe, Ausdauer und Stabilität der Toführungkombiniert werden werden.
Michel Arrignon würde dies nur bei Fortgeschrittenen Student*innen empfehlen. "Ich lasse Tonübungen von den Studenten mit Doppellippenansatz ausführen. Die ist für die Tonbildung sehr empfehlenswert. Das aktive Umschliessen des Mundstückes durch beide Lippen bringt die Zunge grundsätzlich in eine für die Resonanzformung günstige Form. Wird die Zungenspitze in die Nähe der Blattspitze gebracht, optimiert sich die Resonanzformung zusätzlich. Die notwendige Spannung im Kinn („spitzes Kinn“) stellt sich dabei automatisch ein." (David Shiffrin, 2014)[21].
Physiologische Grundlagen
Die mimische Gesichtsmuskulatur bewegt keine Skeletteile. Einzelne Muskeln haben ihren Ursprung häufig nicht an festen Knochen, stattdessen sind ihre Muskelansätze untereinander verwoben. Dann ist ein isoliertes Aktivieren im Unterschied zur Skelettmuskulatur nicht möglich. Dies hat zur Folge, dass die Ansatzformung eine spezifisch differenzierte Kontrolle über die verschiedenen Muskelaktivierungen erfordert. Durch Training und Koordination der mimischen Gesichtsmuskulatur formt der Bläser den Ansatz. Es ist die Kontaktstelle zwischen Instrument und Körper, die durch den gleichzeitig erzeugten Luftsrtom den Klangerzeuger aktiviert und die die Luftsäule im Instrument und damit verbunden die umgebende Aussenluft in Schwingung versetztet. Bei der Ansatzformung sind folgende Muskeln involviert:
- Ringmuskel des Mundes, von aussen als Ober- und Unterlippe wahrnehmbar. Die Aktivierung verhindert das Austreten von Luft bei den Mundwinkeln und formt die Unterlippe als elastisches Kissen, auf welchem das Blatt aufliegt.
- (Backen- oder Trompetermuskel). Verhindert, dass durch den Luftdruck im Mund die Backen aufgeblasen werden. Er unterstützt die Zunge dabei, den Luftstrom zu fokussieren und auf das Blatt zu richten.
- „Niederzieher der Unterlippe“. Verhindert, dass sich die Oberlippe bei der Ansatzformung nicht nach vorne wölbt.
- Lachmuskulatur. Hilft die Lippen an die obere und untere Zahnreihe anzuschmiegen, sorgt im im Zusammenspiel mit dem orbicularis und dem depressor-anguli-oris für die Elastizität der Unterlippe.
- Mundwinkelherabzieher Reguliert den Druck, der von unten auf Blatt und Mundstück einwirkt, formt auch die Unterlippe zu einem elastischen Kissen.
- Mundwinkelheber. Wirkt wie alle oben genannten Muskeln als Stabilisator der Spannungen, da die mimische Muskulatur in vielen Fällen nicht an bestimmtem Knochen ansetzt um Gelenke zu bewegen, sondern untereinander verwebt ist.
Bei der heute üblichen Ansatzformung liegt das Blatt auf der Unterlippe auf. Durch Aktivieren des Ringmuskels des Mundes formt die Unterlippe ein Kissen, das sich an die untere Zahnreihe anschmiegt, und worauf das Blatt zu liegen kommt. Im Zusammenwirken von Oberlippe (ebenfalls Ringmuskulatur) und Trompetermuskel müssen nun die Mundwinkel geschlossen werden, um den Luftstrom fokussiert auf Mundstück und Blatt richten zu können.
Die Ansatzformung ist massgeblich an der Qualität von Ansprache, Artikulation, Klangfarbe und Dynamik beteiligt. Darüber hinaus entscheidet sie über die physiologische Ausdauer beim Spielen eines Blasinstrumentes. Der Ansatzdruck beeinflusst in entscheidendem Masse die Intonation.
Vokalformung durch Zunge und Mundinnenraum
Auch die Ausformung des Mundinnenraumes durch unterschiedliche Vokalformung und Atkivierung von Muskeln im Bereich des weichen Gaumens und des Mundbodens spielt eine wichtige Rolle bei der Ansatzformung. Analog zur Gesangstechnik ist die Vokalbehandlung auch bei der Ansprache und beim klanglichen Ausgleich zwischen den verschiedenen Registern ein wichtiger Faktor. (Siehe auch François Benda). Die Zungenstellung beeinflusst die Geschwindigkeit der druchströmenden Luft. Das hat wiederum andere Luftdruckverhälnisse zur Folge.
Ansatzdruck
Damit die durchströmende Luft das Klarinettenblatt in Schwingung versetzt, ist ein fein dosierter Ansatzdruck, welcher die Öffnung zwischen Klarinettenblatt und Mundstück verkleinert, notwendig. Folgende Faktoren können dazu eingesetzt werden:
- die Ansatzformung durch die mimische Gesichtsmuskulatur
- die Haltearbeit des Instrumentes, die durch leichteres oder stärkeres Heranführen des Instrumentes den Druck auf den Ansatz reguliert.
- Das Zusammenwirken des Musculus pterygoideus lateralis (lateinisch für seitlicher oder äußerer Flügelmuskel), der den Unterkiefer nach vorne zieht, mit dem Musculus_mylohyoideus, "Kieferzungenbeinmuskels" auch als Diaphragma Oris bezeichnet, der diese Bewegung nach unten richtet.
Ansatzlinie
Als Ansatzlinie wird die Stelle bezeichnet, an welcher das Blatt auf der Unterlippe aufliegt. Die Ansatzlinie bestimmt den Anteil des Klarinettenblattes, der frei schwingen kann. Da sich die Spitze des Klarinettenblattes nach vorne verjüngt und da gleichzeitig die Öffnung zwischen Blatt und Mundstück zur Spitze hin grösser wird, wirkt sich derselbe Druck je nach Lage der Ansatzlinie unterschiedlich auf das Schwingungsverhalten des Blattes aus.
Folgende Faktoren beeinflussen die Lage der Ansatzlinie:
- Durch eine geschlossenere Kieferposition verschiebt sich die Ansatzlinie nach oben, es schwingt dementsprechend eine kleinere Fläche des Blattes, durch eine eher geöffnete Kieferposition lässt sich in Kombination mit der Haltearbeit die Ansatzlinie weiter unten am Blatt platzieren.
- Durch gleichzeitiges Öffnen und nach vorne Schieben des Unterkiefers kann die Ansatzlinie weiter unten am Blatt platziert werden. Diese Technik sollte mit Vorsicht und entsprechend der individuellen Zahnstellung angewandt werden. (siehe François Benda und Keith Stein)
- Die Haltearbeit kann das ganze Instrument mehr oder weniger in Richtung Ansatz schieben.
- Die Ausmasse des Mundstückes: ein spitziger geformtes Mundstück hat zur Folge, dass bei gleichbleibender Öffnung des Unterkiefers mehr Mundstück in den Mund genommen wird.
In der Klarinettenschule von Joseph Fröhlich (1811) findet sich eine frühe Quelle, die je nach Tonhöhe eine unterschiedlichen Lage der Ansatzlinie empfiehlt:
„...dass man das Rohr ohne allen Zwang oder merkbaren Absatz immer tiefer bis fast an den Faden in den Mund nehme, indem man mit den Lippen immer fester drückt, ohne den Ansatz selbst zu ändern, denn das muss bloss das Werk der Lippen seyn.“
Diese Technik lehrte auch Gaston Hamelin, ein Vertreter der Alten Französischen Schule in den USA. Sein ehemaliger Student Joe Allard beschreibt den praktischen Nutzen einer flexiblen Ansatzlinie im Bereich dynamischer Abstufungen und bei der Ansprache in unterschiedlichen Registern Übungen mit Obertonen Flageoltetts in dieser Video. Auch Neidich verwendet diese Technik.
Er verbindet die Lage der Ansatzlinie mit den verschiedenen Registern: im Chalumeau und in der Mittellage liegt die Ansatzlinie weiter oben am Blatt, im Klarinregister etwas weiter unten und in der hohen Lage verschiebt sich diese Linie noch etwas weiter in diese Richtung[23]
Martin Spangenberg, Professor an der Hanns Eisler Musikhochschule in Berlin, gibt dazu folgenden Kommentar: "Die Ansatztechnik, bei welcher der Ansatz durch Druck gegen die oberen Zähne stabilisiert wird, findet bei vielen Klarinettisten erfolgreiche Anwendung. Damit verbindet sich Stabilität im Ansatzbereich. Ich halte es jedoch für notwendig, die Ansatzlinie entsprechend der gespielten Tonlage weiter oben oder weiter unten am Blatt platzieren zu können. Dies bedingt entsprechende Flexibilität bei der Positionierung des Mundstückes. Die Haltearbeit des Instrumentes wird so zum Teil der Ansatzformung, je nachdem wie weit das Mundstück in den Mund angesetzt wird, verschiebt sich die Ansatzlinie auf dem Blatt nach unten oder nach oben. Bei höheren Tönen liegt die Ansatzlinie weiter unten.“[24]
Literatur
- Adriano Amore: Ferdinando Sebastiani (1803-1860) und die Neapolitanische Klarinettenschule. rohrblatt, Juni 2008, S.58-59
- Collin Lawson, Ingrid Pearson:[16]The Early Clarinet: A Practical Guide. Cambridge University Press, 2000.
- Eric Hoeprich[17]: The Clarinet. Yale University Press, New Naven und London 2008.
Didaktische Methoden
Doppellippenansatz
James Campbell übernimmt die diadkitschen Prinzipien seines Lehrers Yona Ettlinger (Klangbeispiel) und nennt den Doppellippenanasatz den “idealen Ansatz”. Er lässt Tonübungen mit Doppellippenansatz spielen, um anschliessen die vorteilhafte Ausformung der Mundhöhle und die Kräftigung der Lippenmuskulatur auf den normalen Ansatz zu übertragen.
Beissen verhindern
In vielen Unterrichtswerken und Studien wird auf die fehlerhafte Druckerzeugung im Ansatzbereich durch die Kiefermuskulatur hingewiesen. Für den Anfänger ist es naheliegend, den notwendigen Druck auf das Blatt mit dem relativ viel stärkeren musculus masseter anstatt durch die um ein vielfaches schwächere Ringmuskulatur des Mundes (Ringmuskel des Mundes) zu erzeugen. Folge davon ist ein gepresster Ton und die hohe Lage lässt sich schlecht anspielen. Artikulation und Intonation lassen sich kaum kontrollieren.
Fehlende Unabhängigkeit von Ansatzformung, Vokalformung und Artikulation
Eine zuverlässige Ansprache, die Kontrolle über Intonation und Klangfarbe beruht weitgehend auf der Unabhängigkeit zwischen der Ansatzformung, der Vokalformung und der Zungenartikulation. Im Vergleich zum alltäglichen Artikulieren beim Sprechen bewegen sich Zunge, Unterkiefer und mimische Gesichtsmuskulatur frei und sind auf natürliche Weise miteinander verbunden. Das Artikulieren auf dem Blasinstrument erfordert Stabilität der Ansatzformung bei gleichzeitiger Flexibilität von Vokalformung und Zungenartikulation. Dies ist eine der Hauptschwierigkeiten, die es zu überwinden gilt und erfordert viel Übung. (siehe auch Übungen)
Historische Quellen
Die deutlich schlankeren Klarinettenmundstücke, die bis ca. 1810 üblich waren, liessen sich sehr gut mit Doppellippenansatz spielen (Siehe auch Albert Rice[25], Clarinet emboucures.) Der Doppellippenansatz beeinflusst die Zungenform und -Stellung wie auch die Ausformung der Mundhöhle: die Zunge rollt sich etwas nach oben, der Rachen öffnet sich. Diese Form vergrössert das Volumen der Mundhöhle. Die Zungenposition muss jedoch insofern verändert werden, dass die Zungenspitze zwecks leichter Artikulation bewusst in die Nähe der Blattspitze gebracht wird.
Als wichtige Quellen, in welchen die Spielweise mit Blatt nach unten, jedoch ohne Kontakt der oberen Zähne mit dem Blatt instruiert wurde, dienen Unterrichtswerke aus dem französischen und italienischen Sprachraum, so z.B. das "Traité" und die "Methode" von Frédéric Berr [26] (siehe auch Literaturliste). In der Méthode von Frédéric Berr findet sich auch ein wichtiger Hinweis betreffend Druck, der auf das Blatt ausgeübt wird: Um das Blatt frei schwingen zu lassen, sollten die Lippen das Blatt nur so fest umschliessen, dass bei den Mundwinkeln keine Luft austreten kann. Ein Betonen des Schliessens mit den beiden Mundwinkeln ist darüber hinaus ein Mittel, die Intonation nach unten zu korrigieren.
„La pression totale des deux lèvres sur le bec doit suffire à empêcher l’air de s’échapper par les coins de la bouche; si l’on augmentait maladroitement cette pression, l’anche trop comprimée ne pourrait plus vibrer.“
„Der gesamte Druck beider Lippen auf das Mundstück muss genügen, um zu verhindern, dass die Luft bei den Mundwinkeln austreten kann. Wenn man den Druck ungeschickterweise erhöht, wird das Blatt [an das Mundstück] gedrückt und kann nicht mehr vibrieren.“
Nach den erfolgreichen Konzerten Heinrich Baermanns in Paris und mit den Unterrichtswerken Frédéric Berrs etablierte sich das "Untersichblasen" in Paris. Berr ist aber weiterhin überzeugt, mit Doppellippenansatz die besten klanglichen Resultate zu erreichen. Er weist darauf hin, dass dies auch deshalb vorteilhaft ist, weil mit dem Unterkiefer kein Druck auf das Blatt ausgeübt wird. In seinem Traité hebt er die grossen Vorteile des Untersichblasens hervor, warnt aber vor dem Kontakt der oberen Zähne mit dem Mundstück:
„Ca permet une grande fléxibilté de dynamique; forte avec beaucoup de force, piano écho avec tant de douceur qu’ on aurait cru que les sons venait d’une salle voisine » (p.8)
(sur jeux de Baermann, 1808 à Pais) [...] Je conseillerai de tenir en garde contre une mauvaise habitude qui existe en Allemagne: c’est de mordre sur le bec. Ce défault donne une mauvaise qualité de sons, et nuit à la flexibilité de l’expression. (p. 8)“
„Das erlaubt eine grosse dynamische Flexibilität; das forte erklingt mit grosser Kraft, das piano echo ist so zart, dass man glaubte, der Ton käme aus einem benachbarten Zimmer. [...] Ich empfehle, sich vor einer schlechten Gewohnheit in Acht zu nehmen, die in Deutschland existiert: es handelt sich um das Beissen auf das Mundstück. Dieser Fehler hat eine schlechte Tonqualität zur Folge und zerstört die Flexibilität des Ausdrucks.“
Siehe auch:
Literatur
Unterrichtswerke, Artikel
- Johann Georg Heinrich Backofen
- Carl Baermann
- Frédérique Berr
- Gaetano Labanchi
- Jean-Xavier Lefèvre
- Keith Stein (google books)
- Bernard Portnoy
- Larry Guy: Embouchure Building for Clarinetists: A Supplemental Study Guide Offering Fundamental Concepts, Illustrations, and Exercises for Embouchure Development. Rivernote Press, 2011.
- Larry Guy und Daniel Bonade: The Daniel Bonade Workbook: Bonade’s Fundamental Playing Concepts, with Illustrations, Exercises, and an Introduction to the Orchestral Repertoire. Rivernote Press, 2007.
- David Pino: The Clarinet and Clarinet Playing. Courier Corporation, New York 1980, Neuauflage 2014. google books
- Keith Stein: Art of Clarinet Playing. Alfred Music Publishing, 1958. google books
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Campagnolo, Gianluca 2019. Prassi esecutiva e repertorio per clarinetto. Liberiauniversitaria, Padova[1]
- ↑ Hoeprich, Eric. "'Regarding the Clarinet': "Allgemeine Musikalische Zeitung", 1808." Early Music 37, no. 1 (2009): 89-99. Accessed July 9, 2020. www.jstor.org/stable/27655302.
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- ↑ David Shifrim: Gespräch mit Heinrich Mätzener, Yale University School of Music, 29. März 2014 (n.publ.)
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- ↑ Alber Rice: Clarinet Embouchurers . The Musical Times Vol. 124, No. 1689, English Music (Nov., 1983), p. 665 [12]
- ↑ Frédéric Berr: Traité complet de la clarinette A quatorze clés, Manuel indispensable aux personnes qui professent cet instrumente e celles qui l’étudient Duverger, Paris 1836. 'Méthode complète de clarinette. Leduc, Paris 1836
- ↑ Frédéric Berr: Traité complet de la clarinette A quatorze clés, Manuel indispensable aux personnes qui professent cet instrumente e celles qui l’étudient Duverger, Paris 1836. 'Méthode complète de clarinette. Leduc, Paris 1836
- ↑ Frédéric Berr: Traité complet de la clarinette A quatorze clés, Manuel indispensable aux personnes qui professent cet instrumente e celles qui l’étudient, S.8. Duverger, Paris 1836. 'Méthode complète de clarinette. Leduc, Paris 1836