Artikulation

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Dieses Seite beschreibt die instrumentaltechnischen Möglichkeiten, einen einzelnen Ton anzuspielen, oder mehrere aufeinanderfolgenden Töne aneinander zu reihen. Das Erklingen aufeinanderfolgende Töne, die durch keinerlei Pausen voneinander getrennt sind, wird im Kapitel Legato erläutert.
Die Artikulation bestimmt den physikalischen Einschwingvorgang eines Klanges. Dadurch ergibt sich ein direkter Zusammenhang von Artukulation und Klangfarbe. Zur Begriffserläuterung von Artikulation in der Musik siehe auch Wikipedia

Beiträge der Interviewpartner

Historische Quellen

Wie die Geschichte der Unterrichtsliteratur zeigt, war das heute übliche Artikulieren mit einer leichten Zungenbewegung am Blatt nicht immer die einzige Methode. Joseph Fröhlich (1811) erwähnt die das Artikulieren mit der Zunge, bevorzugt jedoch das Artikulieren „mit der Brust", verbunden mit dem Doppellipenansatz. Dabei soll die Spielart mit dem Blatt "ob er dem Kopfe" (die Oberlippe berührend) gepflegt werden, da auf diese Weise die Grundlage für einen "festen vollen Ton" gegeben ist. Auf die Weise sei es für den Bläser einfacher "mehr nach der richtigen Singmethode" vorzutragen, und "zu nuancieren, alle Schattierungen im Ausdruck zu geben". Gleichzeitig fordert Jean-Xavier Lefèvre (1802) - bei gleicher Anblasart wie Fröhlich - grundsätzlich bei jedem Toneinsatz einen "coup de langue" (Zungenschlag). Um genügend Agilität und Ausdauer zu erreichen, ist von der Technik, durch eine zitternde Bewegung der Kehle oder der Brust („faire agir par secousse, le gausier ou la poitrine") zu artikulieren, abzusehen.

Johann Georg Heinrich Backofen (1803)[1] wiederum möchte es der Entscheidung jedes Einzelnen überlassen, ob mit Einfachem- oder Doppellippenastz gespielt wird, auf ob "über" oder "unter sich geblasen" wird. Er erwähnt drei verschieden Artikulationsarten: mit der Zunge. mit den Lippen [durch Schliessen und Öffnen der Kieferstellung] oder mit der Kehle. Um die musikalisch besten Resultate zu erreichen, empfiehlt Heinrich Backofen das differenzierte Artikulieren mit der Zunge:

„Der Zungenstoss wäre also, so wie bei allen übrigen Blasinstrumenten, der beste, unerachtet er anfangs auf der Klarinette der schwerste ist, weil dei Zuge durch den Schnabel, der den Mund ziemlich füllt, sehr geniert ist. So wie aber die vorerwähnten Klarinettisten gern alles Schleifen (binden), so missbrauchen letztere auch die Zunge und tragen manchmal sanfte sangbare Stellen durch diesen Missbrauch raus vor. Mich dünkt, nur rasche muntere Sätze wären für sie geeignet. Überhaupt muss der Charakter, der Geist, die Bewegung des musikalischen Satzes selbst zur besten Richtschnur dienen, wie ihn der Klarinettist in Ansehung der Zunge vorzutragen hat. Denn nicht bei jeder Note kann der Komponist anzeigen, wie er sie behandelt haben will, er muss auch etwas dem Gefühl des Musikers zutrauen.“

Johann Georg Heinrich Backofen: Anweisung S.12[1]

Ferdinando Sebastiani in seiner Klarinettenschule[2] (1886) weist ebenfalls im Zusammenhang mit der Blattposition auf die Wichtigkeit variierter Artikulationsarten auf der Klarinette hin. Im Gensatz zu Fröhlich ist er aber der Meinung, dass das „Übersichblasen" die Variabilität der Artikulation einschränkt und dass sich die Artikulationsart beim „Untersichblasen" besser variieren lässt.

So ist es [beim Übersichblasen] nur möglich, das Battuto zu spielen, während Picchettato, Stakkato und andere Farben, die den Wert der Klarinette ausmachen, nicht möglich sind.

Ferdiando Sebastiani: Metodo per Clarinetto.[2]. (Übersetzung Adriano Amore)

Frédéric Berr (1836) [3] gibt uns in seiner "Methode" einen wertvollen Hinweis zur Ausführung der Artikulation der Zunge am Klarinettenblatt:

„Pour exprimer le bruit produit par ce coup de langue, on dit à tort, que celui qui exécute fait entendre les syllabes TU TU. On pourrait peindre l'action de la langue en disant qu' elle semble rejeter de la bouche un bout de fil lorsque'elle dirige l'air dans l'instrument.»“

„Das Geräusch, das die Zunge beim Artikulieren am Blatt hervorruft, beschreibt man fälschlicherweise mit Tu Tu. Man könnte die Aktion, welche die Zunge beim Artikulieren am Blatt ausführt, wie folgt umschreiben: Die Zunge bewegt sich auf dieselbe Weise, wie wenn sie ein Stückchen Faden aus dem Mund expulsieren möchte. Dies erfolgt im selben Moment, in welchem die Zunge die Luft ins Instrument leitet.“

Frédéric Berr: Méthode[3]

Eine ähnliche Übung ohne Instrument beschreibt Paolo Beltramini


Voraussetzungen

Atmung, Luftführung und Ansatz

Die meisten der heute gebräuchlichen Methoden des Klarinettenspiels beschreiben das Artikulieren als eine kleine Abwärtsbewegung der Zungenspitze, weg vom Blatt. Bevor diese Zungenbewegung erfolgt, muss hinter (örtlich) der Zunge der Luftdruck für die Klangerzeugung bereitgestellt werden. Unabdingbar für ein kunstvolles, sauberes und variantenreiches Artikulieren ist demnach das Beherrschen einer kontinuierlichen Luftführung. Zweite, ebenso wichtige Voraussetzung ist eine von der Zungenbewegung unabhängigen Ansatzformung.
Larry Guy (2016) fasst es so zusammen [4]:

„Since good articulation is dependent upon air support and embouchure as much as the exact use of the tongue, an in-depht study of articulation should be preceded by a thorough review of its two-part foundation: air support and embouchure.“

„Da eine gute Artikulation sowohl von Atemstütze und Ansatz als auch vom exakten Gebrauch der Zunge abhängt, sollte einer gründlichen Analyse der Artikulation eine eingehende Betrachtung der beiden Grundlagen Atemstütze und Ansatz vorausgehen.“

Larry Guy: Artikulation Development for Clarinetists[4]


Keith Stein (1958)[5] ist der Überzeugung, dass ein Artikulieren mit der Zunge erst dann erfolgreich erlernt und ausgeführt werden kann, nachdem Toneinsatz und Tonende ausschliesslich durch modifizieren der Luftführung beherrscht werden können. In der nachfolgend beschriebenen Übung wir das Verklingenlassen des Tones - nicht als diminuendo al niente, sondern als ein Ton, der im mf endet geübt. Diese Tonübung dient dazu, den Toneinsatz und das Tonende bewusst mit der Luft zu steuern und währenddessen den für ein optimales Klangergebis besten Ansatz und die beste Zungenstellung zu finden und unverändert zu lassen. Erst wenn diese beiden Parameter beherrscht werden, soll die Zunge für das Artikulieren eingesetzt werden. Wichtig: der Ton darf keinesfalls durch eine Schliessen des Kiefers oder durch ein Schliessen der Glottis gestoppt werden. Wie sich zeigt, ist dies gleichzeitig eine Übung zum Training der Atemstütze.

„Set the tone in motion from a deeply-blown "hee" (with no aid from tongue). Then project the sound to the length of the clarinet. Release can now be started by reducing the amount of air flowing through the clarinet while fully maintaining the muscular push behind the breath until the air quantity is reduced beyond the point where it will vibrate the reed.“

„Setze den Ton nach tiefem Einatmen mit einem kräftigen "hii" an (ohne Hilfe der Zunge). Projiziere dann den Ton durch die Klarinette [bis zum letzten noch geschlossenen Tonloch]. Das Verklingen des Tones wird nun erreicht, indem die durch zum Ansatz geführte Luftmenge kontinuierlich reduziert wird. Währenddessen bleibt der muskuläre Schub "hinter" der Ausatmung solange vollständig aufrechterhalten bis, die abnehmende Luft das Blatt nicht mehr in Schwingung versetzen kann.“

Keith Stein: The Art of Clarinet Playing[5]

Alle Interviewpartner betonen, dass das Know-How und die von der Artikulation unabhängige Kontrolle über Luftführung, Atemstütze und Ansatzformung unabdingbare Voraussetzungen für ein gutes Staccato sind. Praktisch bedeutet dies, dass ein gelungnes Artikulieren nur auf der Basis eines schönen Legatospiels möglich ist (Pascal Moraguès).
Sylvie Hue lässt deshalb ihre Schüler Staccato- immer in direktem Wechsel mit Legatopassagen spielen.
Heinrich Mätzener weist auf eine Schwierigkeit hin, die es zu erkennen und zu beherrschen gilt: Während die an Luftführung und Atemstütze beteiligten Muskeln viel Kraft entwicklen dürfen und sollen, agiert die Zunge immer mit äusserst geringem Druck gegen das Blatt.

Vokalisierung

Michel Arrignon und David Shifrin erwähnen, dass bei der Zungenartikulation neben der Ansatzstabilität auch quasi eine Stabilität der Zungenposition antrainiert werden muss. Bevor man sich an die Arbeit eines gut kontrollierten détaché vornimmt, ist es unabdingbar, eine klangliche Homogeniät d.h. eine gleichmässige Ansprache der Töne, in gleichmässiger dynamischer und farblicher Gestalt im Legato realisieren zu können - eine Herausforderung nicht nur für den Studenten, sondern auch für den Lehrer. David Pino (1980)[6] empfiehlt, das Artikulieren mit der Zunge im Unterricht erst dann zu thematisieren, nachdem Ansatz, Atmung und Abspann grundsätzlich beherrscht werden. Ergänzend dazu betont James Campbell, dass eine sauberes Einschwingen des Klanges nur mit einer seiner Tonhöhe entsprechenden Luftgeschwindigkeit garantiert werden kann. Die Zungenspitze muss vor der Artikulation oder bei einer ausgehaltenen Note am Blatt nach vorne-oben gerichtet sein. Beobachtet man, welchen Vokal die Zunge dabei formt, folgt man Ernst Schlader Anweisung: um eine klarere Ansprache zu erreichen sollte die Zunge anstatt "da" oder "ta" ein "de" oder "te" aussprechen.
Noch einen Schritt weiter geht Harri Mäki: er empfiehlt, um eine gute Ansprache garantieren zu können, eine der Tonhöhe entsprechende Zungenposition bereits beim Einatmen einzunehmen.

Zungenspitze an Blattspitze

Zur Frage, wie sich Zunge und Blatt berühren, gibt es verschiedene Lehrmeinungen. "Zungenspitze an Blattspitze" ist das Konzept der Alten Französischen Schule. In der ersten Hälfte des 20.Jh. wird diese Methode von Daniel Bonade(1961)[7] in den USA vertreten, und heute noch von vielen Amerikanischen Pädagogen wie Larry Guy (2016)[8], David Pino (1980)[9] oder Michele Gingras (2017)[10] weitergeführt. Die Schwierigkeit dieser Technik liegt darin, dass die Luftführung relativ strake Muskelaktivität erfordert, gleichzeitig muss die Zunge äusserst sensibel und mit fein dosierter Kraft an der Blattspitze agieren. Grundsätzlich sollte die Zunge immer quasi piano agieren, auch wenn die Luftführung ein forte-Dynmaik ausübt (siehe Heinrich Mätzener)

Gaston Hamelins (1884 – 1951) Schüler Joseph Allard (1910 - 1991) gab in seinem Unterricht viele differenzierte Anweisungen über die Zungenposition und -Bewegung weiter. Debra McKims fasst sie in ihrer Dissertation[11] zusammen. Folgende Zitate daraus zeigen auf, dass Joseph Allard bei seinen Betrachtungen auch die Unterschiede verschiedener Sprachen einbezieht, sowie nationale Schulen und die damit verbundenen unterschiedlichen Mundstück/Blatt-Kombinationen:

„Whatever you do, don't say tu like the Americans, but say teu.
The French [teu]vowel maintains a high tongue, with the tip of the tongue dropping only to the level of the upper teeth. It also creates a small space at the front of the oral cavity. In the English pronunciation, the tongue drops well below the upper teeth and creates a larger cavity at the front of the mouth. Both pronunciations maintain a high placement with the back of the tongue. Hamelin of course, advocated the French syllable, which shaped the oral cavity into what he called a "forward coning" position. [...] In tongue position, "forward coning" is defined by an oral cavity that is small in the front and large in the back. In antithesis to this, Hamelin pointed to the accepted German school of clarinet playing: [...] "The Germans have a long lay in their mouthpieces and use heavy reeds. The pressure that's exerted is. .. well over an inch away from the edge of the reed so the mouthpiece goes quite far in the mouth. The tongue, in order to make room for the reed, has to go away from the roof of the mouth, leaving the front cavity of the mouth very large which forces the back of the mouth to be small". Hamelin referred to this as reverse coning.
The words and consonants which Allard used with students in this concept varied, but the end physical result remains the same - the back of the tongue touches the upper molars, the back of the oral cavity remains large, and the front of the oral cavity is narrow.“

„Was auch immer Sie tun, sagen Sie nicht tu wie die Amerikaner, sondern sagen Sie tiü.
Der französische Vokal behält eine hohe Zungenposition, wobei die Zungenspitze [beim Artikulieren] nur bis zum Niveau der oberen Zähne abfällt. Sie schafft auch nur einen kleinen Raum an der Vorderseite der Mundhöhle [welchen die Luft passieren muss]. Bei der englischen Aussprache fällt die Zunge weit unter die oberen Zähne ab und schafft einen größeren Hohlraum an der Vorderseite des Mundes. Beide Aussprachen behalten eine hohe Position mit dem hinteren Teil der Zunge bei. Hamelin befürwortete natürlich die französische Silbe, die die Mundhöhle in eine, wie er es nannte, "vorwärts kegelförmige" Position brachte. [...] In der Zungenposition wird "vorwärts kegelig" durch eine Mundhöhle definiert, die vorne klein und hinten groß ist. Als Antithese dazu verwies Hamelin auf die anerkannte deutsche Schule des Klarinettenspiels: [...] "Die Deutschen haben eine lange Bahn in ihren Mundstücken und verwenden schwerere Blätter. [Die Ansatzlinie] liegt ... weit unter einen Zentimeter vom Rand des Blattes entfernt, so dass das Mundstück ziemlich weit in den Mund hineingenommen werden muss. Die Zunge muss, um Platz für das Blatt zu schaffen, sich vom Gaumen entfernen. So bleibt die vordere Mundhöhle sehr groß und der hintere Teil des Mundes muss klein sein". Hamelin bezeichnete dies als umgekehrt kegelgförmige Mundhöhle. [...]
Die Wörter und Konsonanten, die Allard bei diesem Konzept mit Studenten verwendete, variierten, aber das physische Endergebnis bleibt dasselbe - die Rückseite der Zunge berührt die oberen Backenzähne, der Hintere Raum der Mundhöhle bleibt groß, und die Vorderseite der Mundhöhle ist eng.“

Debra McKim: Joseph Allard: his contributions to saxophone pedagogy and performance.[11]



François Benda empfiehlt, sich zuerst mit dieser Technik als Grundlage auseinanderzusetzen und sie dann je nach individueller Morphologie und je nach musikalischem Zusammenhang zu modifizieren. Dieser Ansicht vertritt auch Philippe Cuper.
Steve Hartman beobachtet, dass er mit der Technik "Zungenspitzte zur Blattspitze" mehr Ausdauer bie schnellen Staccatostellen hat.
Michel Arrignon hält die Technik "Zungespitze an Blattspitze" als beste Methode für eine klare, leichte Artikulation. Es ist ergibt sich eine reflexartige, sehr kleine Bewegung der Zunge, weg vom Blatt (siehe Sylvie Hue, trémolo).

Einen sehr einfachen Einstieg zur Technik "Zungespitze an Blattspitze" stellt Alicia DeSoto vor:

Alicia DeSoto Übung "Zungenspitze an Blattspitze"

Alicia DeSoto lässt einen Tona nur mit dem Mundstück auf dem Fässchen, mit Blatt gegen oben, ablasen. Das Blatt liegt an der Oberlippe, das Mundstück auf der Unterlippe, so wie dies in der Frühzeit der Klarinette und in Italien auch noch weit bis ins 19. Jh. Usus war. Man muss dabei den Anblaswinkel etwas anpassen und das Mundstück auch etwas mehr wie gewohnt in den Mund nehmen. Wenn nun die Vibration des Blattes zu stark auf der Oberlippe kitzelt, ist dies ein Zeichen, dass der Ansatz zu locker geformt ist. Die Lippen müssen zu einem elastischen Kissen geformt und sich dichter an die Zähnen anschmiegen. Zur Unterstützung kann Mundstück mit der Hand auch etwas mehr gegen den Ansatz geführt werden. So ist dies gleichzeitig eine Übung für die Ansatzformung. Die Zunge kann nur an der Blattspitze artikulieren, wenn sie hoch genug in der Mundhöhle platziert ist. die Zunge kann auf diese Weise nur die Blattspitze berühren. Wenn man mit der Zunge zu weit unten oder mit einer zu grosser Zungenfläche artikulieren möchte, wird man nicht das Blatt, sondern unbeholfen das Mundstück berühren. Es ist auch möglich, auf diese Weises einet Ton anzustossen. Dies hört sich jedoch etwas schwerfälliger asn. Als Test kann im Moment der Berührung der Mund geöffnet und die Zunge herausgestreckt werden, so kann vor einem Spielgel beobachtet werden, wo die Berührungsstelle liegt. Merke nun Position, Form und Bewegung von "Zungenspitze an Blattspitze", drehe das Mundstück um und artikuliere mit der Zunge auf genau dieselbe Art. Intonation und Klarheit der Artikulation werden sich so verbessern. Die Tonhöhe, die mit Mundstück und Fässchen erklingen soll, ist ein Fis1.

Modifikationen und Variabilität der Artikulation

Um die Artikulation mehrerer aufeinander folgender Töne darzustellen, stehen in der Notenschrift folgende Zeihen zur Verfügung: mit einem Bogen, unter oder über der Tongruppe, wird das Legato dargestellt, nur die erste Note ist artikuliert, die folgenden werden dich aneinander gebunden (bis ins 18. Jh. verwendete man dazu auch den Begriff "schleifen"). Das non Legato verwendet keine Zeichen unter den Noten, und vom tenuto ( - ), portato (Punkte unter dem Bogen) staccato (.) bis hin zum und staccatissimo (') werden die Noten immer deutlicher voneinander getrennt. Die Artikulationspausen zwischen den Tönen werden länger, der Klang der einzelnen Noten kürzer. Diese Notationsarten müssen immer im aktuellen Zusammenhang gelesen und dementsprechend interpretiert werden. Zusätzlich können der dynamische Verlauf des Tonbeginns, der Tondauer und des Tonendes unterschiedlich gestaltet werden. Es ist die Aufgabe des Interpreten, unterschiedliche Notationsarten je nach musikalischem Zusammenhang zu lesen und durch die passenden Artikulationsarten hörbar zu machen. Es gibt verschiedene Meinungen, mit welchen spezifischen Musizierbewegungen die Zunge musikalischen Notation umzusetzen kann.
Sylvie Hue lässt Staccatopunkte nicht kurz, sondern klingend spielen. Kurze, trockene Staccati, wie in der Schule von Ulisse Delécluse noch gefordert, sind heute aus der Mode gekommen.
Wie Heinrich Backofen (1803)[1] hebt auch Carl Bärmann (1861) [12] die künstlerisch-interpretatorische Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen Artikulationsarten hervor und fasst es in folgende Worte:

„Diese angegebene Stricharten erleiden wieder unter sich verschiedene Modifikationen, welche durch den Charakter der vorzutragenden Stellen bedingt und mehr oder weniger von dem feinen Gefühl und Verständnis des Vortragenden abhängig sind. Der Schüler halte sich jedoch genau an die vorgeschriebenen Bezeichnungen und mache sich zum festen unumstösslichen Grundsatz, alles auf möglichst vollkommene Art zu bringen, keinen Fehler hingehen zu lassen und vor allem nie mit sich selbst zufrieden zu sein, denn die Kunst ist lang und das Leben ist kurz.“

Carl Baermann: Clarinett-Schule S.28[12]

Ernst Schlader und François Benda empfehlen den Gebrauch verschiedener Konsonanten (de, di, da, te, ti ta ,the, ze li ni ,etc.). Joseph Alard differenziert die Zungenstellung beim Berühren des Blattes und während des Erklingen eines Tones als beschreibt den Vorgang der Zungen Bewegung als "diü".

James Campbell empfiehlt "just below the tip of the reed with just behind the top of the tip of the tongue", ist aber wie auch Philipe Cuper und Sylvie Hue der Überzeugung, dass die individuelle Morphologie schliesslich bestimmt, an welcher Stelle die Zunge das Blatt berührt.

David Shifrin und John Moses modifizieren die Berührungsstelle je nach musikalischem Zusammenhang "die Zunge berührt das Blatt bis bis 2mm unter der Spitzte". Auch die Grösse der der Fläche, welche von der Zunge berührt wird kann sich je nach Zusammenhang und erwünschtem Effekt ändern.

François Benda verfolgt dieselben Ziele und wählt unterschiedliche Berührungspunkte zwischen Zunge und Blatt je nach musikalischem Ausdruck. Je Kürzer der Ton abgestossen werde soll, desto mehr Fläche des Blattes und der Zunge stehen in Kontakt. Wenn die Artikulation leicht sein soll, darf mit der Zungenspitze nur die Blattspitze berührt werden. Er empfiehlt auch, je nach Morphologie und Zahnstellung den Anblaswinkel anzupassen um eine gutes Resultat erreichen zu können.

Eli Eban differenziert die Stelle, an welcher die Zunge das Blatt berührt. Durch das Artikulieren etwas unterhalb der Blattspitze kann der Ton klarer beendet werden, wenn ein "Nachschwingen" des Blattes nicht erwünscht ist. Als ehemaliger Student von Yona Ettlinger pflegte er auch die Technik, die Blattschwingung etwas verzögert freizugeben, erst nachdem sie die Vibration des Blattes auf der Zunge wahrgenommen worden ist. Das ist eine gute Übung, sich für den Druck der Zunge auf das Blatt zu sensibilisieren und diese Sensibilität wiederum an der Blattsitze für das Verklingen eines Tones anzuwenden zu können (siehe auch Das Verklingen eines Tones)

Pascal Moraguès ermutigt dazu, dem musikalischen Kontext gerecht zu werden und alle dazu geeigneten Artikulationsarten anzuwenden. Ausserdem sind Raumakustik und Grösse des Kozertsaales ebenso wie Textur und Instrumentierung zu berücksichtigen. Um spieltechnisch dei passenden Schattierungen zu realisieren, sind unterschiedliche Berührungsstellen der Zunge am Blatt zu wählen: ganz an der Spitze, etwas weiter unten oder auch auch nur eine Ecke des Blatters mit der Zunge zu berühren kann sehr gute und passende Resultate hervorbringen.

Das Verklingen des Tones

Wie auch der Beginn, so sollte auch das Verklingen jeder Note künstlerisch gestaltet werden. Leopold Mozart (1756) beschreibt dies in seiner Violinschule:

„Jeder auch auf das Stärkste ergriffene Ton hat vor sich eine kleine obwohl kaum merkliche Schwäche vor sich: sonst würde es keine Ton, sondern nur ein unangenehmer und unverständlicher Laut seyn. Eben diese Schwäche ist an dem Ende indes Tones zu hören. Man muss also den Geigenbogen in das Schwache und Starke abzuteilen, und folglich durch Nachdruck und Mässigung die Töne schön und rührend vorzutragen wissen.“

Leopold Mozart: Violinschule[13]

Alain Damiens nimmt diesen Gedanken auf und dämpft die Schwingung des Blattes durch feines Berühren der Zunge ab. Auf diese Wiese lässt sich das Nachklingen eines Streicher pizzicatos im Korpus des Instrumentes imitieren. Auch Pascal Moraguès bedient sich dieser Technik, besonders im Zusammenspiel mit Streichern imitiert er deren détaché imitiert. Er lässt das Blatt weiter vibrieren indem er es mit der Zunge nur an einer Ecke berührt. Das Blatt hat so genügend freie Fläche weiter zu schwingen.
Heinrich Mätzener praktiziert ausserdem auch ein durch eine "federnde" Luftführung gesteuertes Verklingen des Tones.

François Benda verfolgt hier einen anderen Weg, ähnlich wie es bei Hornisten Usus ist: der Ton wird mit einer Berührung der Zunge am Blatt gestoppt.

Der Bewegungsablauf der Artikulation

Larry Guy (2016) beschreibt en Bewegungsablauf der Artikulation wie folgt[4]:

  1. Form the embouchure, with a long chin,lips hugging the teeth.
  2. Take a deep breath.
  3. Insert the mouthpiece, with reed sliding against the firm lower lip.
  4. Touch the tongue to the reed.
  5. Blow a little air, and feel it behind the tip of the tongue, there will be no sound.
  6. Drop the tongue down a very small distance from the reed to start the sound.
  7. Think of the syllable "tu"

Übersetzung:

  1. Bilde den Ansatz, achte auf ein langes Kinn, schmiege die Lippen eng an die Zahnreihen an.
  2. Atmen tief ein
  3. Setze das Mundstück an, wobei das Blatt entlang der fest geformten Unterlippe gleitet.
  4. Bringe die Zunge [Zungenspitze] zum Blatt.
  5. Beginne mit der Ausatmung achte auf das Entstehen eines gewissen Luftruckes, nimm diesen hinter der Zungenspitze wahr. Es gibt noch keinen Ton.
  6. Lassen Sie die Zunge in einem sehr kurzen Abstand von der Zunge nach unten fallen, um den Ton zu beginnen.
  7. Denken dabei an die Silbe "tü".

Heinrich Mätzener kombiniert je nach musikalischen Differenzierungen die Luftführung mit der Zungenbewegung.


Und nur die Zungenspitze bewegt sich!

Davi Shifrinund John Moses achten darauf, dass die Zunge nach der Artikulation nie in den Rachen zurück fällt, sondern immer möglichst nahe bei der Blattspitze bleibt, also eine möglichst kleine Bewegung ausführt. Die Stärke und der Druck, den die Zunge auf das Blatt ausübt, lässt sich mit einer kleinen Bewegung besser kontrollieren. Ausserdem beschleunigt eine nach vorne und oben gerichtete Zungenspitze den Luftstrom und begünstigt dadurch die Ansprache.
Alain Damiens, Sylvie Hue, Steve Hartman und Heirich Mätzener weisen darauf hin, dass sich bei dieser Artikulationstechnik nur die Zungenspitze, und zwar in minimaler Distanz bewegt. Der hintere Teil der Zunge öffnet und formt den Innenraum der Mundhöhle aus und und bleibt, ob eine Note ausgehalten oder artikuliert wird, in tiefer, den Rachen öffnende Stellung. Dabei ist, anatomisch betrachtet, die Aktivierung des Musculus mylohyoideus mit im Spiel.

Keith Stein (1958)[5] fasst es in diese Worte:

„Good tonguing, however, results from tongue placement well up front nearly touching the reed, from which position it does not move away either in action tor in repose. The tongue tips falls away just enough to clear the vibritaing reed and does not operate forward and backward like piston. There distance or orbit wich the tongue tip moves is so slight that it feels more like a muscular "tish" than an actual movement.“

„Eine gute Zungenartikulation ergibt sich dadurch, dass die Zunge weit vorne platziert wird und das Blatt fast berührt. Diese Position bei Aktion und Ruhe der Zunge praktisch identisch. Die Zungenspitzen fällt gerade so weit hinunter, dass das schwingende Batt frei wird, und arbeitet nicht wie ein Kolben vorwärts und rückwärts.Der Abstand oder die Bahn, auf der sich die Zungenspitze bewegt, ist so gering, dass sie sich eher wie ein muskulöser "Reflex" anfühlt als eine tatsächliche Bewegung.“

Keith Stein: The Art of Clarinet Playing[5]

Wie McKim (2007)[11] in ihrer Dissertation über Joseph Allard berichtet, sollte die Abwärtsbewegung der Zungenspitze nicht weiter als bis zur Höhe der oberen Zähne reichen.
Sein Schüler John Moses unterstreicht, das die Zunge durch ein Wegziehen vom Blatt dessen Schwingung freigibt, und dass die Zunge nach der Artikulaitonsbewegung nie in der Rachen zurückfallen darf.

Weitere Varianten der Artikulation

Michel Arrignon: ein Ton kann nur durch die Luftführung und ohne Zungenartikulation angespielt werden. Dies kann je nach musikalischem Zusammenhang sehr gute Resultate hervorbringen.
Alain Damiens: Die Zunge berührt nicht das Blatt, sondern "stösst" gegen die Unterlippe, welche dann durch erhöhten Druck die Schwingung des Blattes stoppt. Diese Artikulationsart hatte er bei seinem ersten Lehrer gelernt, wurde aber erst später zum Thema im Unterricht, was ein Umlernen zur Figge hatte.
Um heikle Toneinsätze im oberen Klarinregister zu beherrschen, kann die Zungenspitze auch nur eine Ecke der Blattspitze berühren. Diese Praxis üben Eli Eban und Pascal Moraguès aus.

Alain Billard: Auch ein Schliessen des Unterkiefers, um die Schwingung des Blattes mit dem Ansatz abzudämpfen - in vielen Schulen strikte abgelehnt - kann insbesondere bei Bass- und Kontrabassklarinette sinnvoll sein.
James Campbel erwähnt noch die Möglichkeit, uns zu artikulieren mit der Zunge entlang der Blattspitze von links nach rechts zu wedeln (siehe auch Articulation types, Kornel Wolak)

Anker-Technik

Peter Hadcock (1999)[14] beschreibt die Technik, mit der Zunge an der unteren Zahnreihe, oder an der Unterlippe anzulehnen und mit einer Stelle auf dem Zungenrücken am Blatt zu artikulieren. Da die Zunge "anlehnen" kann, sei es einfacher, sehr schnell zu artikulieren, auch würde die Zunge, da nicht an der Blattspitze anschlagend, weniger Anblasgeräusche verursachen und schliesslich würde die Zunge dem Luftstrom "nicht im Wege" stehen. Peter Hadcock stellt die ausschliessliche Lehre der Technik "Tip of the tongue to the top of the reed" in Frage, gibt es doch immer wieder sehr gute Resultate auch mit anderen Artikulationsarten.
Alain Billard und Gerald Kraxberger spielen erfolgreich mit Anker-Technik.
Gerald Kraxberger weist darauf hin, wie entscheidend es ist, wann die Weichen für die eine oder andere Technik gestellt werden. Die Anker-Technik lässt sich, nachdem sie viele Jahre praktiziert worden ist, kaum mehr umstellen. Im Anfängerunterricht sollte der Lehrer sorgfältig darauf achten, wie der Anfänger artikuliert. Die Ankertechnik ist für viele Anfänger wahrscheinlich natürlicher und wird deshalb intuitiv angewendet. Was aber der "Zungenspitze zur Blattspitze"-Technik gemeinsam ist: für ein gutes Resultat darf auch mit dem Zungenrücken nur eine möglichst Kleien Fläche des Blattes berührt werden.
Eli Eban sieht keine Möglichkeit, die Anker-Technik gleichzeitig mit einer auf Voklaisierung ausgerichteten Spielweise zu verbinden. Die auf Vokalisierung aufbauende Spielweise zielt darauf ab, durch variable Zungenpositionen die Luftgeschwindigkeit zu modifizieren und dadurch Ansprache, Intonation und Klangfarbe je nach Tonlage zu optimieren. David Shifrin gibt Neustudierenden mit Anker-Technik die Empfehlung für ein Umlernen ab, ohne jedoch darauf zu beharren. Harri Mäki würde einem mit Anker-Technik erfolgreich spielendem Student das Umlernen nicht empfehlen.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Backofen, Johann Georg Heinrich, and Karl Ventzke. 1986. Anweisung zur Klarinette nebst einer kurzen Abhandlung über das Basset-Horn. Celle: Moeck eproint der Asigabe Leipzig 1803)
  2. 2,0 2,1 Ferdinando Sebastiani: Metodo Progressivo per Clarinetto. Napoli 1886, S.7. Zitiert nach Adriano Amore: Ferrindando Sebastiani (1803-1860) und die Neapolitanische Klarinettenschule, in das rohrblatt, Juni 2008, S.58-60.
  3. 3,0 3,1 Frédéric Berr: Méthode complète de Clarinette adoptée au Conservatoire de Musique de Paris, p 14 Paris 1836.
  4. 4,0 4,1 4,2 Guy, Larry. 2018. Articulation development for clarinetists: including exercises and passages from the orchestral and chamber music repertoire, with a demonstration CD
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Stein, Keith. 1958. The art of clarinet playing. Evanston, Ill: Summy-Birchard [1]
  6. David Pino: The Clarinet and Clarinet Playing. Dover Publications, Mineola, New York 2014. Chapter 10 teaching other Clarinetists [2]
  7. Bonade, Daniel. 1962. The clarinetist's compendium: including method of staccato and art of adjusting reeds. Kenosha, Wis: Leblanc Publications. [3]
  8. Guy, Larry. 2018. Articulation development for clarinetists: including exercises and passages from the orchestral and chamber music repertoire, with a demonstration CD.
  9. David Pino: The Clarinet and Clarinet Playing. Dover Publications, Mineola, New York 2014. Tonguing, p.150.[4]
  10. Gingras, Michèle. 2017. Clarinet secrets: 100 performance strategies for the advanced clarinetist. New York, London. p.13 [5]
  11. 11,0 11,1 11,2 McKim, Debra Jean. 2007. Joseph Allard: his contributions to saxophone pedagogy and performance.[6]
  12. 12,0 12,1 Baermann, Carl (1861): Vollständige Clarinett-Schule: von dem ersten Anfang bis zur höchsten Ausbildung des Virtuosen; Ertser Theil Op.63. Johann André, Offenbach/Main 1861. Bayerische Staatsbibliothekdigital
  13. Mozart, Leopold, 1756. Versuch einer gründlichen Violinschule / Leopold Mozart. - Faks.-Reprint der 1. Aufl. 1756 hrsg. von Greta Moens-Haenen. - Kassel [etc.] : Bärenreiter, 1995
  14. Hadcock, Peter, Bruce Ronkin, Aline Benoit, and Marshall Burlingame. 1999. The working clarinetist: master classes with Peter Hadcock. Cherry Hill, NJ: Roncorp, p. 166