Artikulation

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Dieses Seite beschreibt die instrumentaltechnischen Möglichkeiten, einen einzelnen Ton anzuspielen, oder mehrere aufeinanderfolgenden Töne aneinander zu reihen. Das Erklingen aufeinanderfolgende Töne, die durch keinerlei Pausen voneinander getrennt sind, wird im Kapitel Legato erläutert.
Die Artikulation bestimmt den physikalischen Einschwingvorgang eines Klanges. Dadurch ergibt sich ein direkter Zusammenhang von Artukulation und Klangfarbe. Zur Begriffserläuterung von Artikulation in der Musik siehe auch Wikipedia

Beiträge der Interviewpartner

Historische Quellen

Wie die Geschichte der Unterrichtsliteratur zeigt, war das heute übliche Artikulieren mit einer leichten Zungenbewegung am Blatt nicht immer die einzige Methode. Joseph Fröhlich (1811) erwähnt die das Artikulieren mit der Zunge, bevorzugt jedoch das Artikulieren „mit der Brust", verbunden mit dem Doppellipenansatz. Dabei soll die Spielart mit dem Blatt "ob er dem Kopfe" (die Oberlippe berührend) gepflegt werden, da auf diese Weise die Grundlage für einen "festen vollen Ton" gegeben ist. Auf die Weise sei es für den Bläser einfacher "mehr nach der richtigen Singmethode" vorzutragen, und "zu nuancieren, alle Schattierungen im Ausdruck zu geben". Gleichzeitig fordert Jean-Xavier Lefèvre (1802) - bei gleicher Anblasart wie Fröhlich - grundsätzlich bei jedem Toneinsatz einen "coup de langue" (Zungenschlag). Um genügend Agilität und Ausdauer zu erreichen, ist von der Technik, durch eine zitternde Bewegung der Kehle oder der Brust („faire agir par secousse, le gausier ou la poitrine") zu artikulieren, abzusehen.

Johann Georg Heinrich Backofen (1803)[1] wiederum möchte es der Entscheidung jedes Einzelnen überlassen, ob mit Einfachem- oder Doppellippenastz gespielt wird, auf ob "über" oder "unter sich geblasen" wird. Er erwähnt drei verschieden Artikulationsarten: mit der Zunge. mit den Lippen [durch Schliessen und Öffnen der Kieferstellung] oder mit der Kehle. Um die musikalisch besten Resultate zu erreichen, empfiehlt Heinrich Backofen das differenzierte Artikulieren mit der Zunge:

„Der Zungenstoss wäre also, so wie bei allen übrigen Blasinstrumenten, der beste, unerachtet er anfangs auf der Klarinette der schwerste ist, weil dei Zuge durch den Schnabel, der den Mund ziemlich füllt, sehr geniert ist. So wie aber die vorerwähnten Klarinettisten gern alles Schleifen (binden), so missbrauchen letztere auch die Zunge und tragen manchmal sanfte sangbare Stellen durch diesen Missbrauch raus vor. Mich dünkt, nur rasche muntere Sätze wären für sie geeignet. Überhaupt muss der Charakter, der Geist, die Bewegung des musikalischen Satzes selbst zur besten Richtschnur dienen, wie ihn der Klarinettist in Ansehung der Zunge vorzutragen hat. Denn nicht bei jeder Note kann der Komponist anzeigen, wie er sie behandelt haben will, er muss auch etwas dem Gefühl des Musikers zutrauen.“

Johann Georg Heinrich Backofen: Anweisung S.12[1]

Ferdinando Sebastiani in seiner Klarinettenschule[2] (1886) weist ebenfalls im Zusammenhang mit der Blattposition auf die Wichtigkeit variierter Artikulationsarten auf der Klarinette hin. Im Gensatz zu Fröhlich ist er aber der Meinung, dass das „Übersichblasen" die Variabilität der Artikulation einschränkt und dass sich die Artikulationsart beim „Untersichblasen" besser variieren lässt.

So ist es [beim Übersichblasen] nur möglich, das Battuto zu spielen, während Picchettato, Stakkato und andere Farben, die den Wert der Klarinette ausmachen, nicht möglich sind.

Ferdiando Sebastiani: Metodo per Clarinetto.[2]. (Übersetzung Adriano Amore)

Frédéric Berr (1836) [3] gibt uns in seiner "Methode" einen wertvollen Hinweis zur Ausführung der Artikulation der Zunge am Klarinettenblatt:

„Pour exprimer le bruit produit par ce coup de langue, on dit à tort, que celui qui exécute fait entendre les syllabes TU TU. On pourrait peindre l'action de la langue en disant qu' elle semble rejeter de la bouche un bout de fil lorsque'elle dirige l'air dans l'instrument.»“

„Das Geräusch, das die Zunge beim Artikulieren am Blatt hervorruft, beschreibt man fälschlicherweise mit Tu Tu. Man könnte die Aktion, welche die Zunge beim Artikulieren am Blatt ausführt, wie folgt umschreiben: Die Zunge bewegt sich auf dieselbe Weise, wie wenn sie ein Stückchen Faden aus dem Mund expulsieren möchte. Dies erfolgt im selben Moment, in welchem die Zunge die Luft ins Instrument leitet.“

Frédéric Berr: Méthode[3]

Heutige Praxis

Voraussetzung guter Artikulation: Luftführung, Atemstütze, Ansatz und Vokalisierung

Als wichtige Voraussetzung für ein kunstvolles, sauberes und variantenreiches Artikulieren gilt allgemein das Beherrschen einer kontinuierlichen Luftführung und einer stabilen Ansatzformung.
Larry Guy (2016) fasst es so zusammen [4]:

„Since good articulation is dependent upon air support and embouchure as much as the exact use of the tongue, an in-depht study of articulation should be preceded by a thorough review of its two-part foundation: air support and embouchure.“

„Da eine gute Artikulation sowohl von Atemstütze und Ansatz als auch vom exakten Gebrauch der Zunge abhängt, sollte einer gründlichen Analyse der Artikulation eine eingehende Betrachtung der beiden Grundlagen Atemstütze und Ansatz vorausgehen.“

Larry Guy: Artikulation Development for Clarinetists[4]

Auch die Interviewpartner betonen, dass Luftführung, Atemstütze und Ansatzformung unabdingbare Voraussetzungen für ein gutes Staccato sind:
Paolo Beltramini
François Benda
Alain Billard
John Moses
Gerald Kraxberger
Ernesto Molinari
David Shifrin

Michel Arrignon erwähnt, dass bei der Zungenartikulation neben der Ansatzstabilität auch quasi eine Stabilität der Zungenposition antrainiert werden muss. Bevor man sich an die Arbeit eines gut kontrollierten détaché vornimmt, ist es unabdingbar, eine klangliche Homogeniät d.h. eine gleichmässige Ansprache der Töne, in gleichmässiger dynamischer und farblicher Gestalt im Legato realisieren zu können - eine Herausforderung nicht nur für den Studenten, sondern auch für den Lehrer.

Einen Schritt weiter geht James Campbell: er betont, dass eine sauberes Einschwingen des Klanges nur mit einer seiner Tonhöhe entsprechenden Luftgeschwindigkeit garantiert werden kann. Dazu muss die Zungenspitze vor der Artikulation am Blatt nach vorne-oben gerichtet sein.

David Pino (1980)[5] empfiehlt, das Artikulieren mit der Zunge im Unterricht erst dann zu thematisieren, nachdem Ansatz, Atmung und Abspann grundsätzlich beherrscht werden.
Sein Lehrer Keith Stein (1958)[6] ist der Überzeugung, dass eine Artikulieren mit der Zunge erst dann erfolgreich erlernt und ausgeführt werden kann, nachdem Toneinsatz und Tonende ausschliesslich durch modifizieren der Luftführung beherrscht werden können. In der nachfolgend beschriebenen Übung wir das Verklingenlassen des Tones - nicht als diminuendo al niente, sondern als ein Ton, der im mf endet geübt. Diese Tonübung dient dazu, den Toneinsatz und das Tonende bewusst mit der Luft zu steuern und währenddessen den für ein optimales Klangergebis besten Ansatz und die beste Zungenstellung zu finden und unverändert zu lassen. Erst wenn diese beiden Parameter beherrscht werden, soll die Zunge für das Artikulieren eingesetzt werden. Wichtig: der Ton darf keinesfalls durch eine Schliessen des Kiefers oder durch ein Schliessen der Glottis gestoppt werden. Wie sich zeigt, ist dies gleichzeitig eine Übung zum Training der Atemstütze.

„Set the tone in motion from a deeply-blown "hee" (with no aid from tongue). Then project the sound to the length of the clarinet. Release can now be started by reducing the amount of air flowing through the clarinet while fully maintaining the muscular push behind the breath until the air quantity is reduced beyond the point where it will vibrate the reed.“

„Setze den Ton nach tiefem Einatmen mit einem kräftigen "hii" an (ohne Hilfe der Zunge). Projiziere dann den Ton durch die Klarinette [bis zum letzten noch geschlossenen Tonloch]. Das Verklingen des Tones wird nun erreicht, indem die durch zum Ansatz geführte Luftmenge kontinuierlich reduziert wird. Währenddessen bleibt der muskuläre Schub "hinter" der Ausatmung solange vollständig aufrechterhalten bis, die abnehmende Luft das Blatt nicht mehr in Schwingung versetzen kann.“

Keith Stein: The Art of Clarinet Playing[6]

Der Bewegungsablauf der Artikulation

Larry Guy (2016) beschreibt en Bewegungsablauf der Artikulation wie folgt[4]:

  1. Form the embouchure, with a long chin,lips hugging the teeth.
  2. Take a deep breath.
  3. Insert the mouthpiece, with reed sliding against the firm lower lip.
  4. Touch the tongue to the reed.
  5. Blow a little air, and feel it behind the tip of the tongue, there will be no sound.
  6. Drop the tongue down a very small distance from the reed to start the sound.
  7. Think of the syllable "tu"

Übersetzung:

  1. Bilde den Ansatz, achte auf ein langes Kinn, schmiege die Lippen eng an die Zahnreihen an.
  2. Atmen tief ein
  3. Setze das Mundstück an, wobei das Blatt entlang der fest geformten Unterlippe gleitet.
  4. Bringe die Zunge [Zungenspitze] zum Blatt.
  5. Beginne mit der Ausatmung achte auf das Entstehen eines gewissen Luftruckes, nimm diesen hinter der Zungenspitze wahr. Es gibt noch keinen Ton.
  6. Lassen Sie die Zunge in einem sehr kurzen Abstand von der Zunge nach unten fallen, um den Ton zu beginnen.
  7. Denken dabei an die Silbe "tü".


Davi Shifrin und John Moses achten darauf, dass die Zunge nach der Artikulation nie in den Rachen zurück fällt, sondern immer möglichst nahe bei der Blattspitze bleibt, also eine möglichst Kleien Bewegung ausführt. Die Stärke und der Druck, den die Zunge auf das Blatt ausübt, lässt sich mit einer kleinen Bewegung besser kontrollieren. Ausserdem beschleunigt eine nach vorne und oben gerichtete Zungenspitze beschleunigt den Luftstrom und begünstigt dadurch die Ansprache.

Variabilität Artikulation

Die meisten der heute gebräuchlichen Methoden des Klarinettenspiels beschreiben das Artikulieren als eine kleine Abwärtsbewegung der Zungenspitze, weg vom Blatt. Unabdingbar ist dabei, dass (örtlich) hinter der Zunge der Luftdruck für die Klangerzeugung bereitgestellt ist, bevor der Zungenbewegung erfolgt.
Um die Artikulation mehrerer aufeinander folgender Töne darzustellen, stehen in der Notenschrift folgende Zeihen zur Verfügung: mit einem Bogen unter oder über der Tongruppe wird das Legato dargestellt, nur dei erste Note ist artikuliert, die folgenden werden dich aneinander gebunden (fürher verwendete man dazu auch den Begriff "schleifen". Das non Legato verwendet keine ohne Zeichen unter den Noten, und vom tenuto ( - ), portato (Punkte unter dem Bogen) staccato (.) bis hin zum und staccatissimo (') werden die Noten immer deutlicher voneinander getrennt, die Artikulationspausen zwischen den Tönen werden länger, der Klang der einzelnen Noten kürzer. Diese Notationsarten müssen immer im aktuellen Zusammenhang gelesen und dementsprechend interpretiert werden. Zusätzlich können der dynamische Verlauf des Tonbeginns und des Tonendes (Ein- und Aussschwingvorgang) unterschiedlich gestaltet werden. Es ist die Aufgabe des Interpreten, unterschiedliche Notationsarten je nach musikalischen Zusammenhang zu lesen und durch die passenden Artikulationsarten hörbar zu machen. Wie Heinrich Backofen (1803)[7] hebt auch Carl Bärmann (1861) [8] die künstlerisch-interpretatorische Bedeutung bei der Auseinandersetzung mit verschiedenen Artikulationsarten hervor und fasst es in folgende Worte:

„Diese angegebene Stricharten erleiden wieder unter sich verschiedene Modifikationen, welche durch den Charakter der vorzutragenden Stellen bedingt und mehr oder weniger von dem feinen Gefühl und Verständnis des Vortragenden abhängig sind. Der Schüler halte sich jedoch genau an die vorgeschriebenen Bezeichnungen und mache sich zum festen unumstösslichen Grundsatz, alles auf möglichst vollkommene Art zu bringen, keinen Fehler hingehen zu lassen und vor allem nie mit sich selbst zufrieden zu sein, denn die Kunst ist lang und das Leben ist kurz.“

Carl Baermann: Clarinett-Schule S.28[8]

Den Gebrauch verschiedener Konsonanten (de, di, da, te, ti ta ,the, ze li ni ,etc.) um den Berührungspunkt am Blatt und und die Kraft, mit der die Zunge artikuliert zu variieren, empfehlen heute folgende Interviewpartner
Ernst Schlader
François Benda



Zungenspitze an Blattspitze? Auch hier gibt es verschiedene Lehrmeinungen. Wo und mit welcher Stelle der Zunge das Blatt berührt wird, ist unterschiedlich beschrieben. Die Technik "Zungespitze an Blattspitze" wird als beste Methode für eine klare, leichte Artikulaiton beschrieben. Es ist ergibt sich dann eine reliefartiges, sehr kleine Bewegung der Zunge, weg vom Blatt. Michel Arrignon



Weitere Varianten der Artikulation
Das Anspielen eines Tones nur durch die Luftführung und ohne Zungenartikulation, kann je nach musikalischem Zusammenhang sehr gute Resultate hervorbringen.
Michel Arrignon
Die Zunge berührt nicht das Blatt, sondern "stösst" gegen die Unterlippe, welche dann durch erhöhten Druck die Schwingung des Blattes stoppt. Diese Atukualtionsart war um 1960/70 in Frankreich anzutreffen und wird von Alain Damiens beschrieben
Auch ein Schliessen des Unterkiefers, um die Schwingung des Blattes mit dem Ansatz abzudämpfen - in vielen Schulen strikte abgelehnt - kann insbesondere bei Bass- und Kontrabassklarinette sinnvoll sein: Alain Billard
"Anker"-Zunge Die Technik, die Zungenspitze an der unteren Zahnreihe, oder sogar zwischen Unterlippe und unterer Zahnreihe quasi zu verankern und mit einer Stelle auf dem Zungenrücken am Blatt zu artikulieren, wird teils nicht nur akzeptiert sondern auch mit grossem Erfolg angewendet. In Kombination mit der Slaptongue-Technik können so besonders gute Resultat erzielt werden. Diese Technik lässt sich jedoch nicht mit einem durch Vokalisierung geformten Klang vereinbaren. Pro:
Alain Billard
Gerald Kraxberger

Berührungspunkte Zunge - Blatt

"Zungenspitze an die Blattspitze" ist das Konzept der Artikulation der Alten Französischen Schule (Sylvie Hue: On disait « le bout du bec et le bout de la langue ».) In der ersten Hälfte des 20.Jh. wird dies von Daniel Bonade[9] in den USA vertreten, und heute noch von vielen Amerikanischen Pädagogen weitergeführt. (Daniel Bonade, Larry Guy 2016, Thematisiert wird sowohl die Stelle auf der Zunge, welche das Blatt berührt, wie auch die Stelle des Blattes, welchen von der Zunge berührt wird. Hier reichen die Lehrmeinungen von "Zungenspitze an die Blattspitze" David Shifrin bis "die Zunge Berührt das Blatt bis bis 2mm unter der Spitzte oder, je nach musikalischem Zusammenhang, von wechselnder Grösse der Fläche, welche von der Zunge berührt wird.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Backofen, Johann Georg Heinrich, and Karl Ventzke. 1986. Anweisung zur Klarinette nebst einer kurzen Abhandlung über das Basset-Horn. Celle: Moeck eproint der Asigabe Leipzig 1803)
  2. 2,0 2,1 Ferdinando Sebastiani: Metodo Progressivo per Clarinetto. Napoli 1886, S.7. Zitiert nach Adriano Amore: Ferrindando Sebastiani (1803-1860) und die Neapolitanische Klarinettenschule, in das rohrblatt, Juni 2008, S.58-60.
  3. 3,0 3,1 Frédéric Berr: Méthode complète de Clarinette adoptée au Conservatoire de Musique de Paris, p 14 Paris 1836.
  4. 4,0 4,1 4,2 Guy, Larry. 2018. Articulation development for clarinetists: including exercises and passages from the orchestral and chamber music repertoire, with a demonstration CD
  5. David Pino: The Clarinet and Clarinet Playing. Dover Publications, Mineola, New York 2014. Chapter 10 teaching other Clarinetists [1]
  6. 6,0 6,1 Stein, Keith. 1958. The art of clarinet playing. Evanston, Ill: Summy-Birchard [2]
  7. name="Anweisung">
  8. 8,0 8,1 Baermann, Carl (1861): Vollständige Clarinett-Schule: von dem ersten Anfang bis zur höchsten Ausbildung des Virtuosen; Ertser Theil Op.63. Johann André, Offenbach/Main 1861. Bayerische Staatsbibliothekdigital
  9. Bonade, Daniel. 1962. The clarinetist's compendium: including method of staccato and art of adjusting reeds. Kenosha, Wis: Leblanc Publications.