Vollkosten als Verrechnungspreis
Die Verrechnungspreise auf der Basis von Vollkosten gehören zur Gruppe kostenbasierter Verrechnungspreise. Weitere Varianten der kostenbasierten Verrechnungspreise sind die Verrechnungspreise auf der Basis von Grenzkosten und die Verrechnungspreise auf der Basis von Vollkosten plus Gewinnaufschlag. Unter den kostenbasierten Verrechnungspreisen werden Verrechnungspreise auf der Basis von Vollkosten in der Praxis häufig angewendet (Ewert et al., 2023, S. 529-530). Vollkostenbasierte Verrechnungspreise werden gebildet, indem zu den variablen Kosten einer innerbetrieblichen Leistung anteilsmässig Fixkosten addiert werden (Friedl et al., 2022, S. 593). Die Grundidee dieser Methode ist, dass langfristig alle Kosten gedeckt sein müssen. Die beziehenden Bereiche haben somit dieselben Kosten für die bezogene Leistung, wie wenn sie die Vorleistung selber erstellt hätten (Weber & Schäffer, 2014, S. 216; Coenenberg, Fischer & Günther, 2012, S. 735).
Ermittlung vollkostenbasierter Verrechnungspreise |
Vollkostenbasierte Verrechnungspreise führen dazu, dass der liefernde Bereich die gesamten mit der innerbetrieblichen Leistungserbringung verbundenen Kosten an den beziehenden Bereich weiterverrechnet. Der Erlös und somit der Vollkostenpreis beinhaltet die variablen sowie einen anteilsmässigen Beitrag an die fixen Kosten (Mensch, 2003, S. 928). Das Vorgehen bei der Preisermittlung kann mit der Kostenstellenrechnung verglichen werden, bei der die anfallenden fixen und variablen Kosten einer Kostenstelle zugeteilt werden (Ewert et al., 2023, S. 552). Für die Ermittlung der Vollkostenpreise werden die Daten aus dem Rechnungswesen abgeleitet (Weber & Schäffer, 2014, S. 216). Als Grundlage sollen die Standardkosten verwendet werden. Die Ist-Kosten, welche zwar exakt die Tatsachen abbilden, werden abgelehnt, weil dadurch falsche Preise festgelegt werden könnten. Wenn zum Beispiel im betrachteten Zeitraum Ineffizienzen bei der Herstellung der Leistung vorliegen, weil die Produktion nicht ausgelastet ist, werden bei Anwendung der Ist-Kosten die hohen Kosten als Basis für den Verrechnungspreis übernommen. Dieser Fehler bei der Preisfestlegung würde die Ergebnisse der liefernden und beziehenden Bereiche verfälschen und kann durch die Verwendung von Standardkosten vermieden werden (Ewert et al., 2023, S. 545-546).
Gründe für die Anwendung |
Weil die Ermittlung von Vollkostenpreisen der Kostenstellenrechnung ähnlich ist, ist die Durchführung einfach und nur mit geringem Verwaltungsaufwand verbunden. Deshalb sind sie in der Praxis sehr beliebt (Ewert et al., 2023, S. 552). Ein weiteres Argument für die Anwendung von Vollkostenpreisen ist, dass interne Leistungsbeziehungen selten kurzfristig sind. Generell gilt in jedem Unternehmen, dass langfristig neben den variablen auch die fixen Kosten zu decken sind, damit kein Verlust erwirtschaftet wird. Angewendet auf Verrechnungspreise bedeutet dies, dass auch die Verrechnungspreise langfristig die vollen Kosten decken müssen, die beim liefernden Bereich durch die innerbetriebliche Leistung entstehen (Mensch, 2003, S. 928). Im Gegensatz zu Verrechnungspreisen auf der Basis von Grenzkosten ist dies bei Vollkostenpreisen der Fall.
Zwischen Profit-Centern innerhalb einer Unternehmung werden Vollkosten häufig als Verrechnungspreise verwendet. Zwischen verschiedenen Steuersubjekten hingegen werden sie selten eingesetzt. Hier werden andere Methoden wie z. B. Marktpreise oder Vollkosten plus Gewinnaufschlag bevorzugt, weil diese den OECD-Richtlinien entsprechen (Pfaff & Stefani, 2006, S. 14-16). Auf Konzernstufe ergibt sich bei der Verwendung von Vollkostenpreisen zusätzlich der Vorteil des geringeren Konsolidierungsaufwandes. Durch die Anwendung von Vollkostenpreisen entstehen keine konsolidierungspflichtigen Gewinne, welche am Jahresende bereinigt werden müssten (Wala, 2006, S. 13).
Bewertung der Funktionserfüllung |
In den nachfolgenden Abschnitten wird die Funktionserfüllung von vollkostenbasierten Verrechnungspreisen analysiert.
Erfolgsermittlungsfunktion
Bei der Anwendung von Verrechnungspreisen auf der Basis von Vollkosten gestaltet sich die Erfolgsermittlung schwierig. Da der liefernde Bereich zu Vollkostenpreisen verkauft, ist die Erwirtschaftung von Gewinnen für ihn ausgeschlossen. Gewinne, welche der beziehende Bereich durch die Leistung erwirtschaftet, werden vollständig diesem Bereich angerechnet. Der Gewinn wird willkürlich und einseitig auf die beiden Bereiche aufgeteilt (Weber & Schäffer, 2014, S. 216; Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 590). Eine verursachergerechte Erfolgsermittlung wird durch Verrechnungspreise auf der Basis von Vollkosten somit nicht gewährleistet, da der tatsächliche Erfolg der beiden Bereiche nicht beziffert werden kann. Der liefernde Bereich bekommt seine Kosten in vollem Umfang erstattet. Hinsichtlich der Erfolgsermittlungsfunktion ergibt sich daraus der Vorteil, dass die Fixkosten gedeckt werden und somit beim liefernden Bereich keine Verluste ausgewiesen werden. Allerdings werden auch keine Gewinne erzielt. Vollkostenbasierte Verrechnungspreise sind deshalb eher für Cost-Center geeignet als für Profit-Center (Friedl et al., 2022, S. 593).
Bei der Verwendung von Verrechnungspreisen auf der Basis der Vollkosten können sogenannte Beschäftigungsabweichungen auftreten. Dies bedeutet, dass nicht alle Fixkosten verrechnet werden können, wenn der liefernde Bereich nicht voll ausgelastet ist. Demzufolge trägt der liefernde Bereich das Beschäftigungsrisiko. Dies ist nur sinnvoll, wenn ein Verkauf des liefernden Bereiches auch an Dritte möglich ist. Falls dies nicht der Fall ist, trägt der liefernde Bereich auch das Absatzrisiko des beziehenden Bereiches mit, jedoch ohne die Möglichkeit, gegensteuern zu können (Wala & Haslehner, 2009, S. 354).
Koordinationsfunktion
Im Vergleich zu anderen Verrechnungspreisermittlungsmethoden sind bei der Preisermittlung auf der Basis von Vollkosten die Verrechnungspreise hoch. Der Bezug eines internen Produktes ist also verhältnismässig teuer. Dadurch entsteht beim beziehenden Bereich ein Bewusstsein für die tatsächlichen Kosten. Er handelt bei Bezügen kostenbewusst und somit im Interesse des Unternehmens. Würden nur die variablen Kosten weiterverrechnet, wäre das Bewusstsein für die tatsächlichen Kosten weniger vorhanden (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 590-591).
Kurzfristig können Vollkostenpreise aus Unternehmenssicht zu groben Fehlentscheiden mit negativen Folgen führen, weil die Fixkosten des leistenden Bereiches für den beziehenden Bereich zu vollständig variablen Kosten werden (Horváth, 2011, S. 525; Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 593). Dies soll anhand des Beispiels in Abbildung 1 illustriert werden. Ein Zusatzauftrag mit einem angebotenen Preis von 30 würde von Bereich 2 abgelehnt, da dieser die variablen Kosten mit 31 beziffert. Aus Sicht von Betrieb 2 ist der bezahlte Vollkostenpreis von 25 variabel, dazu kommen noch die variablen Kosten von 6 für die Weiterverarbeitung in Bereich 2. Tatsächlich sind aber aus Unternehmenssicht variable Kosten von lediglich 16 angefallen. Ein Preis von 30 würde diese decken und darüber hinaus eine Deckungsbeitrag von 14 erbringen (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 594).
Mensch (2003) nennt als Variante, bei kurzfristigen Transfervereinbarungen Grenzkosten und bei langfristigen Transfervereinbarungen Vollkosten zu verwenden, um zumindest teilweise das Problem der Transformation der fixen Kosten in variable Kosten zu lösen. Er begründet dies damit, dass die Fixkosten kurzfristig nicht verändert werden können und nicht durch jeden Auftrag gedeckt werden müssen. Er räumt jedoch ein, dass auch dieser Ansatz nicht perfekt sei, da langfristig nicht alle Fixkosten entscheidungsrelevant sind. Weil sowohl der Grenzkosten- als auch der Vollkosten-Ansatz Mängel aufweisen, wird das zweistufige Verrechnungspreisschema als Lösung vorgeschlagen. Interne Leistungen werden zu Grenzkosten weiterverrechnet; die Fixkosten werden periodenweise weiterbelastet. Es steckt die Idee dahinter, dem leistenden Bereich zusätzlich zum Leistungspreis (Grenzkosten) eine Grundgebühr (Fixkosten) für die Bereithaltung der Kapazitäten zu bezahlen (S. 930).
Eine weitere Problematik der Verrechnungspreise auf Basis von Vollkosten ist die Zurechnung von Gemeinkosten auf mehrere Produkte. Diese erfolgt bis zu einem gewissen Grad willkürlich, wodurch letztlich die Vollkosten der internen Leistungen unbegründet hoch sind. Grund hierfür ist, dass die Fixkosten auch nicht direkt zurechenbare Gemeinkosten enthalten. Dadurch wird eine verursachergerechte Zuordnung oftmals verunmöglicht. So kann es passieren, dass einem beziehenden Bereich Fixkosten verrechnet werden, für welche er nicht verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang wird konkret von Manipulationsspielraum gesprochen. Denn der liefernde Bereich hat so die Möglichkeit, die Kosten gezielt zu verzerren. Somit beinhalten auch die Verrechnungspreise einen Anteil an willkürlich zugefügten Kosten (Ewert & Wagenhofer, 2014, S. 591; Crüger & Ritter, 2004, S. 498).
Die mangelhafte Erfüllung der Koordinationsfunktion durch vollkostenbasierte Verrechnungspreise hat tendenziell weniger negative Folgen, wenn ohnehin keine Transaktionsfreiheit für die Bereiche besteht und wenn durch flankierende Massnahmen sichergestellt werden kann, dass die aus Gesamtunternehmenssicht optimale Menge interner Leistungen ausgetauscht wird (Friedl et al., 2022, S. 594). Die Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen und die Koordination spielen dann keine oder zumindest nur eine geringe Rolle.
Weitere Funktionen
Verrechnungspreise können als ein Element der Steuerpolitik genutzt werden. Anhand der Verrechnungspreishöhe kann gezielt gesteuert werden, in welchem Land bzw. bei welcher Gesellschaft der Gewinn hauptsächlich anfallen soll (Merchant & Van der Stede, 2023, S. 256). Durch die Anwendung von Verrechnungspreisen auf der Basis von Vollkosten wird für diese Art von Manipulation hingegen nur wenig Spielraum gelassen, da der gesamte Gewinn beim beziehenden Bereich anfällt. Deshalb bietet sich der Verrechnungspreis auf Vollkostenbasis nicht für diese Ziele an.
Lern- und Praxismaterialien
Aufgaben | Fallstudien |
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Quellen
Literaturverzeichnis
- Coenenberg, A. G., Fischer, T. M. & Günther, T. (2012). Kostenrechnung und Kostenanalyse (8. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
- Crüger, A. & Ritter, L. (2004). Steuerung von Konzernverrechnungspreisen durch die Kostenaufschlagsmethode. Controlling, Heft 8/9, S. 497-502.
- Ewert, R. & Wagenhofer, A. (2014). Interne Unternehmensrechnung (8. Aufl.). Berlin: Springer.
- Friedl, G., Hofmann, C., & Pedell, B. (2022). Kostenrechnung. Eine entscheidungsorientierte Einführung (4. Aufl.). München: Vahlen.
- Horváth, P. (2011). Controlling (12. Aufl.). München: Vahlen.
- Mensch, G. (2003). Verrechnungspreise als Controlling-Instrument. Betrieb und Wirtschaft, 22, S. 925-931.
- Merchant, K. A., & Van der Stede, W. A. (2023). Management Control Systems. Performance Measurement, Evaluation and Incentives (5th ed.). Harlow, UK: Pearson.
- Pfaff, D. (2008). Gefahren der Kostenaufschlagsmethode in Konzernen. Rechnungswesen & Controlling, 2/08, S. 3-5.
- Pfaff, D. & Stefani, U. (2006). Verrechnungspreise im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Universität Zürich.
- Wala, T. (2006). Verrechnungspreisproblematik in dezentralisierten Unternehmen. Working Paper Series, Nr. 24, Fachhochschule des bfi Wien.
- Wala, T. & Haslehner, F. (2009). Kostenrechnung, Budgetierung und Kostenmanagement. Eine Einführung mit zahlreichen Beispielen. Wien: Linde.
- Weber, J. & Schäffer, U. (2014). Einführung in das Controlling (14. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
Weiterführende Literatur
- Berger-Vogel, M. & Rieder, L. (2013). Fehlentscheidungen durch Umlagen. Controller Magazin, März/April, S. 4-11.
- Dahlheim, N., Günther, T. & Schill, O. (2001). Verrechnungspreise in der Kosten- und Erlösrechnung. Fallstudie im Schulverwaltungsamt in Dresden. krp-Kostenrechnungspraxis, 45. Jg., H. 4, S. 243-253.
- Hummel, K. & Pedell, B. (2009). Verrechnungspreissysteme in der Unternehmenspraxis. Controlling, 21. Jg., Heft 11, S. 6-12.
Autoren
Patrick Bächtold, Steven Forster, Martina Gmünder, Andrea Grossenbacher